Es ist an der Zeit, das Modewort Politikverdrossenheit neu zu definieren - das gilt auch für die Wähler.

Wir haben Anlass, die Bedeutung eines Wortes zu überprüfen, das in letzter Zeit leider sehr populär worden ist: Politikverdrossenheit, geläufig auch als: Politikerverdrossenheit. Bisher bezeichnete dieses Wort einen Gemütszustand, der - nicht selten im Ton des Vorwurfs - uns zugeschrieben wurde, dem Volk, den Wählern zumal, die vor lauter Ärger über das Verhalten des politischen Personals, dem sie ihre Stimme geben sollten, nicht zur Wahl gegangen, sondern lieber zu Hause geblieben sind.

Das kann so nicht bleiben, seit wir verstörte Zeugen einer Parade zurückgetretener Spitzenpolitiker geworden sind, von Horst Köhler bis Ole von Beust. Denn der Verdruss an der Politik ist offensichtlich ganz auf Seiten der Politiker. Im Leitartikel dieser Zeitung am vergangenen Montag hat Chefredakteur Claus Strunz es klargemacht: Politikverdrossenheit ist die Flucht der Politiker aus einer Politik, an der sie die Lust verloren haben.

Warum das so ist, haben die Flüchtigen nicht wirklich erklärt. Sie sind "amtsmüde", und das sollen wir respektieren. Wenn ausgerechnet Roland Koch sagt: "Politik ist nicht mein Leben", nachdem er viele Jahre lang den gegenteiligen Eindruck erweckt hat, dann sollen wir uns nicht einmal wundern?

Wir wollen da doch mal einiges klarstellen. In der Verfassung, auf die alle diese Politiker vereidigt sind, steht (in Artikel 20 GG): "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Wir sind das Volk. Die "Macht", die Politiker ausüben, haben wir ihnen also geliehen - auf Zeit. Wir haben ihnen einen Auftrag erteilt, um den sie sich nicht nur dringlich beworben haben (im sogenannten Wahlkampf nämlich), sondern sie haben uns Wählern auch Versprechungen gemacht, für den Fall, dass sie den Auftrag kriegen. Dieser Auftrag ist befristet - in der Regel auf vier Jahre (bekannt als Legislaturperiode). Wenn die beauftragten Politiker vorher hinschmeißen, weil sie keine Lust mehr haben, den Auftrag zu erfüllen, dann haben die Auftraggeber doch wohl Grund, verdrossen zu sein.

So gesehen ist die Politikerverdrossenheit eben doch ganz auf unserer Seite. Und zwar mit Recht.