Wie der FDP-Spitzenkandidat bei der Erfüllung eines Kulturauftrags vom Pech verfolgt wird

„Wer Pech hat“, so weiß es der Volksmund, „wer Pech hat, bricht sich den Finger in der Nase.“

An diese tragisch-komische Einsicht von der Gebrechlichkeit der Welt und der Gliedmaßen musste ich jetzt wieder denken, als ich von Rainer Brüderles Unfall hörte. Schon die erste Meldung war für Brüderle tragisch und für den Leser eher komisch. Da war er nämlich nach einer Wahlversammlung beim Verlassen des Podiums gestürzt und hatte sich dabei Arm und Bein gebrochen.

Tragisch war das für den Wahlkämpfer, komisch für den Wähler, denn Brüderle, der seinem Konkurrenten Rösler den Parteivorsitz nicht streitig gemacht hatte, bezeichnete sich fortan als „Spitzenwahlkämpfer und Mittelstürmer“. Ein Mittelstürmer mit gegipstem Bein? Das ist schon seltsam genug.

Doch später korrigierte die FDP diese Meldung. Nicht beim Verlassen eines Wahlkampfpodiums, sondern eines Wirtshauses sei Brüderle gestürzt, nachdem er zuvor das rheinhessische Dialektstück „Der fröhliche Weinberg“ besucht hatte. Brüderle und der Wein, da wird einem schon der Name zum Verhängnis, heißt es doch im Volkslied: „Trink, trink, Brüderlein trink, lasse die Sorgen zu Haus, … Meide den Kummer und meide den Schmerz, dann ist das Leben ein Scherz.“

Der Ruf des Rheinhessen, der sich gerne beim Küssen von Weinköniginnen ablichten lässt, um sich jovial und volkstümlich zu zeigen, war ohnehin schon durch eine bösartige Attacke einer „Stern“-Journalistin ramponiert. Sie könne durchaus ein Dirndl füllen, soll er ihr ein Jahr zuvor nach Mitternacht zugeraunt haben. Und löste damit einen gewaltigen feministischen Shit-storm aus.

Eigentlich ist an der ganzen Sache auch das verlorene Bildungsbewusstsein der Deutschen zu beklagen. Denn „Der fröhliche Weinberg“ ist nicht irgendeine rheinhessische Lokalposse. Vielmehr hat ihn Carl Zuckmayer („Des Teufels General“) geschrieben, die Uraufführung 1925 am Theater am Schiffbauerdamm wurde frenetisch gefeiert. Sie war eine Erlösung des deutschen Theaters aus symbolistischen und expressionistischen Fesseln.

Alfred Kerr verteidigte den „Spaß“: „Weil er das Theater heute vielleicht vor dem hemmungslosen Literatenmist rettet; vor der anspruchsvollen Unmacht, vor dem sabbernden Chaos“. Sozialkritische Volksstücke folgten. Zuckmayers „Weinberg“ wurde zum meistgespielten Stück der 20er-Jahre, mit Horváths „Kasimir und Karoline“, wo es um das Oktoberfest und Dirndln geht. Oder Brechts Bearbeitung von Marieluise Fleißers „Pioniere in Ingolstadt“, auch am Schiffbauerdamm in Berlin uraufgeführt.

Brüderle vollführte also einen Kulturauftrag im Wahlkampf mit dem Besuch des fröhlichen Weinbergs. Aber wie gesagt: Wer Pech hat, dem bricht der Finger in der Nase.