Der „Selfie“-Trend: Warum das Internet von unscharfen Handy-Selbstbildnissen überschwemmt wird

Die Menschheit hat die nächste Stufe der Zeitersparnis erreicht. Wurden früher Elogen an Geliebte männlichen und weiblichen Geschlechts mit Tinte auf Bütten verfasst, so kam mit der Einführung der elektronischen Kurzpost SMS die PDA, die Phase der Abkürzungen. Bei Liebesbezeugungen musste ein HASE (Habe Sehnsucht), ein BSE (Bin so einsam) oder ein GUK (Gruß und Kuss) als schnell dahingetippter Hauch von Zärtlichkeit genügen. Jetzt ist man sprachlos, denn ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Sexy und alberne, entsprechend scharfe und unscharfe Selbstporträts, von langer Hand vorbereitet, also mit dem Smartphone am ausgestreckten Arm selbst fotografiert, werden im Nu über Netzwerke an Freunde verbreitet. Manchmal sind auch Feindbilder darunter, etwa wenn man während des trüben Hamburger Novembers mit dem Urlaub im sonnigen Australien prahlt. Auf jeden Fall steht das Ich im Vordergrund, der Papst, der Eiffelturm oder der Käsekuchen im Café bleiben im Hintergrund. Diese Art der Knipserei hat einen Namen: Selfie. Das ist das englische „Wort des Jahres“ und bedeutet selbst gemachtes Foto von sich selbst. Experten rätseln, was dieses Massenphänomen zu bedeuten hat. Einige halten das für zunehmenden Narzissmus: „Wir schreien verzweifelt: Schaut mich an!“ Andere meinen, im Gegensatz zu Selbstbildnissen auf Gemälden, die sich zu Hunderten mühelos in einer Wohnung aufbewahren lassen, seien billige Selfies vergänglich. Von wegen.

Die Abfangjäger der Geheimorganisation NSA (National Selfie Agency) speichern bereits Milliarden von Fotobotschaften. Die Fotos sollen weltweit in kleinen Tüten zu je fünf Stück verkauft und in tonnenschwere Alben eingeklebt werden. Damit kann die Weltbevölkerung an der Sammelwut der NSA teilhaben und Verständnis für diese Leidenschaft entwickeln. Die Selfie-Sammelalben werden bei allen bekannten Sammelstellen wie Recyclinghöfen, Weihnachtsmärkten und in verwanzten Lottoannahmestellen zu haben sein.