Eckart von Hirschhausen über das Singen

Wenn alle Jahre wieder der Gottessohn Owi lacht, der Verkehrsfunk meldet, dass ein Ros entsprungen ist und wenn Tannenbäume plötzlich Blätter haben, ist es gerade nicht stille Nacht, sondern die Nacht der Sänger ist heran- und hereingebrochen wie das schöne Morgenlicht. Das ganze Jahr über muss man warten, bis man betrunken ist, um öffentlich singen zu dürfen. Aber zur Weihnachtszeit ist es plötzlich erlaubt, auch ohne Glühwein mit Liedern Gefühle zu zeigen, die sich seit Hunderten von Jahren nicht geändert haben.

Singen macht glücklich und gesund. Sänger bekommen weniger Erkältungskrankheiten, weil sich mit der Stimme die Stimmung und die Abwehrlage verbessern. Singen ist ein natürliches Antidepressivum. Singen kommt vielen "unnatürlich" vor, was für ein Quatsch! Lange bevor wir als Babys den Inhalt der Sprache verstanden, erkannten wir die Sprachmelodie. Allein durch das, was wir durch die Bauchdecke vor der Geburt "aufgeschnappt" haben, konnten wir als Neugeborene bereits die Muttersprache von anderen Sprachen unterscheiden. Viele Wissenschaftler glauben heute, dass die Musik auch in der Menschheitsgeschichte vor der Sprache auftauchte. Wir können sprechen, weil wir geborene Sänger sind! Mit melodiehaften Lauten konnten die Urmenschen sich über Distanz nah sein. Denn die Gruppe wuchs und wo man bislang mit gegenseitigem Lausen Zuneigung zeigte, ersetzte jetzt das Singen die Zusammengehörigkeit. Reste dieses Ursprungs erkennt man in: "Da singt aber einer lausig." Weihnachten ist ja die Zeit, wo man plötzlich mit Menschen das Fest der Liebe feiert, die man aus guten Gründen den Rest des Jahres gemieden hat. Aber genau dafür können gemeinsame Rituale Gold wert sein, weil sie soziale Interaktion synchronisieren. (Scott S. Wiltermuth and Chip Heath, Synchrony and Cooperation, Psychological Science, 20 (1), 2009, pp. 1-5(5)).

Die Psychologen der Stanford University testeten, wie sich Menschen verhielten, nachdem sie zusammen gesungen hatten. Bei einem Kooperationsspiel konnte man Gelder für sich behalten und direkt profitieren oder für gemeinschaftliche Aufgaben einsetzen und davon langfristig profitieren. Synchrones Singen war der mächtigste Faktor, um dem menschlichen Hang zum Egoismus etwas entgegenzusetzen. "Da, wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder" ist also der falsche Schluss: Wer singt, wird genau dadurch gemeinschaftlicher. Das Loriot'sche Hoppenstedt-Dilemma, in welcher Reihenfolge man Geschenke auspacken, Baum und Gemütlichkeit synchronisiert, ist also mit gemeinsamer Musik am elegantesten zu lösen. In diesem Sinne - eine lautstarke harmonische Nacht, oh du fröhliche Christenheit! Jauchzet, frohlocket!