Den Liberalismus in seinem Lauf halten weder Trittin noch Gysi auf. Oder: Wie die FDP ihr Problem zum Tabu macht

Ich habe mir, von Berufs wegen und auch sonst, den Dreikönigstag der Freien Demokraten in Stuttgart live im Fernsehen zugeführt - was tut man nicht alles, wenn man auf der Suche nach einer Glosse ist?

Ich will hier jetzt nicht den Redestil von Herrn Westerwelle mit dem von seinem Generalsekretär Christian Lindner vergleichen, und wer besser war und tosenderen Beifall bekommen hat. Ich gebe zu, dass ich mich über die vorauseilende Überschrift in der "FAZ" gefreut habe, die da hieß: "Westerwelle in der entscheidenden Phrase", und so habe ich geduldig zugehört. Und es wurde ja auch viel Kluges, Beherzigenswertes und Vernünftiges gesagt, so wenn beispielsweise der Stuttgarter Spitzenkandidat Ulrich Goll in einer Spitze gegen die Grünen sagte, sie wollten ihre Wähler mitnehmen, und fragte: "Hätten Sie es gern, wenn Ihr Kind auf der Straße mitgenommen würde" - womöglich von einem fremden Mitschnacker?

Und mir ist dann auch noch das ebenso grüne Wort eingefallen, man wolle die Wähler "abholen", wobei mir als altem Mann bei den Begriffen "abholen" und "mitnehmen" immer eher die Gestapo oder die Stasi einfallen, die einen bei Nacht und Nebel mitgenommen oder abgeholt haben. Sei's drum. Vor Claudia Roth hätte ich auch um Mitternacht keine Angst, wenn sie als rotblonder Leuchtturm auftauchte, um mich zu einer Diskussion abzuholen.

Nein. Mir ist, als ich Westerwelle und Co. lauschte, einmal ein Sprichwort eingefallen, und das heißt: "Im Haus des Gehenkten spricht man nicht vom Strick." Und zweitens ein Kubicki-Interview-Ausspruch, den der Zustand der FDP um die Weihnachtszeit in einem "Spiegel"-Gespräch an das Ende der DDR erinnerte. Sie erinnern sich? "Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf." Jetzt: Den Liberalismus in seinem Lauf halten weder Trittin noch Gysi auf. Obwohl wir wochenlang mit dem Dilemma konfrontiert sind, dass die FDP um die vier Prozent dahinsiecht, und das ausdrücklich wegen Westerwelle.

Die Umfragenkurven sehen aus wie aus einer Arztserie ("Dr. House" etwa), wo nach heftigem Auf- und Abschwingen die Linie endgültig lang am Boden flach dahinläuft. Exitus, denken die Ärzte, und der Chefarzt versucht sich zur Mund-zu-Mund-Beatmung mit seiner Assistentin zu retten, weil der Patient ohnehin schon tot ist. Kurzer Rede, langer Sinn: Nicht einmal war dieses Alarmsignal Thema der Rede. Nicht einmal auch nur andeutungsweise, dass der Vorsitzende das Problem der Partei sein könne. Es war der perfekte Double-Speech, ohne dass ein Gorbatschow dazwischenrief: "Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte."