Der große Plakateklau: Neumeiers Orpheus-Tänzer ist Hamburgs begehrtestes Fotomotiv.

Ein Mann, der sich im körpernah geschnittenen Bodenturner-Unterhemd an eine Violine kuschelt, als ob er mit ihr das gute Beziehungsgespräch führen möchte? Der ist entweder dringend therapiebedürftig, weil vielleicht doch ein wenig zu zartbesaitet für unsere harte Welt. Oder er heißt Roberto Bolle und ist Star-Tänzer in John Neumeiers "Orpheus"-Inszenierung.

Falls Sie diesen schmucken Italiener mit seiner beachtlich definierten Oberarmmuskulatur noch nie gesehen haben - kein Wunder. Denn nach Informationen des NDR werden die Plakate mit diesem Motiv gerade besonders gern aus dem Hamburger Stadtbild weggeklaut.

"Mir persönlich soll das ja nur recht sein. Nur ein unsichtbares Ballett-Plakat ist ein gutes Ballett-Plakat", könnte ich nun sarkastisch überhöhen, die kleingeistige, kulturbanausige Häme quasi auf die Spitze treibend. Wäre natürlich bös unfair, so etwas. Die Welt des Balletts ist eine Welt für sich, meine ist eine andere. Und man muss auch gönnen können, erst recht in der Kultur, die es eh schwer hat mit der Akzeptanz.

Aber andererseits ist Stehlen grundsätzlich juristisch belangbar, und von der unschönen Moral dieser bemitleidenswerten Täterinnen und Täter wollen wir gar nicht erst anfangen.

Umkreisen sie - mit Strickstulpen als Gesichtsmaske - im Morgengrauen die Litfaßsäulen wie iPhone-Süchtige den Apple-Laden, bis sie zuschlagen? Sind es Einzelgänger beiderlei Geschlechts, oder schmiedet eine Tütü-Bande, aufgeputscht durch Tschaikowskys "Schwanensee", ihre Beutezüge-Pläne? Ziehen sie sich vor dem Vollzug des Diebstahls eine Ladung Kolophonium in die Nase, um dann berauscht zur nächsten Bushaltestelle zu tänzeln und dort enthemmt das Plakat zu mopsen? Wir wissen es nicht. Aber wir würden uns wie Bolle über sachdienliche Hinweise freuen, die zur Enttarnung dieser armen Überzeugungstäter führen.