Der Echo-Eklat: Aus Protest gegen die Auszeichnung fragwürdiger Rapper geben viele Künstler ihre Trophäen zurück – unter anderen Marius Müller-Westernhagen

Es hätte der nächsten Abstandnahmen gar nicht mehr bedurft. Dass auch der Pianist Igor Levit am Dienstag seinen Echo-Klassik (siehe unten stehender Text) zurückgab, schien nur noch wichtig fürs Protokoll. Der nächste also, der aus Protest gegen die Echo-Verleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang mit der Auszeichnung nichts mehr zu tun haben will. Gleiches gilt auch für Marius Müller-Westernhagen, der als erster Superstar seine Vitrine neu sortierte. Er kündigte auf Facebook an, alle sieben Echos zurückzugeben und schrieb unter anderem: „Eine neue Stufe der Verrohung ist erreicht.“

„Verrohung“, das ist in der Tat der Zentralbegriff der Debatte, die nun geführt wird – nachdem sie bei der Echo-Preisverleihung selbst bedauerlicherweise noch ausgespart wurde. „Verrohung“, das ist auch der Anklagepunkt, auf den die Echo-Ausrichter selbst hätten kommen können, als sie sich mit der Frage beschäftigten, ob sie die Rapper Kollegah und Farid Bang wirklich preiswürdig finden müssen.

Als die Musiker am vergangenen Donnerstag mit dem Musikpreis für ihr Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“ ausgezeichnet wurden, standen sie längst in der Kritik, ihr Album war schon vor dem Echo wegen seiner antisemitischen Haltung kritisiert worden. Die Songs enthalten, wie mittlerweile jeder weiß, die Textzeilen „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“ und „Mache wieder mal ‘nen Holocaust, komm an mit dem Molotow“.

Das sind Verse, die über das übliche Schockpotenzial ihrer Spielart des Pop hinausgehen. Bei Kollegah und Farid Bang gehören die verbale Überbie­tungsgeste, die Kampfhaltung, die Aggression und auch die trotzige Selbstinszenierung zum Geschäftsmodell. Und eine bessere Eigen-PR als den Echo-Eklat hätte es für sie übrigens nicht geben können. Ihrem Metier, dem sogenannten Gangsta-Rap, ist die Gewaltverherrlichung und Ignoranz gegenüber Sprachregeln und gesellschaftlichen Konventionen eingeschrieben. So weit, so bekannt. Aber das moralisch frivole Auschwitz-Geplapper der Rapper hätte leicht nur eine Fußnote im großen Buch des popkulturellen Spiels mit der Political Correctness werden können, wäre der Echo-Rahmen nicht so groß gewesen.

Denn im Nachgang, immerhin, funktioniert die gesellschaftliche Debatte so halbwegs. Vorher allerdings nicht. Die Äußerungen erfuhren auf der Preisverleihung selbst nur sehr wenig Widerspruch. Gala ist halt Gala, mag manch einer sagen, da hat man es insgesamt lieber schön als unschön. Die Protagonisten des Festabends also, die sich fürs Schweigen entschieden – wie erfrischend und nachvollziehbar wäre es gewesen, einer der Künstler hätte auf offener Bühne einen künftigen Ausschluss von derart fahrlässig textenden Rappern gefordert? Man muss jenen Schweigern, den Ehrenden und den Geehrten, nicht selbst in den Kontext der heute überhandnehmenden Verrohung und Desensibilisierung stellen, sie gehören ja oft zum Ältestenrat des Popkulturbetriebs oder zumindest in die Generation der vernünftig und mit wachem Blick fürs Historische sozialisierten Generation. Bei Jüngeren ist das anders. Sei es, dass der zeitliche Abstand zu Auschwitz und Shoah eine kritische Größe erreicht hat; sei es, dass der totale Triumph des Hip-Hops und der sozialen Netzwerke, in der ungehemmt hinausgeschleuderte und auf Wirkung zielende Beleidigungen an der Tagesordnung stehen, Worte wie „Holocaust“ entleert haben.

Zuletzt war viel vom vor allem von Muslimen ausgehenden Antisemitismus an deutschen Schulen die Rede. Dieser Antisemitismus spielt sich genau in den Klassenzimmern ab, in denen mit Vorliebe auch Gangsta-Rap gehört wird und in denen manchmal Ratlosigkeit herrscht, wenn es um Völkermord und ausgemergelte Lagerinsassen geht. Wie sollte man in diesem Zusammenhang eine sehr, sehr ekelhafte und dumme Zeile wie „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“ nicht sehr, sehr ernst nehmen? Man muss den lieben Kleinen ja nicht zwangsläufig die Musik komplett madig machen, die sie in ihrer Freizeit hören, aber man fragt sich schon, was denn schlimmer ist: dass die Jugend glaubt, mit solchen Texten provozieren zu müssen, oder dass sie noch nicht einmal versteht, was dort eigentlich genau gerappt wird. Es gibt Grenzen, die bekannt sein müssen, und es gibt einen moralischen Kompass, mit dem man gut durchs Leben kommt. In den Parallelwelten ihrer derben Songs verlaufen sich all die Straßenbanden, Kollegahs und Farid Bangs mit Vorsatz: Die Moral ist hier nichts, der Battle alles.

Mit den Nachwehen einer vollumfänglichen Preis-Katastrophe, die der Echo in diesem Jahr darstellt, muss die beim Bundesverband der Musikindus­trie angesiedelte Deutsche Phono-Akademie, die den Echo ausrichtet, jetzt leben: Weil sie sich vor allem wegen eines falsch verstandenen Begriffs von Kunstfreiheit für die Tolerierung selten geschichtsvergessener Formulierungen entschieden hat. Es fällt schwer, die Veranstalter des streng nach kommerziellen Gesichtspunkten ausgerichteten Preises samt ihres Ethikrats gegen die Anwürfe in Schutz zu nehmen – weil alle Beteiligten es hätten besser wissen müssen.

Die Musiker konnten die nationale Bühne nicht nur für eine fade Replik an Campino nutzen, der ihnen als Einziger die Leviten gelesen hatte, sie bekamen auch die Gelegenheit, „eine martialische Performance“, wie Klaus Voormann es nannte, vor Millionenpublikum hinzulegen. Der Musiker und Grafiker Voormann – er wurde für sein Lebenswerk geehrt – ist auch einer derjenigen, die den Preis zurückgaben.

Eine ganz besondere Pointe war nun aber, dass in Amerika gestern Kendrick Lamar als erstem Rapper der Pulitzer-Preis zuerkannt wurde. Lamar rappt über das Leben als Afroamerikaner – sein Hip-Hop wird dadurch zum Identifikationsmodell Unzähliger. Lamars Talent liegt so dermaßen weit über demjenigen seiner deutschen Kollegen.