CDU-Oppositionschef André Trepoll betont im Abendblatt-Interview seinen Machtwillen. Ob er Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl 2020 werden will, lässt er noch offen, aber: „Das ist allein meine Entscheidung.“


    Er ist um deutliche Worte nicht verlegen: Für CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef André Trepoll ist Peter Tschentscher (SPD) nur ein „Übergangsbürgermeister“. Trepoll fordert eine kontinuierliche Videoüberwachung auf dem Jungfernstieg, hält einen Anstieg auf 2,2 Millionen Einwohner in Hamburg für unverträglich und ist stattdessen „für nachhaltiges Wachstum“, das „insgesamt für die Stadt von Vorteil ist“.

    Herr Trepoll, haben Sie noch Mitleid mit Peter Tschentscher wie zu Beginn seiner Amtszeit als Bürgermeister, als Sie ihn von starken Parteifreunden umstellt sahen?

    André Trepoll: Es war schon bemerkenswert, dass der Erste Bürgermeister in seiner 100-Tage-Bilanz mehrfach auf seine Richtlinienkompetenz hinweisen musste. Das zeigt doch deutlich, dass er ziemlich überraschend und unvorbereitet ins Amt gekommen ist. Es bleibt dabei, dass viele Menschen relativ wenig mit ihm verbinden. Nur den Kurs von Olaf Scholz fortzusetzen – Technokratie statt Demokratie –, das wird kaum Begeisterung auslösen. Es gibt ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Identität.

    Scholz war ziemlich dominant, Peter Tschentscher ist eher zurückhaltend. Was bedeutet das für die CDU?

    Er ist relativ wenig wahrnehmbar in der Stadt. Das erklärt sich vielleicht auch durch den großen Vorgänger, der bundespolitisch eine andere Flughöhe hatte. Tschentscher ist ein Übergangsbürgermeister. Sozialsenatorin Melanie Leonhard und Finanzsenator Andreas Dressel laufen sich schon warm. Ich gehe davon aus, dass die SPD bei der Bürgerschaftswahl 2020 massiv verlieren wird, und dann wird man Tschentscher nicht weitermachen lassen, egal, ob es für die SPD für eine Regierungsbeteiligung reicht oder nicht.

    Ist Tschentscher für Sie ein leichterer politischer Gegner als Olaf Scholz?

    Die Ausgangslage ist einfach anders: Der neue Bürgermeister ist nicht von den Hamburgern in dieses Amt gewählt worden. Das war bei Scholz ganz anders, auf den 2015 fast die Hälfte der Stimmen für die SPD entfallen sind. Gerade in einem Stadtstaat trägt die Person an der Spitze eine Menge dazu bei, ob die Menschen bereit sind, eine Partei zu wählen. Sie wollen wissen, wer an der Spitze der Stadt stehen wird. Deswegen wird das für ihn nicht einfacher als für Herrn Scholz.

    Die aktuellste Meinungsumfrage aus dem April sieht die CDU bei desillusionierenden 16 Prozent. Gleichzeitig wird Ihnen allgemein eine gute Oppositionsarbeit attestiert. Was läuft also schief?

    Wir fokussieren uns ganz auf den Februar 2020. Anfang des Jahres gab es eine Umfrage, bei der nur wenige Prozentpunkte zwischen uns und der SPD lagen. Vieles ist in Bewegung. Sehen Sie sich Umfragen für die Stadt Berlin an, wo drei, vier Parteien in einem Abstand von drei Prozentpunkten liegen. Das wird sich auch in Hamburg annähern.

    Die CDU hat in Hamburg seit 2015 bei keiner Umfrage mehr als 20 Prozent erzielt (und bei der Bürgerschaftswahl 15,9 Prozent geholt) – mit der einen Ausnahme Anfang dieses Jahres mit 22 Prozent. Hat die Hamburger CDU ein ähnliches Problem wie die SPD auf Bundesebene – gelobt zu werden für ihre Arbeit, aber nicht aus dem Umfragekeller zu kommen?

    Wir haben nicht das gleiche Problem, weil wir als Hamburger CDU wesentlich geschlossener agieren. Wir wollen wieder Verantwortung übernehmen. Unser Wahlziel: Wir wollen das eigene Ergebnis verbessern, und es darf nicht wieder für Rot-Grün reichen.

    Warum sagen Sie nicht, dass Ihr Ziel ist, stärkste Kraft zu werden?

    Man muss mit einer gewissen Demut an die Sache herangehen. Der Unterschied zwischen CDU und SPD in Hamburg ist sogar noch größer als zwischen SPD und CSU in Bayern. Von daher ist das keine kleine Aufgabe.

    Rechts lauert auch in Hamburg die AfD, die Sie kleinhalten müssen. Andererseits gewinnt man Wahlen in Hamburg nur in der Mitte, wie das Beispiel Ole von Beust gezeigt hat. Wie kann dieser Spagat gelingen?

    Er kann gelingen, indem man die berechtigten Sorgen und Ängste der Menschen aufgreift, aber nicht versucht, sie politisch zu instrumentalisieren. Wir wollen Hamburg zum Beispiel zur sichersten Großstadt in Deutschland machen. Andererseits war Hamburg immer von großer Liberalität geprägt, besonders in gesellschaftlichen Fragen. Unsere Stärke ist, dass wir beides als Volkspartei vereinbaren können. Das Lebensgefühl der Hamburger ist liberal und offen. Das deckt die CDU gut ab.

    Inwieweit deckt die CDU das liberale Lebensgefühl konkret ab?

    Wir sind zum Beispiel dafür, wieder eine gewisse Dynamik in die Stadt zu bringen. Das zeigt unser Vorschlag der Alsterpromenade an Ballindamm und Neuem Jungfernstieg. Oder indem wir sagen, dass wir Zuwanderung brauchen, sie aber vernünftig gesteuert werden muss.

    Zur inneren Sicherheit: Die Kriminalitätsbelastung sinkt offensichtlich weiter. Kommt Ihnen da ein klassisches CDU-Thema abhanden?

    Nein, weil die Wahrnehmung der Menschen eine andere ist. Es ist zwar gut, dass die Kriminalitätszahlen in ganz Deutschland sinken, aber nichts, weswegen man die Hände in den Schoß legen dürfte.

    Die Rückgänge beziehen sich aber vor allem auf die Delikte, die für das Sicherheitsgefühl der Menschen von Bedeutung sind: Raub, Wohnungseinbruch, Autoaufbrüche, Diebstähle. Wo wollen Sie im Bereich der inneren Sicherheit ansetzen?

    Egal, wie die Statistik aussieht, wir wollen nicht, dass Menschen sagen, ich traue mich nicht, abends mit der U-Bahn zu fahren. Wir möchten, dass es keine No-go-Areas gibt oder Stadträume, in denen die Polizei nicht mehr präsent ist.

    Haben wir die?

    Ja, zum Beispiel die Balduintreppe auf St. Pauli oder der Hansaplatz in St. Georg. Letztlich zählt auch der rechtsfreie Raum Rote Flora dazu. Im Übrigen: Bei der Aufklärungsquote gehört Hamburg nach wie vor zu den Schlusslichtern im Ländervergleich. Hier muss man ansetzen. In Hamburg liegt die Quote nur bei rund 40 Prozent, in München dagegen bei 60 Prozent. Daran sollten wir uns orientieren.

    Wie kann das geschehen?

    Die Polizei braucht mehr Personal und eine bessere technische Ausstattung. Ein wichtiger Punkt ist die Videoüberwachung. Ich kann nicht verstehen, warum nicht zum Beispiel kontinuierlich am Jungfernstieg eine Videoüberwachung installiert wird und die Polizei dauerhaft präsent ist, um diesen Brennpunkt endlich in den Griff zu bekommen.

    Sie attackieren den „Wachstums-Fetisch“ des Senats, der den Anstieg der Bevölkerungszahlen begrüßt und unterstützt. Fordern Sie einen Wachstumsstopp?

    Nein. Mir geht es um die Art des Wachstums. Wachstum darf nicht rein quantitativ betrachtet werden. Deswegen hat es viele Menschen schockiert, als maßgebliche SPD-Politiker plötzlich von 2,2 Millionen Einwohnern gesprochen haben. Es muss um nachhaltiges Wachstum gehen, das insgesamt für die Stadt von Vorteil ist.

    Kann Hamburg 2,2 Millionen Einwohner nicht vertragen?

    Zum jetzigen Zeitpunkt nein. Wir müssen uns als Metropolregion sehen – auch im Sinne eines gemeinsamen Siedlungs- und Entwicklungsraums. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass nur Hamburg öffentlich geförderten Wohnungsbau betreibt, aber das Umland nicht. Und: Der gültige Hamburger Flächennutzungsplan ist 20 Jahre alt und geht noch von sinkenden Bevölkerungszahlen aus, das geht natürlich nicht. Hamburg ist auch die einzige deutsche Großstadt, die kein gesamtstädtisches Stadtentwicklungskonzept hat.

    Aber auch im Umland wird es doch Proteste gegen weiteren Wohnungsbau geben. Auch dort müssten Wiesen geopfert werden.

    Ja, klar. Das muss Politik dann aushalten. Da muss man dann abwägen zwischen der Sicht der Betroffenen vor Ort und dem Gemeinwohlinteresse. Das Mantra des Senats lautet für Hamburg doch jetzt: bauen, bauen, bauen. Trotzdem liegen wir seit 2011 bundesweit im oberen Drittel, was die Mietsteigerungen bei Neuvermietungen angeht. Dieses Konzept, nur viel zu bauen, wird das Problem langfristig nicht lösen.

    Wo liegt aus Ihrer Sicht denn die Grenze des Einwohnerwachstums?

    Eine Obergrenze kann man so abstrakt nicht definieren. Grundsätzlich ist die Grenze immer dann erreicht, wenn die soziale Infrastruktur nicht mitwächst. Wir haben in einigen Stadtteilen schon Schulnot, es gibt Engpässe bei der Kita-Betreuung. Polizei und Feuerwehr kommen hinsichtlich der Alarmierungszeiten in den äußeren Stadtteilen nicht mehr hinterher. Das ist die erste Aufgabe der Stadt. Dann kann man alles Weitere sehen.

    Heißt das, dass Sie weniger Wohnungen in Hamburg bauen wollen?

    Nein, ich will nicht weniger Wohnungen bauen. Aber keiner kann prognostizieren, wie lange der Trend zur Urbanisierung anhält. Aber wenn man erst einmal gebaut hat, bleiben die Häuser über Jahrzehnte oder Jahrhunderte stehen. Jede Fläche, die vorher nicht bebaut war, wird nach der Bebauung der Stadt langfristig verloren gehen.

    Die Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ wendet sich dagegen, dass immer mehr Fläche versiegelt wird. Ist Hamburgs Grün bedroht?

    Das muss man sich mal vorstellen: Wir haben die Grünen an der Regierung, und eine ihnen nahestehende Umweltorganisation führt so ein Begehren durch. Das ist doch eine klare Quittung für die Senatspolitik.

    Uns interessiert auch Ihre Position dazu ...

    Wir lehnen diese Initiative ab. Sie benennt zwar die richtigen Probleme, zieht aber die falschen Schlüsse daraus. Die Initiative fordert ja im Prinzip ein Einfrieren des Status quo. Das ist für eine Millionenmetropole wie Hamburg nicht der richtige Weg.

    Stichwort Verkehr: Viele Bürger sind von Staus genervt, das Radkonzept des Senats ist umstritten. Welche verkehrspolitische Vision stellt die CDU dem entgegen?

    Was die Menschen am meisten umtreibt, ist das starke Gegeneinander: Umfragen zufolge ist das Verkehrsklima nirgends so rau wie in Hamburg, egal, mit welchem Verkehrsmittel Sie sich bewegen. Als Erstes sollte man die geplante millionenschwere PR-Kampagne für das Radfahren in eine Kampagne für gegenseitige Rücksichtnahme umwidmen. Es darf kein Ausspielen der Verkehrsteilnehmer geben, und es muss ein angebotsorientiertes System geben. Wie wir es in unsererer Regierungszeit mit dem StadtRad vorgemacht haben: Da wurde niemand gezwungen, sondern ein gutes, attraktives Angebot gemacht, das Fahrrad zu benutzen.

    Was noch?

    Außerdem ist mir wichtig, nicht nur Verkehrspolitik für die innere Stadt zu machen, sondern auch für die Außenbezirke, und nicht nur für fitte 20- bis 40-Jährige, die auch bei Regen gern Rad fahren. Wir brauchen leistungsstarke Hauptverkehrsstraßen, die den Wirtschafts- und Personenverkehr aufnehmen können. Wir brauchen einen starken HVV, das wurde viel zu spät erkannt.

    „Angebotsgetriebene Verkehrspolitik“, das formulieren die Grünen fast wortgleich. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Ansatz?

    Ich verweise auf die Fakten: Wir sind Stauhauptstadt – das ist kein gutes Angebot. Fühlen sich die Radfahrer sicher in der Stadt? Nein. Sind die U- und S-Bahnen pünktlich und komfortabel? Auch dort gibt es Verbesserungsbedarf. Aber wenn die Grünen und der Bürgermeister jetzt unsere Ansätze übernehmen, ist das ja ein gutes Zeichen.

    Der Bürgermeister hat einen kräftigen ÖPNV-Ausbau bis Ende des Jahres angekündigt: längere Busse, mehr und längere Züge – das ist dann der richtige Schritt?

    Ja. Aber es hat lange gedauert, und dadurch wurde viel Zeit verspielt. Der engere Takt auf der S 3 in Richtung Süden wurde schon für Ende 2016 versprochen.

    Sollte sich die Hamburger CDU die Kollegen in Schleswig-Holstein zum Vorbild nehmen und mit der Rückkehr zu G9 am Gymnasium Wahlkampf für 2020 machen?

    Wir nehmen sie uns schon deshalb zum Vorbild, weil man ihnen anfangs ähnlich wenig zugetraut hat, wie das jetzt einige bei uns tun. Da sieht man, was mit Einsatz und Motivation möglich ist. Ansonsten schauen wir, was sachlich geboten ist. Wir sind in einem intensiven Diskussionsprozess, wie man den Kindern am Gymnasium mehr Lernzeit geben kann. Das ist in Hamburg mit dem Zwei-Säulen-Modell aber eine besondere Herausforderung. Wir wollen auf keinen Fall, dass die Einheitsschule durch die Hintertür eingeführt wird. Mit den Grünen sprechen wir bereits über die Verlängerung des Schulfriedens. Dabei kann es nicht nur darum gehen, den Status quo fortzuschreiben. Uns ist etwa auch eine bessere Durchlässigkeit zwischen den Schulformen wichtig. Auch auf eine vernünftige Leistungsdifferenzierung an den Stadtteilschulen legen wir wert.

    Warum sprechen Sie nur mit den Grünen? Ziert sich die SPD?

    Ich empfinde das bisher so, dass die Grünen Hauptverhandlungspartner sind. Von der SPD ist niemand auf uns zugekommen, obwohl ich zweimal das Angebot gemacht habe. Offensichtlich haben die Grünen bei dem Thema das Kommando übernommen – das hört man ja bei manchen Themen.

    Apropos Grüne: Ist Jamaika, also ein Bündnis mit Grünen und FDP, wie in Schleswig-Holstein für 2020 eine Option?

    In die politische Landschaft in Deutschland ist viel Bewegung gekommen. Deswegen: Ausdrücklich ja, das ist eine Option. Auch wenn die Sozialdemokraten es den Grünen gerade sehr schwer machen, von der Fahne zu gehen, weil sie ihnen alles erlauben. Aber das wäre ein Bündnis, das die grundsätzlichen Fragen für Hamburg positiv gestalten könnte, zum Beispiel in der Verkehrspolitik. Wenn Schwarze und Grüne da zusammenarbeiten mit ihren unterschiedlichen Ansätzen, könnte man daraus eine langfristige Strategie entwickeln.

    Wir dachten, Sie sehen die Grünen in der Verkehrspolitik als Ihren Hauptgegner ...

    Dass da viel falsch läuft, ist das eine. Aber als Christdemokrat kann ich auch vergeben.

    Welche Machtoption haben Sie sonst noch?

    Außer den beiden Parteien ganz außen ist grundsätzlich alles möglich, wenn die Inhalte stimmen.

    Zum Schluss, Herr Trepoll: Nun sagen Sie schon, dass Sie Bürgermeisterkandidat 2020 werden wollen.

    Mich freut, dass mir viele Leute sagen, dass ich einen guten Job mache, und mir zutrauen, dass ich die CDU wieder in Regierungsverantwortung führen kann. Aber ich möchte mir die Unabhängigkeit bewahren, selbst zu entscheiden, ob das auch für die CDU die beste Lösung ist.

    Das ist also allein Ihre Entscheidung?

    Ich habe in den letzten dreieinhalb Jahren deutlich gemacht, dass ich den Enthusiasmus und den Machtwillen für diese Aufgabe mitbringe – daher ist das meine Entscheidung.