Die Weindiebe waren schneller: Fast alle Trauben von Hamburgs einzigem Weinberg am Stintfang auf St. Pauli sind bereits gepflückt worden.

Da steht er nun wie ein Öchsle am Berg. Lutz Mohaupt, der Präsident der Hamburgischen Bürgerschaft, ein gelernter Theologe, will lesen. Nicht die Messe und auch nicht die Leviten. Wein soll es heute sein. Pralle Trauben voller Süße, die an jenem Hamburger Berg auf St. Pauli reifen, auf den nicht das Rotlicht des Viertels strahlt, sondern die bekanntermaßen gleißende Sonne des Nordens. Auf dem Stintfang hoch über der Elbe , Südhang natürlich, gedeihen an den Reben die Traubensorten Phoenix und Regent.

Doch aus der Spätlese wird eine Zuspätlese. Die Täter haben ohne viel Federlesens zuvor abgeschnitten, was die Kiepen nur schlucken konnten. So sie denn überhaupt solche Rucksäcke für Winzer dabeihatten.

"Man führt gegen den Wein nur die bösen Taten an, zu denen er verleitet, allein er verleitet auch zu hundert guten, die nicht so bekannt werden", textete der Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) vollmundig. Die Mundräuber haben möglicherweise sogar eine gute Tat vollbracht. Immerhin bleibt den hohen Gästen der Stadt nun die Cuvée aus roten und weißen Trauben erspart, jener hanseatische Verschnitt, bei dem sich unter Kennerblick die Zunge kräuselt und der Gaumen das angenehme Gefühl von Schmirgelpapier annimmt, wie so mancher Spötter behauptet. Fachleute nennen das Rarität.

Nur Fischköppe können auf die Idee kommen, auf dem Stintfang (!) Wein anzubauen. Das geschieht seit nunmehr 15 Jahren und erbringt eine Ernte, die - abgefüllt und verkorkst (hicks) - gerade mal 50 Flaschen ergibt.

Der Theologe Mohaupt lässt angesichts des Diebstahls Milde walten und doziert nicht über das siebte der Zehn Gebote. "Ich habe das Gefühl, dass das jemand war, der das womöglich braucht, weil er sich das Kilogramm Weintrauben am Stand nicht kaufen kann. Warum sollten wir dann eine Anzeige erstatten?"