Seit 20 Jahren betreut Doris Wendt Menschen, die mehr als 60.000 Euro in der Lotterie gewonnen haben. Was für ein Job-Jackpot!

Merken Sie sich diesen Satz: „Einen schönen guten Tag, mein Name ist Doris Wendt.“ Sollten Sie jemals einen Anruf erhalten, der mit dieser Begrüßung beginnt, dann wird sich Ihr Leben ändern. Dann ist nichts mehr so, wie es war. Denn – und das ist wörtlich zu nehmen – Sie haben das große Los gezogen. Sie sind reich.

Doris Wendt arbeitet seit rund 20 Jahren als Glücksfee bei der NKL, sie kümmert sich um sogenannte Groß­gewinner, also Menschen, die mehr als 60.000 Euro gewonnen haben. Meistens sind es deutlich mehr, eine Null zusätzlich zum Beispiel, da wird es langsam interessant. Auf der nach oben offenen Sorgenfrei-Skala befinden Sie sich damit je nach Lebensstil im Bereich „Muss nicht mehr jeden Job annehmen“, und Sie sind nicht weit entfernt von einer der höchsten monetären Messlatten: „Der Erwerb eines Reihenhauses in Hamburg wird möglich.“

Gut, wir wollen nicht vollkommen abheben, aber wer sich mit der Welt der Gewinne beschäftigt, der neigt zum Größenwahn, da kann das Glücksrad schon mal durchdrehen. Frau Wendt allerdings ist anders. Sie bleibt ruhig, ist stets korrekt und gut gekleidet. Einen Hosenanzug trägt sie genauso, wie Jil Sander sich das vorstellen würde. Souverän. Vertrauenswürdig.

Weil jedoch der Angerufene die Glücksfee durchs Telefon nicht sieht, hört Doris Wendt als erste Reaktion häufig: „Was???“ Viele setzen sich hin. Durchatmen. Überlegen. Doch, ich habe dieses Los. Doch, die Nummer und alles, was diese Dame mir sagt, das trifft zu, das kann nur jemand von der NKL oder ein Profi-Hacker wissen. Würde mich ein Profi-Hacker anrufen? Hm.

Es ist schwer beschreibbar, was im Kopf eines Menschen vor sich geht, der gerade von einem Millionengewinn erfährt. Doris Wendt erlebt diese außergewöhnlichen Momente seit 20 Jahren. Die 50-Jährige übt einen Beruf aus der römischen Mythologie aus: Sie spielt Fortuna. „Ich habe die schönste Aufgabe, die man sich vorstellen kann“, sagt die Hamburgerin. Die meisten Angerufenen sagen ihr: „Das glaube ich erst, wenn ich die Summe auf meinem Konto sehe.“

Der Fassungslosigkeit im ersten Telefonat folgt eine tiefe Dankbarkeit im zweiten Gespräch. Die Überbringerin der frohen Botschaft erhält einen lebenslangen Ehrenplatz im persönlichen Gedächtnis, so viel steht fest. Mit manchen bleibt Wendt über Jahre in Kontakt; viele Gewinner besuchte sie bereits zu Hause. Sie habe alle Arten von deutschen Wohnzimmern gesehen, alle Arten von Reaktionen erlebt. Viel Freude, aber auch Angst: Was mache ich jetzt? Wem sage ich es?

In dem Moment beginnt Doris Wendts Beratung. Sie zeigt Möglichkeiten auf, wie man Millionengewinne für sich behalten kann, wenn man denn will. Niemals spricht sie mit dem Ehepartner oder dem Sekretariat eines der Gewinner, ihr Ziel lautet größtmögliche Diskretion. Sie kennt Männer, die weder den Gattinnen noch den Kindern vom Geldsegen berichteten. Einer wollte nicht, dass seine Jungs sich faul zurücklehnen, sondern weiterstudieren und sich selbst etwas aufbauen. Vor allem Gewinner, die in einem Dorf leben, behalten ihr Glück lieber für sich. Die Angst vor Neidern lässt den Freudenschrei verstummen.

Obwohl die Lotterie ein reines Glücksspiel darstellt, ist Doris Wendt inzwischen davon überzeugt: „Das Schicksal sucht sich die Richtigen aus.“ Ein Ehepaar aus Berlin zum Beispiel. Gerade hatten die beiden ihre Lebensversicherung gekündigt, damit ihr Sohn doch noch studieren konnte. Ihre Gehälter reichten vorne und hinten nicht. Also opferten sie ihre Altersabsicherung. Am nächsten Tag waren sie reich. Klingelingeling.

Oder die Familie aus Bayern, deren Haus eine Woche zuvor abgebrannt war. Alles zerstört. Wohin mit den kleinen Kindern? Wie geht es weiter? Sieben Tage flossen Tränen der Verzweiflung. Und dann ruft Doris Wendt an. Ja, manchmal weine sie vor Freude mit, gibt Doris Wendt zu. Da hilft dann auch kein Hosenanzug als Emotionsschutz.

In ihrem Beruf könnte man den Eindruck bekommen, dass es doch so etwas wie Karma gibt, dass die Gerechtigkeit wie im Hollywood-Film am Ende obsiegt. Ein Notar hatte ein Rentnerpaar um sein Eigenheim gebracht, und die Kinder wurden nicht müde, für ihre Eltern zu kämpfen. Sie versuchten, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen, doch es war einfach zu viel Geld nötig. Und dann klingelt das Handy der Tochter: „Einen schönen guten Tag …“ Eine Million Euro!

Die Tochter zögerte nicht eine Sekunde, mit dem Gewinn das Haus für die Eltern zurückzukaufen. „Hier hast du dein Geld!“, konnte sie dem Notar sagen. Eine Million Euro auf einen Schreibtisch zu knallen, das schallt wie eine Backpfeife, wenn derjenige es verdient hat.

Neue Autoreifen für einen Gewinn von 1,2 Millionen Euro

„Gäbe es keinen Gott, dann würde ich jetzt einen erfinden!“, rief Doris Wendt einmal ein Gewinner Doris Wendt durch das Telefon zu, es folgte ein Schluchzen und die Erzählung einer Lebens­geschichte, die zu viel Leid auf ein Paar Schultern gepackt hatte. In diesen Situationen wird die Großgewinner-Betreuerin zur Seelentrösterin. „Hinter jedem Gewinn steht eine Geschichte, und viele erzählen mir Dinge, die sie nie zuvor mit jemandem teilen konnten“, sagt Wendt. Banknoten als Schlüssel zum Herzen.

Doris Wendt freut sich aufrichtig mit ihren Gewinnern, aber sie hat eine professionelle Distanz zu wahren, sie gibt keine finanziellen Ratschläge und würde sich nie anmaßen, Tipps für den Umgang mit Geld zu geben: „Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass sich durch den Reichtum ohnehin nicht viel ändert. Wer sparsam war, wird weiterhin sparsam leben. Wer sein Geld gern ausgibt, wird es auch weiterhin tun. Die Menschen bleiben, wie sie sind.“

Hanseatisch zum Beispiel. „Oh, welch nette Überraschung. Dann wollen wir mal sehen, was daraus wird“, lautete der Kommentar eines Hamburgers zu einer sehr, sehr großen Summe. Und nein, er war nicht zuvor bereits steinreich gewesen. Eine andere interessante Reaktion kam von einem Handwerker: „Ich könnte mir jetzt endlich den neuen Satz Auto­reifen leisten.“ Er hatte 1,2 Millionen Euro gewonnen.

Die Träume der Menschen haben sich über die Zeit nicht groß geändert, die ersten drei Plätze im Wünsche-Wettbewerb belegen Häuser, Reisen und Autos. Nur eine Sache ist in den letzten Jahren hinzugekommen: die Absicherung im Alter. Sie wird den Menschen immer wichtiger, seit 2009 bietet die NKL deshalb eine Rentenlotterie an, bei der Spielteilnehmer monatliche Beträge von bis zu 10.000 Euro gewinnen können. Angeblich sind die Gewinnchancen bei der Staatslotterie größer als bei anderen Glücksspielen. Natürlich kann man auch ein kleines Vermögen aus dem Casino heimbringen – aber nur, wenn man mit einem großen hingegangen ist.

Die erste Gewinnziehung dauerte 57 Tage im Jahr 1612

Hamburg ist übrigens ein gutes Pflaster für Glück. Spielen hat in der Hansestadt eine lange Tradition. 1612 verkündete der Hamburger Rat die erste Lotterie. Der Grund: Es herrschte Platzmangel innerhalb der Stadtmauern. 40.000 Einwohner konnte man gerade noch unterbringen, aber es strichen immer mehr Obdachlose herum. Für sie wollte man eine Unterkunft errichten, doch dafür fehlten die Mittel. Also kam die Bürgerschaft auf die Idee, den Bau mit einer Lotterie zu finanzieren.

Bei der ersten Staatslotterie gab es Silberlöffel, Pokale und Geld zu gewinnen, aber es wurde vor allem auf den karitativen Zweck verwiesen, um die Hamburger zum Kauf eines Loses beim vereidigten­ „Lottenschreiber“ im Eimbeckschen Haus in der Altstadt zu bewegen.

Die Ermittlung der Gewinnzahlen war ein echtes Spektakel, sie wurde von vielen Schaulustigen verfolgt. Die Gewinner wurden aus zwei Körben gezogen, und zwar von Waisenkindern, weil sie als besonders rein und unschuldig galten. Die Kinder holten zunächst aus dem einen Korb ein Papierröllchen, auf dem der Name eines Spielteilnehmers stand, aus dem anderen Korb dann einen Zettel mit der Aufschrift „Gewinn“ oder „Niete“. Dieses Prozedere dauerte ein wenig, die Ziehung der Gewinne zog sich über 57 Tage hin!

Das Obdachlosenheim konnte gebaut werden, und in den folgenden Jahrzehnten bestimmten besondere Anlässe die Hamburger Staatslotterie. 1642 beispielsweise gingen die Erlöse an die Notleidenden nach der großen Sintflut, 1701 erhielten die Soldaten die Lotterieeinnahmen, denn ihre Bezahlung stand 16 Monate im Rückstand.

Das Schicksal hält sich nicht an Gewinnwahrscheinlichkeiten

1793 wurden die Körbe durch zwei Ziehungstrommeln ersetzt, und die Waisenkinder durften wieder spielen gehen – also richtig spielen. Die Attraktivität der Staatslotterie überzeugte sogar einen Dichter und Denker. Johann Wolfgang von Goethe erwarb 1797 ein Los. Die Nummer 7666 sollte ihn zu einem Landsitz führen, den er sich damals ersehnte. Leider hatte er kein Glück beim Spiel. Dafür kennt man ja seine Liebesgeschichten.

Die Papierröllchen wurden erst 1980 durch nummerierte Kugeln ersetzt, heute gibt es vollautomatische Ziehungsanlagen und einen Zufallsgenerator, der vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) geprüft wird, um sicherzustellen, dass alle Lose die gleiche Chance haben. Doch wie gesagt: Das Schicksal hält sich nicht unbedingt an Hardware-basierte Statistiken.

Reisen, Häuser, Diamanten, Autos oder eine eigene Insel – in der 140. NKL- Lotterie, die gerade läuft, gibt es zum 70. Jubiläum viele Dinge, die in der Kombination häufig nur Royals, russische Öl-Verbrecher oder amerikanische Rap-Stars ihr Eigen nennen dürfen. Wer es dezenter mag, für den gibt es 430 Gewinne à eine Million Euro, 70-mal eine Million Euro an einem einzigen Tag (dem 30. September) sowie ein Jackpot von bis zu 16 Millionen Euro.

16 Millionen Euro. Wie wohl der Bankberater reagiert, der einem früher als Student erklärte, man müsse den Dispo nicht zwangsläufig jeden Monat ausnutzen, wenn plötzlich auf dieses 0815-Konto 16 Millionen überwiesen werden? Ob er eine Kutsche schickt, die einen zur sofortigen Krönung als Kunde des Monats transferiert? Wie viele Vorschläge zur sinnvollen Geldanlage würde man erhalten? Im Zweifel ruhig bleiben und erst einmal den Klassiker von Gerd Kommer „Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs“ lesen.

Aber 16 Millionen. Wer bleibt da ruhig? Da wird man ja beim Schreiben der Summe schon ganz verrückt. Wie Dagobert Duck nach einer Runde Kraul in seinem Geldspeicher. Um runterzukommen, hier ein Verweis auf die Gewinnaussicht: Die Chance, den 16-Millionen-Euro-Jackpot der 140. Lotterie zu gewinnen, beträgt 1 : 22.781.250. Hui, eine lange Zahl. Scheint also utopisch, aber denken Sie daran, wie viele vor Ihnen schon diesen Satz hören durften: „Einen schönen guten Tag, mein Name ist Doris Wendt.“