Kreuzfahrten sind angesagt, Reedereien und Reiseanbieter überbieten sich mit Attraktionen und Mottofahrten. Die Full Metal Cruise gehört zu den beliebtesten – bei Passagieren und Crews

Lauter! Schneller!“ Saskia Thode steht auf dem Sonnendeck der „Mein Schiff 2“ und treibt die Frauen und Männer vor ihr zu persönlichen Höchstleistungen an, während aus den Boxen Heavy Metal schallt. Die durchtrainierte und vollflächig tätowierte 33-Jährige ist allerdings keine Sängerin, sondern Teil des Rahmenprogramms der sechsten „Full Metal Cruise“, die von Palma de Mallorca aus zur Rundfahrt durch das Mittelmeer gestartet ist. Sie bietet „Metal Yoga“ an und avanciert mit dieser etwas bizarr anmutenden Mischung aus Fitness- und Dehnungsübungen schnell zum heimlichen Star der Kreuzfahrt. Unter den Teilnehmern des – tatsächlich schweißtreibenden – Programms sind neben den Metalfans auch Fitnesstrainer aus der Crew und sogar Musiker der 22 Bands.

Auch fünf Jahre nach der Erstauflage der „Full Metal Cruise“ geht das Konzept auf, rund 2000 Metalheads (und 50.000 Liter Bier) auf ein Schiff zu laden, ihnen für fünf Tage alle Annehmlichkeiten zu bieten, die man von Kreuzfahrten kennt, und sie ganztägig mit ihrer Lieblingsmusik, von Bands und vom Band zu beschallen: auf dem Pooldeck, im Theatersaal, in den Bars, in den Bordrestaurants, im Spa-Bereich, überall auf 14 Decks.

Beziehungsweise fast ganztägig: Der Anreise- ist gleichzeitig auch Bettenwechseltag. „Normale“ Kreuzfahrtgäste gehen von Bord und die schwarze Wolke entert das gut 260 Meter lange Schiff unter den kritischen Blicken der Abreisenden. Ganz weg sind sie noch nicht, im Bordradio laufen noch Bryan Adams und Tina Turner statt Poison und Accept, die große Bühne auf dem Pooldeck ist noch nicht aufgebaut und die Kabinen werden grundgereinigt. Doch die Stimmung auf dem Schiff hat sich bereits verändert, nicht nur bei den aufenternden Gästen.

Auch die Crew ist schwer angetan von den Freunden der harten und härtesten Musik. Egal, wen man fragt, ob Kapitän oder Kellnerin, Patissier oder Putzmann, alle freuen sich auf die Metalheads. Sie seien immer freundlich, nie ungeduldig, äußerst genügsam und stets für einen dummen Spruch zu haben. Hinter vorgehaltener Hand erfährt man dann auch noch, dass das längst nicht für alle Gäste gilt, die auf der „Mein Schiff 2“ ein- und ausgehen. Ausgerechnet die vermeintlichen Kinderschrecks sind es, die plötzlich zu Vorbildern für gutes Benehmen werden.

Wirklich verwunderlich ist das aber nicht: Die Männer und Frauen (deutlich mehr Erstere als Zweitere) bekommen genau das, was sie bestellt haben: so viel Musik, Essen und Getränke, wie sie nur wollen. Es ist der metallische Himmel auf Erden. Alle paar Meter stehen riesige Sektkühler, bis zum Rand gefüllt mit Bierdosen. Rot- und Weißwein kommen zur Not auch aus dem Zapfhahn. Und wen nachts um drei noch der Hunger überfällt, bekommt auch um diese Uhrzeit noch einen Burger mit Pommes. Und dann sind da natürlich die Bands: Nicht die ganz großen Namen, dafür aber altgediente Haudegen wie Udo Dirkschneider (Accept, U.D.O.), Brian Downey (Thin Lizzy), Steve „Lips“ Kudlow (Anvil) und junge – oder doch zumindest jüngere – Wilde wie Hämatom, Thundermother und Dagoba.

Weiße Bademäntel stechen aus dem Schwarz der T-Shirts raus

Als in Palma die Leinen losgeworfen werden, spielt Alleinunterhalter Mambo Kurt über dem voll besetzten Whirlpool thronend Pop- und Rockklassiker auf der Heimorgel, in den Schwimmbecken dümpeln Headbanger, auf den Sonnenliegen schaut man verträumt in den Nachthimmel. Weiße Bademäntel, Kapitänsmützen und Matrosenkäppchen stechen aus dem Schwarz in Schwarz der Band-Shirts, Lederjacken und Jeanskutten heraus. Was für Außenstehende grotesk erscheinen mag, ist nicht nur für den Metalfan, sondern auch für die Tourismusbranche längst Alltag.

Seit die „Majesty Of The Seas“ im Jahr 2011 zur ersten Motto-Kreuzfahrt „70.000 Tons Of Metal“ in die Karibik auslief, haben Reiseanbieter und Konzertveranstalter Metalfans als Zielgruppe entdeckt. Mittlerweile gibt es jährlich diverse beinharte Kreuzfahrten auf den Weltmeeren, Indoor-Festivals in Feriensiedlungen wie „Metal Hammer Para­dise“ am Weißenhäuser Strand und „Full Metal Holiday“-Cluburlaub auf Mallorca, „Full Metal Mountain“-Skiurlaub in Kärnten und selbst die „herkömmlichen“ Festivals wie Wacken, With Full Force oder Hellfest bieten Jahr für Jahr mehr Rahmenprogramm von der Lesung über Comedy bis zum Flirt-Zelt, Entspannungs- und Ablenkungsmöglichkeiten, vielseitigere Gastronomie und Wellness – Saskia Thode hat natürlich auch schon beim Wacken Open Air die Yoga-Matten ausgerollt und abgerockt.

Das gegenseitige Überbieten mit Komfort und ungewöhnlichen Motto-Zutaten beschränkt sich natürlich nicht auf die Metalszene, Kreuzfahrtreisen und Cluburlaube gibt es für Techno-, Schlager-, Hip-Hop- und Klassik-Fans, für Lesbische, Schwule und Transgender, für Mode- und Kunstinter­essierte. „Alles kann, nichts muss“ ist das Motto für den aktuellen Kreuzfahrten-Boom, besonders auf der „Swinger Cruise“ mit der „Crystal Symphony“ nach – bibber – Alaska. Kapitän Sebastian Naneder, selber Rockfan, steht auf der Brücke und träumt von seiner Metal-Cruise-Traumstrecke: „Wenn man etwas sehr Extravagantes und Hammergeiles machen würde: Antarktis.“ Kein Metal-Neuland übrigens, 2013 spielte Metallica am Südpol.

In Valencia liegt die „Mein Schiff 2“ am Pier neben dem Cunard-Liner „Queen Victoria“, der Metal-Dampfer neben dem britischen Luxusschiff. Auf der „Queen Victoria“ gibt es „Gentleman Hosts“, die alleinreisende Damen auf den Abendveranstaltungen betreuen, auf der „Mein Schiff 2“ hingegen kommt Heimorganist Mambo Kurt einem Gen­tleman Host am nächsten, wenn er mit ABBAs „Dancing Queen“ zum Paartanz auffordert. Das Rhythmusprogramm seiner Yamaha-Orgel puckert und klimpert, „klingt scheiße, aber hält das Tempo“, sagt der Alleinunterhalter.

Ein Blick auf schunkelnde Pärchen und viele Gespräche an den Bar-Tischen an Bord zeigt: Die Stahlklanggemeinde ist mit ihren Helden, mit Iron Maiden, Slayer und Metallica, mit Anvil oder Dirkschneider älter geworden. Wie Orden schmücken aufgenähte Festivalbändchen, die bis in die 90er zurückreichen, so manche Kutte auf der „Mein Schiff 2“. So verwundert es nicht, warum 2000 Rock-’n’-Roller 1000 Euro und mehr (Flug exklusive) für den Törn von Palma nach Marseille, Valencia und zurück nach Palma zahlen. Wer jahrelang auf Open Airs durch den Schlamm zwischen durchnässtem Zelt und Reihe 72 vor der Hauptbühne schlickrutschte, wer in den Clubs zwischen Hamburg und München im Pogozirkel Stiefelsohlen und Ellenbogen zu schmecken bekam, Bier in den Nacken gekippt und Gitarren auf die Ohren gebrettert, der möchte nach Überschreiten der 40 – der Altersschnitt an Bord – auch mal ausspannen. In Ruhe, aber schön laut. Mit 2000 fröhlichen Gleichgesinnten.

Musiker und Künstler mischen sich unter das Metalfanvolk

Viele der Fahrgäste, die im schicken Hauptrestaurant „Atlantik“ in Kutte speisen und belustigt Selfies mit den übersichtlichen Portionen aufnehmen, absolvieren bereits ihre vierte, fünfte „Full Metal Cruise“ als Stammgäste, die in Gruppen bis zu 30 Personen reisen. Sie schätzen den entspannten Charakter. Hier wird nicht wie auf Festivals auf Teufel komm raus eskaliert, hier begegnet man keinen Alkoholleichen. Es kommt sogar nach zwei Tagen eine Lautsprecherdurchsage, dass zu wenig Bier getrunken würde – relativ gesehen.

Warum sollte man auch hetzen, ein Seetag ist lang, wenn nicht gerade Landausflüge nach Marseille oder Valencia locken. „Einfach durchsacken lassen“ ist das aus „Das Boot“ zitierte Stichwort. Schauspieler und Ruhrpott-Ikone Ralf Richter („Das Boot“, „Bang Boom Bang“) ist mit eingestiegen, liest auf der Talkbühne aus der Mötley-Crüe-Bandbiografie „The Dirt“ und steht geduldig wie alle anderen in der Schlange im Buffetrestaurant „Anckelmannplatz“. Musiker und Künstler mischen sich unter das Metalvolk. Man trifft Udo Dirkschneider beim Frühstück, plantscht im Pool mit Equilibrium-Sänger Robert Dahn, und als einem Karaoke-Amateur die Stimme versagt, springt Saltatio-Mortis-Frontmann Jörg Roth auf die Bühne und hilft aus. Auch das hessische Comedy-Duo Mundstuhl ist selten in der Kabine, sondern bevorzugt das eine oder andere Bier mit Trauben von Fans, die Lars Niedereichholz und Ande Werner umlagern. Die schwedischen Rock-’n’-Roll-Girls Thundermother übertreiben es sogar und sind nach ihrem ersten Auftritt und einer langen Nacht hinüber, die Stimme von Sängerin Guernica Mancini reicht nur noch für Möwen-Krächzen, der zweite Auftritt fällt aus.

Blickt man vom Sonnendeck rüber auf das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die 362 Meter lange „Symphony Of The Seas“, eine schwimmende Bettenburg für 6700 Passagiere, dann merkt man der „Mein Schiff 2“ die 20 Jahre auf den Weltmeeren an. In einer Zeit, in der immer größere Liner vom Stapel laufen und auch verstärkt für Diskussionen sorgen (Abgasbelastung in den Häfen, Umweltbilanz pro Passagier), sollte der Tui-Kreuzer eigentlich schon 2019 stillgelegt werden. Stattdessen wird er dann als „Mein Schiff Herz“ noch bis 2022 weiterfahren. Motto-Kreuzfahrten retten ihn über die Zeit, während moderne Schiffe bereits mit Riesenwasserrutschen, U-Booten sowie Kart-Bahnen (und Hybrid-Antrieben) aufwarten.

Nach dem Einlaufen in Palma steht erneut der Bettenwechsel an. Aus der „Full Metal Cruise“ wird die „World Club Cruise“, optisch und akustisch: Statt Metal und Hardrock kommen nun House- und Techno-Beats aus dem Bordlautsprecher. „Klingt scheiße, aber hält das Tempo“, sagt ein Metalhead beim Auschecken.