Unsere Umgangssprache treibt Schindluder mit dem Liebesleben, weil sie für Verschleierungen immer offen ist.

"Belastbare Daten liegen nicht vor." Diesen Satz, den man häufig so oder so ähnlich in den Nachrichten hören und lesen kann, hat sich Leser G. vorgeknöpft: "Gemeint ist: 'Wir haben keine zuverlässigen Daten.' Unzuverlässig - so deutlich will man es aber nicht sagen. Da kommt 'belastbar' gerade recht, nicht wahr?" So ist es. Aber der Politjargon, der, was die Wahrheit angeht, nicht besonders "belastbar" ist, hat die verschleiernde Formulierung längst akzeptiert. Und die Umgangssprache, die für Verschleierungen stets weit offen ist, plappert sie nach.

Mich ärgert immer die Gefühllosigkeit in den gängigen Formulierungen für das, was Liebesleben heißt. Das fängt an mit dem Wort Beziehung. Wer bei Kriegsende schon auf der Welt war, weiß, dass damals Beziehungen überlebenswichtig waren für die Beschaffung von Nahrung und Obdach. Wer später Beziehungen hatte, der konnte zum Beispiel einen besonders guten Job oder teure Ware zu Großhandelspreisen bekommen. Heute hat man eine Beziehung, wenn man mit einem anderen Menschen einigermaßen regelmäßig ins Bett geht. Ich gebe zu, dass die früher dafür übliche Bezeichnung "Verhältnis" auch nicht angemessen ist, aber immerhin hatte das Wort etwas mit Verhalten, also einer menschlichen Eigenschaft, zu tun, nicht bloß mit Handel.

In unserer Umgangssprache wird nicht "Liebe gemacht" wie bei den Franzosen und den Angelsachsen, sondern man "hat" Sex. Das provoziert Fragen, wie sie der Sozialpsychologe Erich Fromm 1976 in "Haben oder Sein" an den Zustand dieser Gesellschaft gestellt hat. Einfacher, aber nicht minder treffend gesagt hat es die Schauspielerin Katherine Hepburn: "Liebe ist nicht das, was man erwartet zu bekommen, sondern das, was man bereit ist zu geben." Von Sex kein Wort.

Von Liebe ist umgangssprachlich bei uns vor allem in der beliebten Boulevard-Formulierung "Liebes-Aus" die Rede, verkürzt: "Ex". Die Zeiten, in denen von verflossenen Liebhabern oder ehemaligen Geliebten die Rede war, sind wohl vorbei. Heute sind diese Personen "mein (oder meine) Ex".

"Sex mit dem Ex" ist auf dem Boulevard besonders beliebt. Nun mag Ex angebracht sein, wenn ein Verein (oder wer auch immer) sich zum Saufen trifft. Aber als Bezeichnung für abgelegte "Lebensabschnittsgefährten" ist sie einfach menschenverachtend, eine verbale Hinrichtung.

Hermann Schreiber macht Sommerpause. Die nächste Kolumne erscheint am 10. Oktober.