Nyon/Essen. Der Deutsche Fußball-Bund setzte sich bei der Vergabe der Fußball-Europameisterschaft 2024 durch den europäischen Verband Uefa in Nyon mit 12:4 gegen den türkischen Verband TFF durch

    Reinhard Grindel war mit seinen Gedanken schon bei der Europameisterschaft 2020. Auf der Bühne in Nyon verhaspelte sich der aufgeregte Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und bedankte sich kurzerhand für die EM in zwei Jahren. Die ist es nicht, aber doch: Deutschland wird 2024 zum zweiten Mal nach 1988 eine europäische EM-Endrunde austragen – 2024 in zehn Stadien zwischen Berlin, Bayern und natürlich Hamburg.

    Mit großer Mehrheit entschied sich das Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union (Uefa) am Donnerstag gegen die Türkei und für Deutschland. „Ich bedanke mich für das Vertrauen. Ich spüre Verantwortung“, sagte ein erleichterter Grindel, der zuletzt stark unter Druck geraten war. Philipp Lahm, der nun vom EM-Botschafter zum Turnierdirektor aufsteigen wird, war ebenfalls erleichtert: „Ich bin sehr stolz. Es war eine unglaubliche Spannung. Wir sind sehr gastfreundlich und offen, das wollen wir zeigen. Wir wollen gemeinsam ein riesengroßes Fest mit ganz Europa feiern.“

    Als Austragungsorte für die 51 Partien stehen fest: Berlin, München, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt und Leipzig sowie die vier Städte in Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, Dortmund, Gelsenkirchen und Köln. Hamburg wird sich für die Austragung von vier Gruppenspielen und einem Halbfinale bewerben (siehe Bericht auf dieser Seite).

    Wo Eröffnungsspiel und Finale steigen, wird noch festgelegt. In seinem Bewerbungsvideo gab der DFB aber darauf schon einmal einen deutlichen Hinweis. Mit einer Virtual-Reality-Brille schaut Uwe Seeler in die Zukunft – dabei ist eine Einblendung zu sehen: „14 Juli 2024 Uefa Euro Final Olympiastadion, Berlin“. Für das Eröffnungsspiel stehen zudem noch München und Dortmund zur Auswahl.

    Deutschland darf zum zweiten Mal nach 1988 eine EM-Endrunde (damals noch mit acht Mannschaften) ausrichten. Zuletzt überzeugte das Land bei der WM 2006 als stimmungsvoller Gastgeber. Millionen Fans feierten bei sommerlichen Temperaturen ausgelassen und friedlich auf den Partymeilen in Berlin, München oder Düsseldorf.

    Einen Vorgeschmack auf 2024 wird es bereits vier Jahre zuvor geben. Die nächste EM 2020 wird als erstes paneuropäisches Turnier in zwölf Ländern – darunter Deutschland mit München – ausgetragen. Für das Heim-Turnier 2024 wird sich Deutschland als Gastgeber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht qualifizieren müssen.

    Sicher konnte sich Deutschland bei der Abstimmung nicht sein, der Mitbewerber Türkei bot steuerliche Vorteile bei der Austragung eines EM-Turniers. Die Lage der eingeschränkten Presse- und Meinungsfreiheit brachte der Türkei hingegen sehr viel Kritik an. Letztendlich war die Entscheidung eindeutig: 12:4 für Deutschland bei einer Enthaltung lautete das Votum.

    Trotzdem fiel der Jubel in der deutschen Delegation zurückhaltend aus, als Uefa-Präsident Aleksander Ceferin um 15.21 Uhr das Geheimnis des weißen Umschlags lüftete. Spontan fielen sich Reinhard Grindel, Philipp Lahm und Bundestrainer Joachim Löw um den Hals, echter Enthusiasmus sieht allerdings anders aus. Lahm erklärte die Zurückhaltung später so: „Wenn man gewinnt, das habe ich als Sportler immer festgestellt, gibt es auch irgendjemanden, der verliert. Und man muss auch den Verlierern immer wieder Respekt zollen.“

    Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hält sich derzeit in Berlin auf. Die Entscheidung soll er in der deutschen Hauptstadt an einem Fernseher verfolgt haben. Was er dachte, ist nicht bekannt. Der türkische Sportminister Mehmet Muharrem Kasapoglu reagierte enttäuscht. Die Türkei habe eine starke Bewerbung vorgelegt und besitze neue Stadien. „Dass die Uefa trotz all unserer Stärken die Europameisterschaft nicht an unser Land vergeben hat, ist eine traurige Situation.“ Und weiter: „In dieser geografischen Lage wäre die Organisation dieses Turniers eine Win-win-Situation gewesen.“ Die Türkei hatte sich nun zum vierten Mal vergeblich für eine Endrunde beworben.

    Für die Türkei und insbesondere Präsident Erdogan wäre die EM-Endrunde ein Prestigeprojekt gewesen. Für den DFB hingegen war der Druck als Favorit ungleich höher. Die zurückhaltende Freude in Lyon wie auch Grindels Versprecher könnten als Indiz für den enormen Druck auf den Verband gedeutet werden.

    Einem Musterschüler gleich hatte der DFB im April 2018 eine 868 Seiten starke Bewerbung eingereicht – inklusive 760-seitigem Anhang mit Unterstützerschreiben aus Politik und Sport und gar nicht gefordertem Nachhaltigkeitskonzept. Doch auf das Foto von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatspräsidenten oder das blamable WM-Vorrundenaus hatte der größte Sportverband Deutschlands weitaus weniger Antworten.

    Als Mesut Özil geräuschvoll zurücktrat und Rassismus anprangerte, musste Reinhard Grindel Vorwürfe abwehren. Das Vertrauen vor allem in seine Arbeit hatte so sehr gelitten, dass die EM-Vergabe als Schicksalsfrage für seine persönliche Zukunft ausgelegt wurde. „Wir werden ab morgen alles dafür tun, den Erwartungen gerecht zu werden“, sagte der DFB-Präsident am Donnerstag. Vor allem den Erwartungen an ihn.

    Direkt nach der Bekanntgabe herrschte in Deutschland schon EM-Euphorie. Auch in Hamburg war die Freude über den Zuschlag groß, wo das Volksparkstadion (51.500 Sitzplätze) erneut Spielstätte sein wird. „Das Votum der Uefa ist ein starkes Signal für die Fußballnation und für unsere Stadt im Besonderen“, sagte Innensenator Andy Grote. „Die Active City Hamburg ist als international renommierter Austragungsort von Sportgroßveranstaltungen perfekt geeignet. Mit dem Spirit ‚United by Football‘ freuen wir uns auf Mannschaften und Fans aus ganz Europa, für ein begeisterndes Fußballfest zwischen Alster und Elbe.“

    In Berlin machte das Wort vom Sommermärchen 2.0 die Runde: „Zur EM 2024 wird Deutschland und werden die Berlinerinnen und Berliner mit ihren internationalen Gästen ein weiteres Sommermärchen feiern, auf das wir uns jetzt schon freuen können“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. „Ich bin sicher, Berlin wird inmitten dieses Sommermärchens eine zentrale Rolle spielen.“

    Doch vor dieser Zukunft gibt es in Nordrhein-Westfalen auch Skepsis. In Dortmund war die Bewerbung als EM-Standort anfangs wegen finanzieller Bedenken zurückgestellt worden. Auch in Düsseldorf wurde über die Bewerbung lange diskutiert. Nach einer Schätzung müssten in die Heimstätte von Fortuna Düsseldorf vier Millionen Euro investiert werden. Ähnliches dürfte für die Schalker Arena in Gelsenkirchen gelten.

    Kleiner Trost: Bei der WM 2006 hatte der DFB einen Nettogewinn von über 50 Millionen Euro erwirtschaftet, in die Kasse des Fiskus flossen insgesamt 90 Millionen Euro.