Aus dem Internet fließen nicht nur Häme und Bosheit: Wie Claudia Roth eine bittere Niederlage versüßt wurde

Kürzlich war ich in Bautzen, der malerischen Stadt in der Oberlausitz, die mit engen Gassen, hohen Türmen und restaurierten Mauern den Besucher die Schrecken vergessen lässt, die einst von dem berüchtigsten Zuchthaus der DDR für politische Gefangene mit dem Namen Bautzen belegt waren. Die Stadt bot mir einen einmaligen Komfort, ich konnte einen Karasek-Turm besichtigen und in einem Lokal Zum Karasek essen. Das verdanke ich einem Namensvorfahren, der als Räuberhauptmann in der Gegend brandschatzte und raubte. Eine Art Verwandter von Schillers Räubern, ein deutscher Robin Hood, der der Legende nach von den Reichen nahm und es den Armen gab. Mir fiel der arme Johannes Karasek jetzt ein, weil er tagelang am Pranger auf dem Bautzener Markt im Halseisen stehen musste, bevor er elendig verstarb. An diesem Pranger wurde er vom Pöbel, wie die Quellen berichten, "fleißig mit Kot, verfaultem Obst und verdorbenen Eiern beworfen".

Man sieht, auch das vordigitale Zeitalter hatte schon seinen Shitstorm. Dieses ist der Pranger der Neuzeit, der sich im Internet über Strauchelnde, Skandalisierte, Fallende hermacht, um sie verbal einzukoten. Als es den Pranger nicht mehr gab und den Shitstorm noch nicht, arbeiteten erboste Politikfans mit Farbbeuteln. Joschka Fischer erlebte das 1999, vor dem Kosovo-Krieg, bei seinen erbosten Parteifreunden.

Jetzt hätte es Claudia Roth erwischen können, die im Übermut die Basis herausforderte und dann bei der Urwahl unterlag. Auch sie gilt ja als eine Art weiblicher Robin Hood, der überall nur Gutes wirkt und Böses anprangert. Aber, o Wunder, statt mit Kot, fauligem Obst und Eiern wurde Claudia Roth nach der Erniedrigung durch das Parteivolk im Internet mit einem Candystorm bedacht, wie sie es selbst beglückt empfand. Candystorm, das ist in Denglisch das, was in biblischen Zeiten als Manna vom Himmel fiel. Mit Zuckerwattebäuschen wurde sie beworfen. Sie war zu Tränen gerührt. Aus dem Internet können nicht nur Häme und Bosheit fließen, sondern auch Milch und Honig. So wurde der gefürchtete Pranger zu ihrer Trostsäule und Stütze. Es gibt also auch im Internet gute Zeiten nach schlechten Zeiten. "Alles auf Zucker", wie der Filmtitel es sagt.

Anders ergeht es zurzeit hohen US-Militärs. Ihnen fliegen im Internet die eigenen erotischen Entäußerungen und gestammelten Ehebrüche per E-Mail als Bumerang um die Ohren. Einer soll in einer 20 000 bis 30 000 Seiten starken E-Mail-Korrespondenz eine Frau mit dem Wort "Sweetheart" belästigt haben, für einen harten Soldaten ein Zeichen verdorbener Verweichlichung.