Hamburg. Das historische KomponistenQuartierin der Peterstraße ist mit den beiden neuen Museen für Felix und Fanny Mendelssohn und Gustav Mahler nun voll belegt

    230 Jahre feinste Musik­geschichte in einer einzigen Häuserzeile einquartiert, beginnend mit der Geburt Georg Philipp Telemanns 1681 – allerdings in Magdeburg –, endend 1911 mit dem Tod von Gustav Mahler: allerdings in Wien. Nun ja, Niemand ist perfekt. Tausende von Kompositionen aus etlichen Genres und sieben sehr unterschiedliche Lebensläufe kommen hier zusammen. Ihr gemeinsamer Nenner, mal größer, mal kleiner: Hamburg, die einzigartig traditionsreiche Musikstadt, die genau das seit Jahrhunderten ist, es aber längst nicht immer ­genügend lautstark und konsequent betonte und dem Rest der Welt mitteilte.

    Die KomponistenQuartier-All-Star-Band, die nun hinter den scheinhistorisch aufgezogenen Backsteinfassaden in der Peterstraße präsent ist, ist eine klassische Kompromisslösung für die Würdigung klassischer Tonsetzer. Das Ensemble ist gut gemeint und ambitioniert ­gemacht, weil es mit überschau­baren Bordmitteln auskommen muss und von üppigen Finanzen nur träumen kann. Die Gesamtkosten für die zweiphasige Erweiterung beliefen sich auf 1,8 Millionen Euro, etliche Hamburger Stiftungen und Gönner haben unterstützt, auch die zuständige Bezirksversammlung. Die Kulturbehörde beteiligt sich mit einem jährlichen Betriebskostenzuschuss von 30.000 Euro. Weitere Spender und Unterstützer sind da natürlich jederzeit willkommen. Das Gesamtkonzept hat seine Stärken und seine Schwächen, auch weil für jeden Komponisten die jeweilige Fan-Gesellschaft mitsamt ihren Ideen und Vorlieben ins Boot ­geholt wurde. Und, nach acht Jahren in mehreren Etappen und Bauabschnitten, ist es nun tatsächlich fertig. Von nun an gibt es eigentlich keine Ausreden mehr, man müsse doch erst und wolle doch noch und könnte vielleicht mal.

    Johannes Brahms war 1971 der Erste

    Die Dauermieter-Liste dieser Tonkünstler-WG-Bewohner ist arg beeindruckend, für so ziemlich jeden klassischen Musikgeschmack ist jemand Passendes dabei: Georg Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Adolph Hasse aus Bergedorf und Johannes Brahms aus dem Gängeviertel (er war ­anno 1971 der Erste dort, seine Abteilung fällt inzwischen aus dem vereinheitlichten Design-Rahmen der Nachzügler) sind schon länger vor Ort. Neu hinzugekommen sind die Geschwister Felix und Fanny Mendelssohn sowie Gustav Mahler, alle drei Kurzzeit- beziehungsweise Wahlhamburger.

    „Wir sind kein Museum im strengen Sinne, sondern ein Ausstellungskonzept“, erklärte die Kuratorin Rita Strate gestern, als ein Besichtigungsrundgang die Neubauten präsentierte, während hier und da noch Handwerker pinselten und werkelten und man sich einige ­Informationsangebote noch denken durfte (die feierliche Eröffnung ist für den 28. Mai geplant). „Wir möchten das musikhistorische Gedächtnis der Stadt lebendig halten, bewahren und Menschen dafür begeistern.“ Schirmherr des Ganzen ist immerhin Generalmusik­direktor Kent Nagano – der bei Besuchen vor Ort freundlich mahnend eingefordert habe, dass hier Leben hineinmüsse, weil ­irgendwann selbst der Elbphilharmonie-Hype abklingen werde.

    Die Zutaten dieses Konzepts sind wie in etlichen gut oder besser bestückten Komponistenmuseen: Es gibt Texttafeln, Hörstationen, Zeitleisten, Stadtpläne, Karten, Illustrationen, Sinn- und Gedenksprüche als schriftliche O-Töne und als modernes Erklärmedium auch Touchpads für digitalisierte ­Zusatz­infor­ma­tionen. Ein roter Faden durch die verschachtelten Räume sind die historisch passenden Tasteninstrumente. Ein Spinett bei Telemann; ein Clavichord bei Carl Philipp Emanuel Bach, seinem Patensohn und Amtsnachfolger auf dem Prestigeposten des Hamburger Musikdirektors; ein Hammerflügel bei den Mendelssohns.

    In den frischen Abschnitten hat man aus der Not der verfügbaren ­Exponate, stellenweise geschickt, eine fast rührend inszenierte Tugend gemacht. „Wir sind nicht spektakulär, das ist uns klar“, wird das ehrenamtliche KomponistenQuartier-Vereinsvorstandsmitglied Manfred Bullinger nach dem Rundgang dazu einräumen. Und es stimmt ja auch. Für Spektakuläres ist noch Luft nach oben, die gute Absicht soll zählen, die Begeisterung der Ehrenamtlichen die Professionalitätslücken mit Begeisterung füllen. Echtes Schriftliches ist Mangelware: zu wertvoll, zu heikel aus Versicherungsgründen, zu schwer angemessen zu präsentieren. Viele tolle Originale aus der hiesigen Musikgeschichte bleiben also, wo sie immer waren und sind: sicher und unsichtbar in der Staatsbibliothek.

    Bei Mahler parkt stattdessen ein ­antiker Drahtesel an einer Litfaßsäule mit Plakat-Repliken, die Konzerte und Opern-Dirigate des für seinen eruptiven Charakter berüchtigten Herrn Kapellmeisters ankündigten. Es soll an dessen Fahrrad-Leidenschaft erinnern, die er während seiner sechs Hamburger Jahre von 1891 bis 1897 fröhlich auslebte. Gegenüber ­bekommt tatsächlich ein Original einen Ehrenplatz: Das Taufbuch aus der nahe gelegenen Kirche St. Ansgar, wo sich der als Jude ­geborene ­Mahler rechtzeitig vor seinem karriere­bedingten Umzug von der Dammtorstraße in die Chefetage der Wiener Staatsoper katholisch taufen ließ. Auf einem Wandgemälde ist der gefürchtete Pultberserker Mahler abgebildet, wie er dirigiert: in Wien, nicht Hamburg.

    Ein gefriertruhengroßes Welte-Mignon-Klavier, Leihgabe eines Fachhändlers aus München, kann, kurios Luft durch seine Innereien pumpend, Klavierrollen abspielen, auch jene, auf der Mahlers eigenhändig abgelieferte Version von „Ging heut morgen übers Feld“ aus seinen „Liedern eines fahrenden Gesellen“ zu hören ist. Das hat tatsächlich viel Charme, weil es diesen Komponisten und die zeitliche Entfernung buchstäblich vor Ohren führt.

    Eher aus der Abteilung ­Kurio­sitätenkabinett ist direkt daneben die in eine Ecke gezimmerte Komponierhäusl-Andeutung, wo man durch einen Fensterrahmen die Fototapete eines Seeufer-Panoramas besichtigen kann, um sich vorzustellen, wie es war, am Attersee in den hart erarbeiteten Sommerferien über ausufernden Symphonie-Entwürfen zu brüten. Hier braucht es durchaus guten Willen zur Begeisterung. Und beim Gedanken ­daran, dass ein vollständiges Autograf von Mahlers Zweiter, für deren Finale er die entscheidende Gestaltungsidee 1894 bei einem Gedenkgottesdienst im Michel erhielt, gerade mal fünf Stunden vor Ort war, kann man schwermütig werden. Nach seinem spektakulären Kurzaufenthalt im Lichtwarksaal wurde das gute Stück ­Ende November 2016 bei Sotheby’s in London für 4,5 Millionen Pfund versteigert. In der Peterstraße ­gezeigt wird ein Faksimile, aus New York.

    Für Mendelssohn war die Konzeptfantasie zur Herstellung von Hamburg-Bezügen besonders gefordert, denn die Familie des 1809 geborenen späteren Wunderkinds zog 1811 nach Berlin. Ziel sei nicht eine Heldengedenkstätte gewesen, sondern ein Mendelssohn-Kosmos, erklärt Beatrix Borchard, Professorin an der Musikhochschule und Vorsitzende der hiesigen Mendelssohn-Gesellschaft, ihr Konzept. Thematisiert werden also die ­Familie, ihr Blick auf die Gesellschaft, die künstlerische Zusammenarbeit der Geschwister, weil immer noch zu unbekannt ist, dass Fannys kompositorisches Können immens groß war. Der Garten hält als Symbol und Bezugsgröße für den ungezwungen aufblühenden Umgang mit Kreativität her. Etliche Porträts der Familie bebildern ein gutbürgerliches Idyll. Auch die Bedeutung ihrer ­jüdischen Herkunft und ihrer ­Perspektive auf den christlichen Glauben steht in der Mendelssohn-Abteilung zur Debatte. Fannys Ehe mit dem Künstler Wilhelm Hensel zeigt einen weiteren ­Aspekt der vielschichtigen Familien­geschichte. Das alles ist wohlfeil arrangiert, wirkt aber auch etwas blutarm und akademisch.

    Apropos Musikmetropole: Vom ­Bekanntheitsgrad der Elbphilharmonie, in der man konkrete Hinweise auf die historische Bedeutung der Musikstadt Hamburg vergeblich sucht, ist dieses Museumskonglomerat natürlich Welten entfernt. Bei den Besucherzahlen allerdings haben die Museumsbetreiber ­beträchtliche Zuwächse verbuchen können, und die Vermutung, das könne mit dem generell steil angestiegenen Interesse für klassische Musik zu tun haben, liegt nahe: 100.000 Menschen kamen 2016, 2017 waren es 125.000. Die Zahl der Führungen hat sich von 150 auf 300 verdoppelt. Ein Drittel der Besucher kommt aus der Metropolregion.

    „Wir scheuen keine gut aufgestellten Kooperationspartner“, betonen alle Verantwortlichen. Ein erster, noch sehr bescheidener gemeinsamer Schritt ist die Idee, in den Sommermonaten auf die Rückseiten der Elbphilharmonie-Plaza-Tickets Hinweise auf die Existenz des KomponistenQuartiers zu drucken. Iris Hoeger, Museumspädagogin und für das Jugendangebot zuständig, formuliert das Aufmerksamkeitsdefizit optimistisch: „Man muss uns nur einmal gefunden ­haben.“

    Informationen: www.komponistenquartier.de Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Am 3. Juni, 13 bis 17 Uhr, gibt es einen Familiennachmittag unter dem Motto „Musik erzählt Geschichten“, freier Eintritt für Kinder bis 14 Jahre und ihre Eltern (oder zwei Begleitpersonen). Mahler-Veranstaltungen im Lichtwarksaal: 13.6., 19.30 Uhr Klavierabend Beatrice Berrut mit Werken von Bach und Liszt sowie Wagner- und Mahler-Transkriptionen / 15.6., 19 Uhr Vortrag von Peter Ruzicka über das „Mahler-Bild“ / 17.6., 11.30 Uhr Matinee mit Liedern von Mahler, Korngold und Zemlinsky mit Gerhild Romberger (Alt) und Alfredo Perl (Klavier)