Es muss mehr Radarkontrollen geben, darüber sind sich SPD und CDU einig. Daneben gibt es vor allem Unterschiede in der Verkehrspolitik. Die Union kritisiert den aus ihrer Sicht zu langsamen Ausbau der S-Bahn in der Hansestadt

    Es gibt kaum Themen, die die Hamburger so stark beschäftigen wie Verkehr und Stadtentwicklung. Wie aber kann eine wachsende Stadt menschengerechte Mobilität und bezahlbaren Wohnraum für alle organisieren? Müssen sich Ansprüche und Verhalten der Stadtbewohner ändern? Und was kann die Politik auch für ein besseres Klima unter den Verkehrsteilnehmern auf Hamburgs Straßen tun? Diese und andere Fragen zum Thema hat das Abendblatt in einem großen Streitgespräch diskutiert – mit den Bürgerschafts-Fraktionschefs Dirk Kienscherf (SPD) und André Trepoll (CDU) und dem Stadtentwicklungs­experten Prof. Jörg Knieling, der an der HafenCity Universität lehrt. Wir drucken das Gespräch in zwei Teilen – heute zum Thema Verkehr, morgen zum Thema wachsende Stadt.

    Meine Herren, Hamburg gilt als Stauhauptstadt mit ex­trem schlechtem Verkehrsklima, wir erleben hier gerade die ersten Dieselfahrverbote, und es gab zuletzt einige schwere Fahrradunfälle. Welche Note geben Sie der Hamburger Verkehrspolitik?

    Dirk Kienscherf: Ich gebe uns trotzdem eine Zwei. Wir gehen die Dinge an und setzen vieles um, über das lange nur geredet wurde. Wir setzen die Straßen wieder instand, bauen den Radverkehr und den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit neuen Bus- und Bahnlinien und kürzeren Taktungen aus – und fördern Elektromobilität mit schon 700 Ladesäulen. Natürlich führen Bauarbeiten auch mal zu Staus, aber das lässt sich leider nicht immer verhindern.

    André Trepoll: Ich gebe der rot-grünen Verkehrspolitik eine Fünf minus. Die Bilanz ist vernichtend. Wer in Hamburg mit dem Auto unterwegs ist, steht von einer Stunde 19 Minuten im Stau. Dadurch entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden von 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu kommt eine konfrontative Verkehrspolitik, die zu dem schlechten Verkehrsklima führt. Wir sind gegen Zwang und Umerziehung. Als freiwilliges Angebot haben wir das Stadtrad-System eingeführt. Wer aber aus den Außenbezirken kommt, kann nicht bei jedem Wetter weite Wege mit dem Rad zurücklegen.

    Jörg Knieling: Da möchte ich widersprechen. Gerade in die Innenstadt sollte man mit dem Auto nicht mehr fahren. Die Idee, alles mit dem Auto erreichen zu müssen, ist kein natürliches Phänomen. Die autogerechte Stadt stammt als Planungskonzept aus der Nachkriegszeit. Heute müssen wir angesichts des knapper werdenden Platzes und der Umweltprobleme Stadt und Mobilität ganz neu denken.

    Was heißt das?

    Knieling: Das Auto mag hier und da noch seine Berechtigung haben, seine absolute Vorherrschaft muss aber zurück­gedrängt werden. Wir haben ja immer mehr Pkw, die aber immer weniger fahren. Der motorisierte Verkehr braucht im gesamten Verkehr etwa die zehnfache Fläche im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln, unter anderem dem Fahrrad. Wenn wir keine reine Blechstadt werden wollen, müssen wir gegensteuern. Durch den Ausbau des ÖPNV, unter anderem die Stadtbahn, durch mehr Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger oder durch höhere Parkplatzpreise.

    Kienscherf: Zwang gegen Autofahrer, wie Herr Trepoll behauptet, sehe ich nicht. Gerade jüngere Menschen wollen heute gar nicht mehr viel Geld für ein Auto ausgeben, die haben andere Prioritäten und nutzen andere Formen der Mobilität. Carsharing, ÖPNV, eigenes oder Leihrad, da geht es immer mehr um gute Vernetzung.

    Trepoll: Alle Umfragen, auch die, die der Senat selbst in einigen Wohnquartieren erhoben hat, sprechen eine ganz andere Sprache. Die wenigsten Hamburger wollen auf ein eigenes Auto verzichten. Auch diese Realität müssen Sie endlich zur Kenntnis nehmen.

    Liegt das daran, dass der ÖPNV nicht gut genug ist und dass es in den Außenbezirken kaum Carsharing gibt? Viele haben immer noch das Gefühl: Wenn ich flexibel sein will, muss ich zumindest ein Auto griffbereit haben.

    Kienscherf: Das kann sein, und natürlich müssen wir da noch viel verbessern, gerade in den Außenbezirken. Aber dass der Autoverkehr innerhalb des Rings 2 abnimmt, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

    Trepoll: Das sehe ich nicht. Allein die Tatsache, dass Sie P+R-Gebühren eingeführt haben, zeigt, wie absurd Ihre Verkehrspolitik ist. Denn es führt dazu, dass die Menschen doch wieder mit dem Auto in die Stadt fahren.

    Manche behaupten ja, die CDU sei eine Autofahrerpartei der 1980er. Was ist denn Ihr Verkehrskonzept?

    Trepoll: Wir sind eine Mobilitätspartei. Wir wollen nur nicht die Fehler der SPD wiederholen, die in den 60ern gemacht wurden, als die Verkehrspolitik nur auf ein Verkehrsmittel, nämlich das Auto, ausgelegt war. Genauso falsch ist es, heute nur Verkehrspolitik für das Rad zu machen.

    Das soll ja ein gesundes und relativ abgas­armes Verkehrsmittel sein.

    Trepoll: Ja, aber deswegen werden Sie nicht massenhaft Leute dazu bekommen, im Winter von Harburg in die City Nord zu radeln. Hamburg ist zu groß, um eine reine Fahrradstadt zu werden. Von den 34 fahrradfreundlichsten Städten Europas hat keine mehr als 600.000 Einwohner. Hamburg hat mehr als dreimal­ so viele und ist eine Wirtschaftsmetropole.

    Knieling: Es geht nicht nur um das Rad, sondern auch um besseren ÖPNV. Außerdem ist absehbar, dass der Pendlerverkehr durch Digitalisierung und Veränderungen in der Arbeitswelt abnehmen wird. Es wird mehr Homeoffices geben, Wohn- und Arbeitsorte liegen näher beieinander, wenn es in den Stadtteilen Gemeinschaftsbüros gibt.

    Trepoll: Wir sind dafür, alles, was möglich ist, unter die Erde zu bringen. Das gilt für die Stadt zerschneidende Straßen wie die Willy-Brandt-Straße, auch für Quartiersgaragen. Wir fordern, dass endlich die Baustellen in Hamburg vernünftig koordiniert werden. Wir werden vor der Wahl ein umfassendes Verkehrskonzept vorlegen – anders als der Senat, der hat bis heute keins.

    Kienscherf: Das ist Unsinn, wir haben ein umfassendes Mobilitätskonzept und werden einen Verkehrsentwicklungsplan vorlegen, wir planen die U 5 und stärken die S-Bahn ...

    Trepoll: Wenn Sie sehen, wie die S-Bahnen aus dem Süden aus allen Nähten platzen und wie lange wir auf den S-32-Ausbau warten, dann kann man die Versprechungen der SPD bei diesem Thema nicht mehr ernst nehmen.

    Kienscherf: Die neuen Züge kommen und werden jetzt sukzessive eingesetzt. Wir können nicht alles in zwei Jahren machen, aber wir arbeiten intensiv an den Verbesserungen.

    Woher kommt es eigentlich, dass das Klima zwischen den Verkehrsteilnehmern in Hamburg so schlecht ist?

    Kienscherf: Die Gesellschaft wird ja insgesamt immer hektischer und aufgeregter. Nicht nur in der Politik, sondern auch im Verkehr. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir alle ein wenig abrüsten und uns stärker an die Regeln halten – das gilt für Radfahrer und Autofahrer gleichermaßen. Außerdem geht es natürlich um eine bessere Infrastruktur, die auch für ein besseres Fortkommen und mehr Sicherheit sorgt. Daran arbeiten wir – für alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen.

    Trepoll: Das sehe ich nicht. Den Autofahrern machen Sie gerade wieder mit den absurden Dieselfahrverboten das Leben schwer.

    Kienscherf: Nennen Sie mir mal eine Stadt, in der das besser gelöst worden ist! Sie werden erleben, dass wir in der nächsten Zeit massive und viel umfassendere Einschränkungen in anderen Städten bekommen werden.

    Hätten CDU und SPD in der Bundesregierung den massenhaften Betrug der Autoindustrie nicht einfach hingenommen, hätten deren Kunden das Problem nicht. Und die Luft wäre besser.

    Trepoll: Das stimmt. Ich erwarte, dass die Industrie die Hardware auf eigene Kosten nachrüstet. Das sehe ich anders als die Bundesregierung, weil wir als CDU in den Metropolen die Notwendigkeit stärker erkennen. Trotzdem ist die Luftbelastung seit Anfang der 90er deutlich gesunken. An zwei Straßen die Messstellen umfahren zu lassen, das ist weder öko- noch logisch.

    Kienscherf: Es sind ja weit mehr Straßen geprüft worden – aber dort gibt es nun keine Einschränkungen, und zwar aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Wir sind durch die EU und durch Gerichtsurteile verpflichtet, die Menschen zu schützen, die zu hohen Stickoxid-Werten ausgesetzt sind.

    Knieling: Diese Sperrungen haben vor allem symbolischen Charakter. Sie stoßen eine Diskussion über die Zukunft des Verkehrs in unserer Stadt an. Für die Luftqualität bräuchte man im Grunde genommen eine Umweltzone.

    Kienscherf: Dann hätten wir viel mehr Einschränkungen. Die gibt es in vielen anderen Städten. Da kann man in die Innenstädte schon seit Jahren nicht mit alten Dieseln fahren. Deswegen ist es wirklich Unsinn, wenn die CDU so tut, als hätten wir als Erste solche Einschränkungen eingeführt.

    Kommen wir mal zum Thema Sicherheit. Wir haben gerade mehrere schwere Fahrradunfälle erlebt, bei einem kam eine junge Frau ums Leben. Was können wir tun, um die Sicherheit zu erhöhen?

    Trepoll: Ich denke, wir sollten das Radverkehrsnetz nicht überall auf die Straße verlegen. Es ist falsch, Radfahrer auf die Straßen zu zwingen, wo am Ende Kinder und Senioren neben 40-Tonnern fahren müssen. Es gibt mittlerweile sogar schon SPD-Abgeordnete, die von „Suizidstreifen“ sprechen.

    Knieling: In der Regel werden Radfahrer dort aber besser gesehen, viele Studien bestätigen das. Dabei geht es aber auch um die Geschwindigkeiten. Ich denke, wir sollten darüber nachdenken, Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit zu machen, von der es nur auf wichtigen Hauptstraßen Ausnahmen gibt. Denn es ist ein großer Unterschied, ob ein Auto einen Radfahrer mit Tempo 30 überholt oder mit Tempo 60. Außerdem könnte Hamburg sich bei der Gestaltung von Kreuzungen ein Beispiel an Kopenhagen nehmen. Dort fahren Radfahrer an Kreuzungen und Einfahrten zu Nebenstraßen auf leicht erhöhten Übergängen, sodass abbiegende Autos oder Lkw über diese Erhöhung fahren müssen. Das steigert Aufmerksamkeit und Sicherheit. Gleichzeitig ist das Radfahren attraktiver und schneller.

    Trepoll: Solche baulichen Veränderungen wären vernünftig. Leider pinselt der Senat aus Kostengründen nur Streifen auf die Fahrbahnen, statt sich über solche Maßnahmen Gedanken zu machen. Ist flächendeckendes Tempo 30 Ihre verzweifelte Antwort?

    Ist flächendeckendes Tempo 30 eine Lösung, Herr Kienscherf?

    Kienscherf: Wir haben auf den meisten Straßen Tempo 30 und weiten das jetzt aus auf Bereiche vor Kitas und Schulen und auf nächtlichen Lärmschutz. Wir brauchen aber weiterhin leistungsfähige Hauptverkehrsstraßen. Was die Sicherheit angeht: Wir haben ja gerade in der Bürgerschaft einen Antrag von SPD und Grünen beschlossen, dass die Stadt ihre Lkw mit Abbiegeassistenten ausstattet.

    Wäre eine Temporeduktion nicht vielleicht eine gute Beruhigung für das aufgewühlte Verkehrsklima?

    Kienscherf: Es ist erst einmal wichtig, dass die Leute sich an die bestehenden Tempolimits halten. Wir werden das jetzt durchsetzen. Es müssen sich alle Verkehrsteilnehmer an den Gedanken gewöhnen, dass wir jetzt ganz viele Blitzer aufstellen und auch massiv Rotlichtverstöße kontrollieren werden. Die CDU wird dann wieder von Abzocke reden. Aber es geht nicht darum, Bußgelder zu kassieren, sondern darum, dass sich alle an die Vorgaben halten und wir dadurch zu mehr Sicherheit kommen.

    Wir brauchen also mehr Kontrollen?

    Kienscherf: Ja. Es wird nach wie vor in Hamburg viel gerast. Und 33 Prozent der Unfälle sind auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen.

    Trepoll: Wir brauchen verkehrsberuhigte Wohnstraßen und leistungsfähige Hauptverkehrsstraßen. Das heißt aber nicht, dass dort gerast werden soll. Wir brauchen eine stärkere Überwachung, insbesondere nachts. Das fordern wir schon lange.

    Knieling: Es ist bekannt, dass Lkw eine sehr große Gefahrenquelle darstellen. Ihre Anzahl wird sich nach den aktuellen Prognosen massiv erhöhen. Das muss dringend bei der Wirtschaftspolitik und bei der Stadtentwicklung überdacht werden. Insbesondere für den Warenverkehr in und aus dem Hafen sind grundlegend neue Konzepte nötig. Unabhängig von der Unfallproblematik droht Hamburg, am Lastwagenverkehr zu ersticken.