Im niedersächsischen Northeim müssen Raser keine Strafe zahlen - mit der Säge gegen Tempo 70

Kein Licht scheuen Autofahrer so sehr wie den Blitz aus einem "Starenkasten". In dieser Schrecksekunde hilft auch der Blick auf den Tacho nicht mehr. Allenfalls, um grob zu überschlagen, wie viel km/h zu schnell man war und ob "nur" 20 oder ein paar Hundert Euro Bußgeld drohen. So erging es 160 Rasern zwischen Lindau und Bilshausen im südlichen Niedersachsen. Alle waren - am 5. Dezember - schneller als mit Tempo 70 unterwegs. Es folgten Bußgeldbescheide bis zu 600 Euro, plus vier Punkte in Flensburg und vier Monate Fahrverbot für den Schnellsten, der mit 142 km/h geblitzt worden war.

Doch auf die Einnahmen dieses einen Tages hat der Landkreis Northeim ausnahmsweise verzichtet. Denn auf der Strecke waren alle Temposchilder zersägt und verschwunden - jedenfalls am Morgen des Folgetages. Und die Straßenmeisterei konnte nicht nachweisen, dass die Schilder am Vorabend noch gestanden hatten. Deshalb zog der Kreis die Bußgeldbescheide zurück, bestätigte gestern eine Sprecherin der Verwaltung.

Wer sich dabei an die Devise des englischen Hosenbandordens erinnert fühlt - "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt" -, muss sich belehren lassen. Denn die vertraute deutsche Übersetzung des französischen Originalzitats ("Honi soit qui mal y pense") führt in die Irre. Der "Schelm", heutzutage mit positiv schmunzelnder Bedeutung, war bis ins 19. Jahrhundert die eindeutignegative Umschreibung für einen (Klein-)Kriminellen. Heute wäre der Ausdruck "Schuft" treffender.

Vorsicht: Bei Verkehrsverstößen Finger weg von vermeintlich rettenden Sägen, nicht nur der Nerven wegen. Der Gnadenerlass von Northeim ist ein Sonderfall der Geschichte. Normalerweise erwarten die Blitzer vom Autofahrer sogar Gesetzestreue, wenn das Verkehrsschild "unsichtbar" ist, etwa unter einer frischen Schneeschicht. Das verborgene Tempolimit bleibt auch bei Wintereinbruch gültig. Wer aber mit dem Eiskratzer das Schild mal eben frei schabt, ist allemal unverdächtiger, als am Straßenrand mit Säge erwischt zu werden.