Was uns Christian Wulff heute mit seiner Liedauswahl beim Großen Zapfenstreich sagen will

Halten wir uns nicht auf mit der grundsätzlichen Legitimitätsfrage eines Bundespräsidenten-Abschieds mit Großem Zapfenstreich nach einem Rücktritt wie dem von Christian Wulff - es triebe einem nur die Adern des Zorns auf Stirn und Schläfen. Reden wir lieber über Musik. Wulffs Wahl zum großen Adieu fiel auf vier Titel, und wahrlich, es hätte schlimmer kommen können. Vor unserem geistigen Ohr hörten wir schon Klaus Meine von den Scorpions aus Wulffs alt-neuer Heimat Hannover schief und krumm den "Wind Of Change" herbeipfeifen. Hätte auch super gepasst, bleibt uns aber erspart.

So richtig in seinem Element dürfte sich das Stabsmusikkorps heute nur beim "Alexandermarsch" fühlen. Das Ex in Alexander übrigens bitte nicht als bittere Anspielung missverstehen. Wulff ist nicht Ex, nur a. D. Mit diesem Abmarschtritt jedenfalls wünscht er sodann in himmlische Sphären katapultiert zu werden. Judy Garland zufolge soll es "Over The Rainbow" ja irgendwo noch ein Land geben. Präsident der Vereinigten Regenbögen? Es wäre ein schönes Amt für den Eskapisten Wulff.

Das kreuzbrave Kirchenlied "Wo Himmel und Erde sich berühren" enthält eine einsame Triole und mit den Refrainworten "neu beginnen, ganz neu" so etwas wie Wulffs gegenwärtiges Zwangsmantra. Aber will er uns mit Zeilen wie "Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen" und "Wo Menschen sich verschenken" vielleicht auch etwas über die eigene Amtsführung sagen? Die Ode "An die Freude" schließlich tut in diesem Zusammenhang, was sie bei Beethoven im Finale der Neunten nun gerade nicht tut: Sie verschlägt einem die Sprache. Und zwar doppelt: Schließlich werden auch die drei Vokalwerke beim Zapfenstreich militärisch scharf geblasen. Es singt: niemand.

Wir ahnen: Wulff nimmt den Großen Zapfenstreich nicht einfach auch noch mit wie all die anderen Vorteile und Gefälligkeiten in seinen bisherigen Ämtern. Er braucht das Ritual. Erst diese Zeremonie bei Fackelschein zwickt ihn ganz wach aus dem Buprä-Traumland, ihn und seine Bettina. Hoffentlich.