Natürlich ist der Typ wahnsinnig. Das wusste ich ja. Bloß getroffen hatte ich ihn noch nie. Er mich auch nicht. Dann setzte er zu einem Punch an, der Folgen haben sollte. Wyclef Jean ist einer der erfolgreichsten Hip-Hop-Musiker und Produzenten für Superstars wie Shakira, Santana und andere. Als ich im Backstagebereich des Open-Air-Konzerts in Wilhelmsburg am 23. August 2014 auf mein Zeitfenster für das Interview wartete, kam ein junger Kollege heraus und sagte: „Der Typ ist wahnsinnig.“ Das wusste ich ja. Ich ging rein. Er stand am Ende des Raums und testete mit seinem Gitarrenmann Effektgeräte und Looper. Er kam zu mir in die kleine Sitzecke, fixierte mich und begann: „You want an interview? Fifty Push-ups first!“

    Nun sind 50 Liegestütze als Gegenleistung für seine Gesprächs­bereitschaft für einen Journalisten Neuland. Entsprechend kalkulierend schaue ich. „Okay“, sagt Wyclef Jean, „du bist alt, du machst 30.“ Pause. „20.“ Ich: „50 – und wir reden, solange ich will.“ Er weiß nicht, dass ich Deals mit Amerikanern schon häufiger gemacht hatte. Kurzer Blick: „Yep.“ Ich stütze den Körper vorschriftsmäßig 50-mal hoch und runter. Nur zwischendurch wuchte ich den ganzen angespannten Reporter in der Horizontalen ein paarmal ganz vom Boden. Das kenne ich vom Turnen und weiß um den Eindruck, den das schindet. Dann Interview, alle Fragen erlaubt, er spricht offen über die Herausforderungen für die Musik, die Vermarktung im Internet, seine gescheiterte Präsidentschaftskandidatur in Haiti, dass er angeschossen wurde und über Fehler von Präsident Barack Obama. Nach dem Interview fragt er mich nach meinem Namen und bittet mich, während des Konzerts in Bühnennähe zu bleiben.

    Dann, während der Show, ein Break. Er ruft: „Wo ist Chris?“ Ich muss auf die Bühne. Wieder fixiert er mich wie einen Box-Rivalen kurz vor dem ersten Gong. Vor 6000 Zuschauern machen wir Kopf an Kopf einen Liegestützwettbewerb, während vom Band „Hips Don’t Lie“ dröhnt. Mein neuer Freund Clef muss nach vielleicht 30, 40 Liegestützen aufhören. Ich habe gewonnen. Dann gehe ich ab. Er wütet weiter singend und Gitarre spielend über die Bühne. Große Show. Am nächsten Tag schickt er Bilder. Hat ihm gefallen. Mir auch.

    Zu wenig Distanz für einen Musikkritiker­? Möglich. Aber ohne Liegestütze kein Interview. Für die Leserinnen und Leser war dieses körperliche Investment sinnvoll. Ein Zugeständnis­ an einen musikalisch Wahnsinnigen.