Am Mittwoch fuhr ich zu einer Lesereise in den äußersten Südosten der alten Bundesrepublik, nach Kulmbach (hohe bayerische Braukunst) und Donauwörth (Edelstein auf der Romantischen Straße). Als ich die Zeitungen aufschlug und die TV-Nachrichten sah, geriet ich in Unruhe: Für die Nacht von Donnerstag auf Freitag war ein Unwetter, ein Orkan angesagt, gigantisch wie keiner seit 1962 (als eine Sturmflut Hamburg heimsuchte und erst Helmut Schmidt, damals Innensenator, energisch und militärisch Herr der Fluten wurde). „Freitag um sechs Uhr wird’s kritisch“, hieß eine Schlagzeile, und: „Angriff eines echten Rüpels“.

Das kann ja schön werden!, dachte ich. Ich kam mir wie ein Deserteur, wie ein Heimatverräter vor. Ich im Süden, auf der Wetterkarte und in den Vorhersagen im grünen Bereich. Und Hamburg bedrohlich tiefrot, Land unter, bald nicht mehr erreichbar, weder per Bahn noch per Flugzeug, abgeschnitten im Notstand. Donnerstagabend dann war der Katastrophenfall da. ZDF-„Spezial“ und „Spiegel“-Brennpunkte zeigten den Ernstfall. „Geht nicht raus!“, flehte ich aus sicherer Ferne meine bedrohten Lieben an! Der Orkan „Xaver“ fegte über Sylt, die Halligen, Dänemark. Reporter stemmten sich mit verzogenen Gesichtern gegen den Wind und die Gischt, ihre Mikrofone in zottelige Wollmützen und Pelzfutterale gehüllt, und beobachteten Panik-Touristen und Katastrophen-Schaulustige, die sich gegenseitig fotografierten. Was die „Spezial“- und „Brennpunkt“-Reporter gegen den Sturm anschrien, drückte aus: Wir frieren uns hier in Dunkelheit und nasser Kälte den Arsch ab, damit ihr auf dem weichen, warmen Sofa den Schrecken genießt!

Ich dachte: Gut, dass meine Frau und mein Sohn keine Panik-Touristen sind. Ich rief meinen Sohn an: „Lebst du noch?“ Er saß vor dem Fernseher wie ich, ging aber auf meine Bitte hinaus auf die Terrasse und sah – nichts. „Kalt, ein bisschen Regen!“ Die Katastrophe lief vor allem im Fernsehen. Ich war ihr in der Ferne so nah wie meine Frau, die meine Warnungen verlachte, sich nicht unter eventuell stürzende Bäume ins Freie zu begeben. Dann stand ich auf zugigen Bahnsteigen, im Schneewind, kein Panik-Tourist und Schaulustiger, und wusste: Nur Reisende sind wirklich an der Wetterfront.

Wann ich allerdings wieder nach Hause kann, weiß ich noch nicht.