Heute geht es um Kastraten, auch Eunuchen genannt, eigentlich eine längst ausgestorbene Spezies, die sich, es liegt in der Natur ...

... der Sache, in ihrer ihnen geraubten Natur, nicht selber fortpflanzen konnte.

Eunuchen gab es in den Harems der Mohammedaner, Kastraten in den Mauern des Vatikans. Die einen, die Eunuchen, bewachten die Treue der Sultane, Emire und Scheichs, und auch uns Kritiker nannte man gerne Eunuchen: Sie wissen, wie's geht! Aber sie können es nicht. Jedenfalls nicht selber.

Kastraten wurden in vatikanischen Kirchenchören wegen ihrer glockenhellen, ja glockenreinen Stimme in ihrer männlichen Stimmbruchentwicklung gebremst. Sie konnten nur noch singen: hell und klar als Countertenöre.

Jetzt hat Frank Castorf, keineswegs ein Eunuch, sondern ein allseits tätiger Vermehrer seines Theaterensembles der Volksbühne Berlin, in Basel das Stück von Jakob Michael Lenz (eines Goethe-Freundes und Stürmers und Drängers), nämlich den "Hofmeister", inszeniert. Es war ein Lieblingsstück des großen Bertolt Brecht.

In ihm kastriert sich ein Hauslehrer und Hofmeister beim Adel, weil er sonst seine ihm anvertrauten Schülerinnen weiter schwängern würde. Für Brecht ein Stück, das die Selbstkastration deutscher Intellektueller im Duodezfürstenwesen zeigen sollte. Lenz, der Autor, wurde über diese seine Hauslehrerrolle wahnsinnig.

Nun aber hat in Düsseldorf ein 46-Jähriger vor Gericht gestanden, einem Bekannten mit bloßen Händen die Hoden abgerissen zu haben. Unappetitlich das, man mag sich das nicht ausmalen, ich zucke unwillkürlich beim Lesen zusammen. Und jetzt wieder beim Schreiben. Aua!

Doch ich erzähle die Geschichte nur wegen des Opfers. Der Täter ist inzwischen in die Psychiatrie weggesperrt. Doch das Opfer zeigte sich vor Gericht versöhnlich: "So was passiert schon mal!"

Was für ein wahrhaft versöhnliches Wort! Wie es nur ein Ochse sprechen kann, der froh ist, kein Stier mehr zu sein. Der kann ein Lied singen! Mit glockenreiner Stimme!