Das größte Mysterium der Engländer, so spottete Ephraim Kishon einmal, sei die Frage, warum sie nicht auswanderten.

Man weiß ja: Das Wetter, das Essen, statt Sex eine Wärmflasche ... Versucht haben es die teesüchtigen Seetüchtigen durchaus, den drei erwähnten Missständen per Emigration abzuhelfen - so zog es sie im Hundertjährigen Krieg mit Macht nach Frankreich. 1347 eroberten die Briten die französische Stadt Calais, verkehrsgünstig am Ärmelkanal gelegen, und blieben bis 1558.

Nun sind sich "Rosbifs" und "Froschfresser" bekanntlich in herzlicher Feindschaft zugetan; und die Bürger von Calais neigen üblicherweise nicht dazu, liebevolle Erinnerungen an die englische Besatzungszeit zu pflegen. Umso verblüffter waren die Insulaner nun, als der Präsident des Departements Pas-de-Calais, Dominique Dupilet, Stadt und Umland zu "Südengland" umetikettierte. Die "Times" mutmaßte, Königin Mary I., damals untröstlich, als die Franzosen Calais zurückeroberten, gebärde sich höchst amüsiert in ihrem Grab.

Von schnödem Landesverrat ist der listige Franzose allerdings weit entfernt. Hintergrund ist die Entscheidung von 2005, die Olympischen Spiele 2012 nach London zu vergeben - und nicht nach Paris. Ganz Frankreich war damals dem Freitod nahe, nur Monsieur Dupilet hisste fröhlich den Union Jack über seinem Amtssitz. Warum, das wurde jetzt klar: Unter Dupilet soll die Region Pas-de-Calais zum Sport-Herz Europas werden. An die Jugend (und Funktionäre) der Welt gewandt, erklärte der Franzose, Pas-de-Calais sei "die aktivste englische Region in Sachen Olympia. Und da wir nun mal der Süden Englands sind, könnt ihr eigentlich gleich bei uns trainieren - wir haben auch viel besseres Essen ..."

Dieser Argumentation haben sich bereits etliche Olympia-Teams aus drei Kontinenten angeschlossen und werden im nun wieder anglisierten Calais üben. "Wir wollen England doch nur helfen", beteuert Monsieur Dupilet treuherzig. "Wer will denn schon nach Birmingham?"