Ohne bizarre Gestalten, getrieben von Wahn und Wollust, hätte die Oper schon vor Jahrhunderten einpacken können. Im Barock trieben's die alten Götter auf der Bühne wild, bei Wagners stundenlangen Sippen- und Unsitten-Vertonungen gehörten Inzest und Weltenbrand zum guten Ton. Carmen, Violetta, Tosca, Lulu, Jenufa - alles keine Unschuldsengel. Sex und Crime (ohne Rock 'n' Roll) waren schon immer die sichersten Zutaten für Erfolgsrezepte. Langweilig und mittelmäßig ist man als Zuschauer schließlich selbst, mehr oder weniger glücklich verbandelt auch. Geschichten aus dem möglichst prallen Leben sind der tränchentreibende Stoff, aus dem Opern-Klassiker gestrickt werden. War immer so, bleibt auch so.

Und schon sind wir mitten im Fettnapf, wenn es um zwei oberflächlich herausragende Gründe für die Miss-Wahl der Londoner Royal Opera geht. In allerbester Opern-Tradition hat sich das Haus ein Stück über eine tragische Frauengestalt bestellt und ihr so zu einer weiteren Portion Unsterblichkeit verholfen: Das Ex-Playmate Anna Nicole Smith ist die Tit(t)elheldin der neuen Oper von Mark-Anthony Turnage, die im Februar 2011 Premiere haben wird.

Anna Nicole Smith? Richtig, das Mittelgebirgs-Model, dessen H&M-Plakate in Größe DD dutzendweise von testosterongetriebenen Tätern gemopst wurden. Die Trash-Blondine war mit dem 63 Jahre älteren Multimillionär Howard Marshall II verheiratet, der 1995, ein Jahr nach der Eheschließung, aus dem Rollstuhl ins Grab umgebettet wurde und ihr einen stattlichen Batzen Bares hinterließ. Hinter dem aber auch Marshall III, selbst schon im Pensionsalter, her war. Gleich drei Männer reklamierten später mit erbschleichenden Absichten die Vaterschaft von Smiths Tochter für sich. Wenige Tage nach dieser Geburt starb der 20-jährige Sohn aus erster Ehe an einem Drogencocktail. Der letzte Akt: Smiths Tabletten-Tod, wenige Monate später, in Florida.

Wenn das keine Steilvorlage für ganz große, unsterbliche Oper ist, was dann?