Shakespeare, Heiner Geißler und der totale Krieg um Stuttgart 21 - auch ein Geduldsfaden kann irgendwann einmal reißen

Heiner Geißler hat bei der unendlichen Geschichte des Protests gegen Stuttgart 21 endlich auch einmal seine Geduld verloren. Sein Geduldsfaden ist dem mit schier übermenschlicher Zuhörfähigkeit Gewappneten bei einem Rundfunkinterview gerissen. Er warf den stur bleibenden Bahnhofsbau-Gegnern vor, was sie jetzt machten, sei der "totale Krieg". Prompt war die Empörung groß und brachte das Fass zum Überlaufen. Wenn Begriffe aus der Nazi-Zeit fallen, versteht der Volkszorn der PC (Political Correctness) keinen Spaß. Und reagiert wie der inzwischen sprichwörtliche Pawlow'sche Hund: Erst mal geifern und losspeicheln. Goebbels! Hitler! Nazi! Unerhört!

War das nicht der berüchtigte Aufruf von Goebbels in der makabren Sportpalast-Rede nach Stalingrad 1943? In der der Propaganda-Minister Hitlers die Deutschen zur Fortsetzung eines längst sinnlosen, längst verlorenen Kriegs aufrief? Reine Hetz-Rhetorik, die Millionen Tote und zu Ruinen gebombte Städte zur Folge hatte.

Darf man das zitieren? Noch dazu polemisch? Natürlich wird nach Geißlers Vergleich nicht Dresden wieder zu Asche versinken, keine Armee sinnlos im Krieg um unterirdische Gleisanlagen den Heldentod sterben. Der Vergleich ist eine rhetorisch sarkastische Übertreibung, die den in Geißlers Augen uneinsichtigen Stuttgart-21-Gegnern zurufen wollte: Seid doch nicht so verbohrt wie Goebbels und die ihm frenetisch zujubelnden Endsieg-Fanatiker. Es ist, als ob man den Vergleich bemüht, dass jemand vom "Saulus" zum "Paulus" wurde, wenn er als Grüner wie Joschka Fischer den Kosovokrieg auf einmal befürwortete. Ein absichtlich übertriebener Vergleich, der Gesinnungswechsel von Saulus nach Damaskus führte immerhin zur Gründung einer Weltreligion. Aber bei Nazi-Vergleichen verstehen wir Deutschen weder Spaß noch Ironie. So riskierte eine junge Sportreporterin Kopf und Kragen, als sie einen deutschen Fußballsieg als "inneren Reichsparteitag" empfand. Geschmacksgrenzwertig, aber doch nicht nazistisch. Oder der Angestellte, der entlassen wurde, weil er einem Vorgesetzten auf dessen Anweisung, die wie ein Befehl klang, "Jawohl, mein Führer!" antwortete. Nazi-Gesinnung? Der Satz stammt aus Wilders Berlin-Satire "Eins, zwei, drei". Die Ehefrau des Coca-Cola-Chefs, den James Cagney spielt, wirft ihn ihrem Ehetyrannen an den Kopf.

In Wahrheit ist die künstliche Aufregung, die nach Geißlers rhetorischem Ausfall entsteht, ein "Sturm im Wasserglas" (Scribe, nicht Goebbels), "viel Lärm um Nichts" (Shakespeare, nicht Sportpalast). Man schlägt den Sack und meint den Esel! Entschuldigung, Herr Geißler! Gemeint ist Ihre Eselsgeduld!