Dass mir einmal ein Mausklick eine neue Familie bescheren würde, hätte ich vor dem 14. Dezember 2003 nie für möglich gehalten. Ich saß am Schreibtisch in meinem Büro in der Regionalredaktion des Hamburger Abendblatts in Ahrensburg und sah, dass mir der Leserservice eine E-Mail weitergeleitet hatte. Erstaunt öffnete ich die Nachricht. Es war nur ein kleines unscheinbares Geräusch – Klick –, das meine Welt jedoch auf den Kopf stellte.

    Dann las ich: „Hallo, Thomas Jaklitsch, sorry für die Belästigung, aber ich bin auf der Suche nach meinem Halbbruder, der so heißt wie Du. Mein Name ist Maria, und ich lebe mit meiner Familie in Graz/Österreich.

    Wenn Du der bist, den ich suche, dann heißt Dein Vater Herfried und kommt aus Murau. Ich würde mich sehr über eine kurze Rückmeldung freuen. So oder so!! Danke LG Maria. PS: Bin auf Deinen Namen über das Hamburger Abendblatt gestoßen.“

    Meine Gefühle fuhren Achterbahn, denn ich wusste sofort, dass ich der Gesuchte bin. „Ich habe eine Schwester!“ Diese Nachricht sickerte langsam in mein Bewusstsein ein. Ich wusste, dass mein Vater, an den ich keinerlei Erinnerung hatte, in Österreich lebt, aber sonst? Geschwister? Das hatte ich nur vermutet, aber jetzt war es Realität.

    Meine Eltern hatten sich kurz nach meiner Geburt getrennt. Mit fünf Jahren kam ich mit meiner Mutter nach Deutschland. Ich bin in Hamburg eingeschult worden. Der Kontakt zur mütterlichen Verwandtschaft in Österreich ist bis heute äußerst gut. Als Kind und Jugendlicher war ich jeden Winter zum Skifahren in meiner Heimat. Von der anderen Seite der Familie wusste ich, abgesehen vom Namen meines Vaters, so gut wie nichts.

    Wie Maria mir später erzählte, waren sie und zwei weitere Geschwister mit dem Wissen aufgewachsen, dass es irgendwo auf der Welt noch einen älteren Bruder gibt. Als Kinder hatten sie oft darüber fantasiert, auf welche Weise sie mich wohl finden konnten. Sie hatten es auch immer mal wieder versucht – allerdings anfangs überwiegend in den USA und Kanada gesucht, weil meine Mutter dort als junge Frau vor meiner Geburt als Krankenschwester gearbeitet hatte.

    Zuerst schrieben Maria und ich uns, dann telefonierten wir. Und im folgenden Sommerurlaub trafen wir uns zum ersten Mal mit unseren Partnern und Kindern in unserer gemeinsamen Heimat in der Steiermark – allerdings noch auf neutralem Boden. Gleich die erste Begegnung war sehr herzlich. Die Redewendung „Blut ist dicker als Wasser“ – auf uns traf sie zu. Wir verbrachten einige schöne Tage zusammen. Meine beiden Töchter waren begeistert, plötzlich Onkel und Tante zu haben.

    Doch das war nur der Anfang: Einige Monate später lernten wir auch meinen Vater und seine heutige Frau, die anderen Geschwister und deren Familien kennen. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden, über die vergangenen Jahre ein herzliches Verhältnis zueinander entwickelt, gemeinsam Familienfeste gefeiert, die Geburten von Nichten und Neffen erleben dürfen. Den älteren Kindern konnten wir beim Erwachsenwerden zuschauen. Und ich fühlte mich komplett, weil ich jetzt endlich meine Wurzeln kannte.

    Meine Kinder lieben ihren Opa und ihre Oma und genießen jedes Zusammensein mit ihren Cousins und Cousinen.

    Die E-Mail vom Leserservice des Hamburger Abendblatts hat mein Leben reicher gemacht. Manchmal braucht es eben nur einen Mausklick, um zusammenzubringen, was zusammengehört.