Neulich war ich in Klütz, in Mecklenburg-Vorpommern, es war über 30 Grad, aber von der nahen Ostsee wehte gegen Abend eine sanfte Brise. Ich saß im Hotel Landhaus Sophienhof, das vermutlich vier bis fünf Zimmer hat oder auch sechs. Ich saß im Garten, blickte über eine Steinmauer auf eine ruhige Dorfstraße.

Klütz aber ist Stadt, hat rund 3000 Einwohner. Und ein Uwe-Johnson-Haus. Johnson, der große Autor der deutschen Teilung nach 1945, ist zwar nicht hier geboren und war mutmaßlich nie in Klütz, aber Experten, die sein wuchtiges Werk durchforschen, meinen, dass Klütz die ostdeutsche Stadt ist, die in Johnsohns Werk Jerichow heißt. Jerichow bzw. Klütz wirkt auf angenehm melancholische Weise aus der Zeit gefallen, und aus dem ummauerten Garten blicke ich auf ein Uhrengeschäft, das als Wahrzeichen eine riesige Taschenuhr hat, mit einer Aufziehkrone. Es ist wie gesagt sehr heiß und ein Wunder, dass die Taschenuhr nicht wellig wie Teig zerläuft, wie auf Salvador Dalis berühmtem Bild. Aber sie zeigt 6 Uhr 20. Auf meiner Uhr ist es etwa viertel vor acht.

Aber auf meiner Uhr ist es etwa 19.40. Und ich denke, das ist zwar falsch und für ein Uhrengeschäft keine gute Werbung. Aber irgendwie ist es auch richtig, weil eine Uhr hier einfach anders gehen muss. Und das seit Jahren: Nicht dem Zwang der Zeit ausgeliefert - obwohl man aus der Ferne das ständige Brausen einer Umgehungsstraße hört, aber hier Ruhe herrscht, gewaltige Bäume und eine klobige Kirche zu sehen ist: St. Marien.

Kurz zuvor war ich in der Provence, im Var, im Weingut meines Schwagers, und am alten Chateau ist eine Sonnenuhr. Und da auch hier die Sonne glüht, schaue ich nach der Sonnenzeit. Ich bin irritiert. Die Sonnenuhr geht über zwei Stunden nach. Es kann nicht sein, weil sie seit 1821 hier, nein, nicht schlägt, sondern den Uhrenschatten über den Zeiger, den Gnomon, auf die lateinischen Ziffern wirft? Ist sie irgendwann stehen geblieben, ist sie zu alt? Hängt es mit Sommer- und Winterzeit, mit Europa, der Französischen Revolution zusammen, dass Frankreichs Uhren anders gehen, wie ein Buchtitel weiß?

Mir fällt die Uhr aus Alfred Polgars wunderbarer Glosse ein, die vor 20 Jahren (heute schätzungsweise vor 120 Jahren) stehen geblieben ist, wenn sie noch dort stünde, wo Polgar sie damals sah. Eine Uhr in einer Mauer. Sie zeigt seitdem 2.36 Uhr. Das ist immer falsch außer in der Nacht um 2 Uhr 36. Und am Tag um 2 Uhr 36. Und Polgar zieht daraus die Nutzanwendung: "Alle Uhren zeigen richtig, man muss nur im richtigen Augenblick auf sie sehen!"