Verkehrte Fußballwelt. 20.000 Fans in Buenos Aires feiern Diego Maradona und Argentiniens 0:4-Verlierer, als seien sie Weltmeister.

Wer, liebe Argentinier, hat an euren Uhren gedreht? Wir dachten bisher, ihr läget jetzt in der Sommerzeit um vier Stunden hinter der Zeitzone Null zurück, vier zu null, kann man sich gut merken, oder? Seit gestern aber müssen wir glauben, jemand habe euch auf eine Zeitreise in die ferne Zukunft mitgenommen und die jüngste Vergangenheit aus euren Köpfen getilgt.

Wie sonst dürfen wir uns erklären, dass ihr eure Fußballmannschaft bei ihrer Rückkehr aus Südafrika empfangen habt wie den neuen Weltmeister? 20 000 von euch haben da die Straßen von Buenos Aires gesäumt, sie haben ihre hellblau-weißen Fähnchen geschwenkt und dem heiligen Diego und seinen Jüngern mit Sprechchören gehuldigt. Warum weinst du nicht, Argentinien? Wo bitte ist die Trauer, der doch keiner je einen schöneren Ausdruck verliehen hat als du mit deinem Tango?

Natürlich hätten wir nicht erwartet, dass ihr die Mannschaft wegen einer Viertelfinalniederlage gleich in die Pampa jagt. Vier Gegentore gegen Deutschland, eure englischen Freunde bestätigen euch das gern, sind schließlich kein Weltuntergang, und sie haben recht: Es ist viel, viel schlimmer. Das wird jeder nachempfinden können, der um die Befindlichkeiten der argentinischen Fußballseele weiß, die keinen Gott neben ihrem Maradona duldet.

Einem Gott aber, und sei es nur dessen verlängerter Hand, vergibt man Sünden wie Fress-, Drogen- oder Geltungssucht. Er braucht in seinem irdischen Dasein als Trainer auch keine Taktik zu haben, solange er seine Spieler nur ganz doll lieb hat. Einen Gott anzubeten braucht es nicht einmal einen Anlass. Zu Tausenden haben Argentiniens Fans den rücktrittswilligen Maradona beschworen weiterzumachen. Wir schließen uns diesem Wunsch gern an und freuen uns auf ein Wiedersehen im Viertelfinale 2014 in Brasilien.

Was wäre erst los gewesen, wenn Argentinien wirklich Weltmeister geworden wäre? Maradona hatte für den Fall angedroht, nackt durch Buenos Aires zu laufen. Liebe Argentinier, ihr solltet uns eigentlich dankbar sein.