Arbeitnehmervertretungen sind im Profifußball die große Ausnahme. In der Zweiten Liga gilt der FC St. Pauli als Vorreiter. Still und heimlich bekommen nun auch die Angestellten vom Lokalrivalen Regeln für Wochenendarbeit und Überstunden. Nicht alle im Volkspark halten das für eine gute Idee

    Frank Wettstein kann sich noch gut erinnern, als er im März dieses Jahres erstmals das Wort „Betriebsrat“ im Volkspark hörte. Der HSV hatte gerade 0:6 gegen Bayern München verloren. Trainer Bernd Hollerbach? Entlassen! Sportchef Jens Todt? Entlassen! HSV-Chef Heribert Bruchhagen? Entlassen! Und nun also auch noch ein HSV-Betriebsrat?!? „In der Situation, kurz vor einem drohendem Abstieg, herrschte offensichtlich große Unsicherheit in der Belegschaft“, sagt der damalige Allein-Vorstand, der sechs Monate später offen zugibt, dass der in der Fußballbranche eher ungewöhnliche Wunsch zunächst nicht gerade Euphorie in ihm auslöste. Aber letztendlich würde sich ja auch kein Betriebsrat konstituieren, so Wettstein ehrlich, wenn man gerade die Champions League gewonnen hätte.

    Die Königsklasse haben die Hamburger seitdem tatsächlich nicht gewonnen. Im Gegensatz zu dem angekündigten Betriebsrat, der beim HSV in der vergangenen Woche, am 30. August, still und heimlich gewählt wurde. Und so eigenartig das Projekt eines Betriebsrats im Millionengeschäft Profifußball daherkommen mag: Hier und da gibt es ihn tatsächlich schon. Der HSV ist jedenfalls nicht der erste Proficlub, der eine Arbeitnehmervertretung bekommt. In der Bundesliga lassen sich auch die Angestellten von Borussia Dortmund (seit 2005/06) und vom VfL Wolfsburg (seit 2010) vertreten. Bei Bayer Leverkusen gibt es als Betriebsratsäquivalent sogenannte Vertrauensleute, die im Vierjahresturnus gewählt werden. Und in der Zweiten Liga hat neben dem HSV ausgerechnet nur noch der FC St. Pauli eine gewählte Arbeitnehmervertretung. Hamburg ist ab sofort also so etwas wie der inoffizielle Betriebsratsmeister Deutschlands.

    Hamburg ist Hauptstadt der Betriebsräte im Profifußball

    „Ich bin überrascht, dass so wenige Bundesligaclubs einen Betriebsrat haben. Umso schöner ist es für uns in Hamburg, dass bei uns gleich beide Clubs einen Betriebsrat haben“, sagt André Kretschmar, Fachbereich Besondere Dienstleistungen bei Ver.di Hamburg. Der Gewerkschafter hat bereits den FC St. Pauli 2002 bei der Gründung eines Betriebsrats unterstützt und war nun auch beim HSV in diesem Sommer für die mehr als 400 Wahlberechtigten der wichtigste Ansprechpartner.

    Im Gespräch mit dem Abendblatt bestätigt Kretschmar auch, dass es den Wunsch, eine Arbeitnehmervertretung zu gründen, bei den Mitarbeitern des HSV schon seit Längerem gegeben habe. Doch erst der drohende Abstieg in der vergangenen Saison mit der verbundenen Unsicherheit und Sorge, dass dem finanziell angeschlagenen Club ein massiver Stellenabbau bevorstehe, hat die HSV-Angestellten letztlich aktiv werden lassen. Unmittelbar nach dem Abstieg hat es in Zusammenarbeit mit Ver.di am 31. Mai eine erste Wahlversammlung gegeben, die eigentliche Betriebsratswahl wurde unbemerkt von der Öffentlichkeit in der vergangenen Woche am 30. August durchgeführt.

    Doch warum all die Geheimniskrämerei in den vergangenen Wochen? Vielleicht, weil die Gründung eines Betriebsrats bei einem Fußballclub durchaus Fragen aufwirft. So hatten auch mehrere HSV-Verantwortliche die Sorge, dass eine neu gewählte Arbeitnehmervertretung das Tagesgeschäft noch einmal zusätzlich erschweren könnte. Eine ganze Reihe von Gerüchten machte im Volkspark die Runde: Zum einen hieß es, dass ein Betriebsratsvorsitzender automatisch einen Sitz im AG-Aufsichtsrat bekommen würde. Zum anderen wurde darüber gerätselt, ob ein HSV-Betriebsrat, der ja auch über Einstellungen und Entlassungen mitentscheiden kann, zukünftig bei Millionentransfers ein Vetorecht habe. Und schließlich wurde noch darüber gestritten, ob sich nun auch die Millionäre in kurzen Hosen an den Betriebsrat wenden könnten, wenn diese mal sportlich nicht wie gewünscht zum Zuge kämen.

    Um es kurz zu machen: Blödsinn das alles. „Wir konnten die meisten Bedenken auf der Wahlversammlung ausräumen“, sagt Ver.di-Experte Kretschmar, der sogar extra in Begleitung eines Juristen in den Volkspark gekommen war. „In Wahrheit ist es völlig praxisfern, dass nun plötzlich die Fußballprofis oder Bundesligatrainer Unterstützung vom Betriebsrat brauchen“, so Kretschmar. „Genauso praxisfern ist die Annahme, dass nun der Betriebsrat bei Spielerkäufen ein Veto einlegen könnte.“ Und auch Finanzvorstand Wettstein beschwichtigt: „Am Ende des Tages ist ein Betriebsrat immer dem Gesamtwohl des Unternehmens verpflichtet. Das wird sich dann in der Praxis finden. Wir haben aber nicht die Sorge, dass wir jetzt bei Spielerverpflichtungen mehr Zeit brauchen.“

    Fritz Lünschermann kann sich ein Lachen nicht verkneifen, als er von den Hamburger Sorgen erfährt. Der Dortmunder ist so etwas wie der Lothar Matthäus der Fußball-Betriebsräte, der Rekord-Arbeitnehmervertreter. Seit 1988 arbeitet der frühere Journalist bereits beim BVB, seit der Saison 2005/2006 ist er Betriebsratsvorsitzender der Borussen. „Jeder Club muss selbst entscheiden, ob ein Betriebsrat gebraucht wird oder nicht“, sagt Lünschermann, der keinen Hehl daraus macht, dass auch in Dortmund der Impuls zur Gründung von der Sorge um die wirtschaftliche Lage des Clubs ausging. „Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass der BVB seinerzeit kurz vor der Insolvenz stand. Da uns damals ein Personalabbau drohte, haben wir einen Betriebsrat gegründet. So wollten wir die Rechte aller Mitarbeiter stärken.“

    Ähnlich war die Situation im Frühjahr wohl auch beim HSV. Der „Stern“ stellte seinerzeit ziemlich steil fest: „Eine seit Jahren leere Kasse treibt den Traditionsclub nun wohl geradewegs in die Insolvenz.“ Parallel zu den Verbindlichkeiten wuchsen auch die Sorgen der HSV-Angestellten. Zwar hatte Hamburgs neuer Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann direkt nach dem Abstieg versprochen, dass es in diesem Jahr keine betriebsbedingten Kündigungen geben werde. Gleichzeitig wusste und weiß aber jeder Angestellte im Club, dass jenes Schreckensszenario für den möglichen Fall eines verpassten Wiederaufstiegs im kommenden Sommer ein Déjà-vu-Erlebnis haben könnte.

    Dieses Worst-Case-Szenario drohte auch dem FC St. Pauli, der vor 16 Jahren als erster Fußballclub in Deutschland seinen eigenen Betriebsrat wählen ließ. „Kurz darauf hatte unser Verein große finanzielle Probleme – und da war es ein echter Glücksfall, dass wir einen Betriebsrat hatten“, sagt St. Paulis Betriebsratsvorsitzender Hendrik Lüttmer im Namen des gesamten Gremiums. „Ein Betriebsrat hilft gerade dann sehr, wenn es erhöhten Gesprächsbedarf gibt, zum Beispiel wenn Menschen um ihren Arbeitsplatz fürchten.“

    Im darwinschen Überlebenskampf des Geschäfts Profifußball erscheint es umso verwunderlicher, dass bis heute lediglich Borussia Dortmund, der VfL Wolfsburg, der FC St. Pauli und nun eben auch der HSV eine echte Arbeitnehmervertretung gegründet haben. „Möglicherweise liegt es daran, dass die Mitarbeiter in einem Fußballverein eine extrem hohe emotionale Bindung zum Arbeitgeber haben, sodass viele Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, dass man einen Betriebsrat bräuchte“, orakelt Ver.di-Mann Kretschmar. Und weiter: „Dabei darf man nicht vergessen, dass ein Betriebsrat ja lediglich die Interessen der eigenen Mitarbeiter vertritt. Und insbesondere bei Fußballclubs, bei denen die Hauptarbeit am Wochenende stattfindet, bei denen es viele Überstunden und oft eine Mehrbelastung gibt, halte ich einen Betriebsrat durchaus für eine gute Sache.“

    Diese gute Sache ist in den vier Clubs allerdings genauso unterschiedlich geregelt wie deren Struktur. Die HSV Fußball AG und der FC St. Pauli e. V. haben jeweils elf gewählte Räte, der VfL Wolfsburg hat innerhalb des VW-Betriebsrats nur einen VfL-Vertreter, und der BVB leistet sich sogar den Luxus von zwei Neuner-Betriebsräten: einen für die Merchandising-Abteilung und einen für die KGaA Borussia Dortmund.

    St. Pauli hatte den ersten Betriebsrat aller Proficlubs

    „Wenn 80 Prozent der Bundesligaclubs bereits einen Betriebsrat hätten, dann würde man sich über derartige Themen wie das theoretische Einspruchsrecht bei Spielerverpflichtungen wahrscheinlich keine Sorgen mehr machen“, sagt der Gewerkschafter Kretschmar, der im Gegensatz zu den Clubs kein großes Geheimnis aus der Einführung eines Profifußball-Betriebsrats machen will.

    Das Abendblatt hatte alle Clubs, die eine Arbeitnehmervertretung haben, kontaktiert und lediglich beim BVB ein schnelles und unkompliziertes Feedback erhalten. Beim FC St. Pauli, dem Dino der Fußball-Betriebsräte, musste jedes Statement zunächst einmal basisdemokratisch vom gesamten Gremium abgesegnet werden. In Wolfsburg wollte man sich trotz mehrfacher Nachfrage öffentlich gar nicht äußern, auch beim HSV hielt man nur wenig von der Idee, ganz offen über die Besonderheiten eines Betriebsrats im Profifußball zu reden.

    „Grundsätzlich kann ich meine Kollegen in den anderen Clubs zu diesem Schritt nur ermutigen, da der Betriebsrat mit der Geschäftsführung eines jeden Clubs auch über die Ausrichtung des Vereins spricht“, sagt BVB-Urgestein Fritz Lünschermann, der den wichtigsten Grund für eine geregelte und gut aufgestellte Arbeitnehmervertretung auch kurz und knapp benennen kann: „Es gibt auch ein Leben neben dem Fußball.“