Mit 300 kostenlosen Angeboten bis Ende September will die Stadt ihre Bürger zum Sport animieren. Am Mittwoch wurde in Eimsbüttel die sechste Bewegungsinsel eingeweiht

    Krawatte und Oberhemd hat Christoph Holstein (54) abgelegt, als er an den Geräten der neuen grünen Bewegungsinsel hinter der Eis- und Radrennbahn Stellingen an der Hagenbeckstraße Sit-ups, Liegestütze und Klimmzüge demons­triert. „Niedrigschwellig“ nennt der Sportstaatsrat das neue Angebot der Stadt an seine Bürger, das den Nachahmern bei Temperaturen um 28 Grad Celsius jedoch etliche Schweißperlen auf die Stirn zaubert.

    Willkommen im Active City Summer. 14 Hamburger Vereine bieten in den nächsten zwei Monaten mit qualifizierten Trainern und Übungsleitern mehr als 300 Sportkurse im Freien und in ihren Räumen kostenlos an, rund 35 pro Woche (siehe Übersicht rechts). Jeder darf und kann mitmachen, Untrainierte, Sportliche, jede Altersgruppe. Anmeldungen sind nicht erforderlich, ein Einstieg zu jedem Zeitpunkt möglich. Ein Kurs dauert in der Regel eine Stunde. Auf dem Programm stehen Yoga, Outdoor-Fitness, Kraft-, Cardio- und Ausdauertraining, Stabilisationsübungen, Nordic-Walking, Parkour, Beachvolleyball und vieles mehr. Alle Hilfsmittel gibt es vor Ort. Was fehlt sind bei Kursen im Freien Toiletten, Dusch- und Umkleidemöglichkeiten – nicht nur ein Hamburger Problem.

    Die Hamburger Agentur Sportplatz organisiert und koordiniert den Active City Summer 2018, die Stadt, Initiator und Hauptgeldgeber, zahlt dafür 75.000 Euro. Der gesetzliche Krankenversicherer BKK Mobil Oil und Smart mit zwei Kleinwagen als Mobilitätspartner unterstützen die Aktion, die in den kommenden Jahren fortgeführt, erweitert und flächendeckend umgesetzt werden soll. „Es könnten kleine und größere Events dazukommen, zusätzlich Themen wie Ernährung und Stressabbau“, sagt Agenturchef Werner Richnow. Das Angebot soll den Vereinssport weder ersetzen noch ergänzen, sondern die Teilnehmer ermuntern, in die Clubs einzutreten. Ob das gelingt, wird im nächsten halben Jahr evaluiert. „Für uns ist das auch eine Werbemaßnahme“, sagt Klaus Warm, der Vorsitzende des Altonaer Turnverbandes von 1845. Früher sei Sport ausschließlich im Freien betrieben worden, „Hallen kamen erst viel später dazu“. Insofern, sagt Warm, sei das jetzt nichts Neues, aber ein guter Ansatz. Das sieht Jürgen Hitsch, Geschäftsführer von Grün-Weiß Eimsbüttel, ähnlich: „Jedes neue Angebot schafft neue Nachfrage, neues Interesse. Deshalb sind wir für jede Initiative dankbar, wenn entsprechende Zusatzmittel für die Clubs bereitstehen.“ Die Agentur Sportplatz garantiert sie für den Active City Summer.

    „Immer mehr Menschen bewegen sich immer weniger“, sagt Vorturner Holstein. Das versuche die Stadt nun schon seit Jahren zu ändern, für den momentan urlaubenden Sportsenator Andy Grote ist es ein zentrales Anliegen seiner Amtszeit, Hamburg von der Stelle zu bringen. „Wir wollen die Menschen aber nicht mit erhobenem Zeigefinger belehren“, sagt Holstein, „sondern sie zu mehr Bewegung motivieren. Dafür schaffen wir in der Stadt jetzt immer mehr Gelegenheiten.“

    Die Bewegungsinseln, die bereits in sechs der sieben Hamburger Bezirke in Parks und an Wanderwegen zum Trimmen einladen, sind Teil des Konzeptes. Jede kostet rund 50.000 Euro plus 5000 Euro Planung und dieselbe Summe jährlich für Wartung. Es sind fest installierte Stahlkonstruktionen, die Wind, Witterung und Vandalismus trotzen und Bauch, Peine, Po, Arme, Nacken und Rücken stärken sollen. „Die Bewegungsinseln sind attraktive Anziehungspunkte. Sie schaffen Identifikation im Quartier und werden zunehmend genutzt“, berichtet Beate Wagner-Hauthal, Geschäftsführerin des Vereins Parksportinsel, von ihren Erfahrungen im Wilhelmsburger Inselpark. „Besonders Familien nehmen an Wochenenden unser Angebot ,Sport und Spiel‘ wahr.“

    Dass der Staat seine Bürger zu mehr Aktivität ermuntert, könnte helfen, jährlich zweistellige Milliardenbeträge im Gesundheitswesen einzusparen. Bewegung gilt inzwischen als bester Schutz vor den heutigen Zivilisationskrankheiten. „Es gibt starke Hinweise auf eine gesundheitsfördernde, vorbeugende und Krankheiten herauszögernde Wirkung des Sports für Herz-, Kreislaufbeschwerden, Bluthochdruck, Diabetes, Asthma, Osteoporose, Krebs, Arthritis, Depressionen und neuerdings auch Demenz“, sagt der anerkannte Eimsbütteler Internist und Tennisspieler Christoph Müller-Schwefe.

    Handeln ist angesagt. Die jüngste Studie des Meinungsforschungsinstituts GfK Nürnberg im Auftrag der Deutschen Krankenversicherung (DKV) alarmiert. Nur neun Prozent der repräsentativ befragten 2885 Personen führen in allen fünf Kriterien (körperliche Aktivitäten, Ernährung, Rauchen, Alkohol, Umgang mit Stress) ein gesundes Leben, der bisher niedrigste ermittelte Wert. Kleiner Trost: Die Hamburger und Sachsen sind mit zwölf Prozent unter diesen Gesichtspunkten die Gesündesten. Aber: Bundesweit erreichen nur noch 43 Prozent das empfohlene Mindestmaß an Bewegung. Vor acht Jahren waren dies 60 Prozent. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten Erwachsene pro Woche mindestens 150 Minuten moderat körperlich aktiv sein oder 75 Minuten intensiv. Zehn Minuten tägliche Bewegung am Stück wären ausreichend – und weit weniger sitzen. Laut DKV-Studie sitzen Hamburger und Hamburgerinnen im Alltag durchschnittlich 488 Minuten, mehr als acht Stunden. Die Berliner sind hier mit 518 Minuten Spitzenreiter.

    Active City ist aber weit mehr als ein reines Bewegungsprogramm. „Im Idealfall können wir ein neues Leitbild für die Stadt entwickeln“, sagt Staatsrat Holstein. „Das erwartete Bevölkerungswachstum Hamburgs darf nicht auf Kosten der Lebensqualität und eingeschränkter Bewegungsmöglichkeiten gehen. Um das zu verhindern, kann der Sport eine wichtige Rolle spielen.“ Ziel sei es, dass der Sport in allen Behörden, bei allen baulichen und organisatorischen Maßnahmen mitgedacht werde. Bestes Beispiel dafür sei aktuell die Planung des neuen Stadtteils Oberbillwerder nordwestlich von Bergedorf. Dort entstehen großzügige Bewegungsräume, ausreichend Sportplätze- und -hallen für die künftigen Anwohner, der Autoverkehr soll auf ein notwendiges Mindestmaß reduziert werden.

    Trotz der im November 2015 per Referendum gescheiterten Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2024/2028 hat Hamburg in den vergangenen zweieinhalb Jahren weitere Millionen in den Sport investiert, in den Leistungs-, Breiten- und Freizeitsport, auch in neue Premiumveranstaltungen wie den Ironman. Das sei allein schon der Tatsache geschuldet, hieß es bei der Beschlussfassung im Frühjahr 2016 im Senat, dass die Stadt zu den sportlichsten Metropolen der Republik zählt, nach einer Studie des Jahres 2010 sei sie sogar die sportlichste. Mehr als 900.000 Mitgliedschaften in Vereinen und Sportstudios belegen dies.

    Die Planungsmanagement & Projektberatung Albert Speer & Partner, im Jahr 2015 als Arge 2024 für die Erstellung der Dokumente für die Olympiabewerbung verantwortlich, prüfte 2016, wie Hamburgs „olympisches Erbe“ aussehen könnte. Die damalige Empfehlung: 150 der einst 900 geplanten Maßnahmen sollten im Interesse der Stadtentwicklung auch ohne die Spiele weiter verfolgt werden. Etwa 30 dieser Projekte sind vorerst in den Masterplan Active City aufgenommen worden. Sie sollen bis 2024 umgesetzt werden. Insgesamt dürften sich die geplanten städtischen Investitionen auf mehr als 120 Millionen Euro summieren, allein die Sanierung, Modernisierung und Erweiterung der Alsterschwimmhalle an der Sechslingspforte wird etwa 75 Millionen Euro kosten. Unabhängig davon läuft das Sportstätten-Sanierungsprogramm des Senats mindestens bis zur Bürgerschaftswahl 2020 weiter. Und die Erfahrungen der Vereine lehren: Attraktive und moderne Sportstätten sind die besten Animateure.