Vergangene Jahre sind wie alte Handschuhe - zum Wegwerfen eigentlich zu schade

Kaum ist das alte Jahr vorbei, da wünschen sich die Menschen schon ein neues. Rücksichtslos, pietätlos. Statt das alte Jahr zu behalten, in die Reinigung zu bringen oder in die Änderungsschneiderei, zum Kunststopfen nicht nur der Finanzlöcher, böllern sie sich ein neues Jahr herbei, als ob sie nicht wüssten, dass es bestimmt nicht besser als das alte ist, sondern von einem gewissen Alter (für Männer ab 28, für Frauen ab 29) nur noch abwärts geht.

Jedes neue Jahr wird schlechter als das alte, bestenfalls nimmt man an Gewicht zu, was man an Intelligenz einbüßt, und gewinnt an Lebensweisheit, was man an Lebensfreude verliert. Dabei wäre es doch schön, dem alten Jahr nachzuhängen und es zu bewahren. Vielleicht geht der hartnäckige Fleck von der Weihnachtsgans aus der Krawatte raus. Vielleicht wird aus Westerwelle, wenn wir ihn zum Änderungsschneider bringen, doch noch ein beliebter Außenminister.

Denn Westerwelle hatte offensichtlich Kleidersorgen, als er ex officio in die Türkei reiste und zur Sicherheit erklärte: "Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister. Das, was ich sage, zählt." Inzwischen ist die Zahl drei Prozent das Einzige, was er zählen muss, und gezählt sind seine Tage im Amt. Und die FDP versucht ihn gern und vergeblich zu entsorgen wie Berlusconi den Müll von Neapel.

Alle wollen das Alte wegwerfen, als wäre es ein Dreck. Da mir in diesem Jahr und im letzten aus gegebenem Anlass immer Ringelnatz eingefallen ist, will ich das neue Jahr mit einer Warnung vor dem Wegwerfen des Alten beginnen. Ringelnatz hat bekanntlich, ebenso wie Schiller, eine Ballade vom Handschuh und vom Wegwerfen desselben geschrieben. "Als ich den einen verlor,/ Da warf ich den andern ins Feuer/ Und kam mir wie ein Verarmter vor./ Schweinslederne sind so teuer.

Als ich den ersten wiederfand:/ Shake hands, du ledernes Luder!/ Dein eingeäscherter Bruder/ Und du und ich -: im Dreiverband,/ Da waren wir reich und mächtig,/ Jetzt sind wir niederträchtig."

Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten von Ringelnatz leider nichts gelernt. Verbrannte Erde! Verbrannte Handschuhe! Jetzt stehe ich da mit einer Kollektion diverser rechter und linker, verschieden aussehender, verschiedenfarbiger Handschuhe, teils aus Wild-, teils aus Schweinsleder, und komme mir vor wie ein einarmiger Bandit. Alles Gute!

Hellmuth Karasek wechselt den Tag: Von dieser Woche an wird seine Kolumne nicht mehr am Montag, sondern jeweils am Sonnabend erscheinen.