Hamburg. Zum ersten Mal verbietet ein deutsches Gericht dem sozialen Netzwerk, einen Kommentar zu löschen

Die Behauptung ist in Diktion und Inhalt geradezu haarsträubend: „Die Deutschen verblöden immer mehr“, schrieb im Januar ein Berliner in seinem Facebook-Account. „Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake News über ‚Facharbeiter‘, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt.“

Mal davon abgesehen, dass die Wortschöpfung „Systemmedien“ eine Abwandlung des von den Nazis in den 20er-Jahren geprägten Begriffs „Systempresse“ ist, handelt es sich bei der Behauptung des Nutzers um blühenden Unsinn. Das Verbreiten von Unsinn ist aber an sich nicht strafbar. Auch Begriffe, die sich einst die Nazis ausdachten, sind per se nicht verboten. Facebook löschte den Kommentar dennoch. „Du hast kürzlich etwas gepostet, was die Facebook-Richtlinien verletzt“, teilte man dem Nutzer mit, dessen Account zudem für 30 Tage gesperrt wurde.

Dagegen prozessierte der Mann vor dem Landgericht Berlin – und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen das Netzwerk. Die Richter fordern in ihrer – allerdings noch nicht rechtskräftigen – Entscheidung vom 23. März Facebook auf, die Löschung und die Sperrung zurückzunehmen (Aktenzeichen 31O21/ 18). Es ist das erste Mal, dass ein deutsches Gericht es einem Netzwerk verbietet, einen Nutzer-Kommentar zu löschen. Bei Redaktionsschluss war die einstweilige Verfügung Facebook noch nicht zugestellt worden.

Bisher schienen User den undurchsichtigen Facebook-Richtlinien hilflos ausgeliefert zu sein. Mit ihnen begründet die Plattform das Löschen von Satiren ebenso wie die von nackten weiblichen Brüsten. Zuletzt sorgte die Entscheidung Facebooks für Schlagzeilen, den Account des Zeichners Martin Perscheid wegen eines Cartoons für 24 Stunden zu sperren. Zwar entschuldigte sich das Netzwerk für das „Versehen“. Doch als Perscheid die Entschuldigung auf seinen Account stellte, wurde er abermals gesperrt. Sollte die Rechtsauffassung der Berliner Richter auch in den nächsten Instanzen Bestand haben, dürfte ein solches Vorgehen nicht mehr möglich sein.

Die Entscheidung des Gerichts bringt auch die Bundesregierung in die Bredouille: Um das Beseitigen von Hassbotschaften zu erleichtern, hatte sie mit ihrem höchst umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz den Plattformen nahezu freie Hand beim Löschen von Inhalten gegeben.

Der Rechtsvertreter des Berliner Nutzers, der Hamburger Anwalt Joachim Steinhöfel, argumentierte in dem Verfahren damit, sein Mandant habe als Facebook-User mit der Plattform einen Vertrag: Sie könne dessen Daten nutzen, im Gegenzug sei es dem Berliner erlaubt, Inhalte abzusetzen, die nicht gegen geltendes Recht verstoßen. An diesen Kontrakt habe Facebook sich zu halten. Es ist anzunehmen, dass die Richter diese Rechtsauffassung teilten. Begründet haben sie ihre Entscheidung aber nicht. Zudem wird in Verfügungsverfahren die Gegenseite, in diesem Fall Facebook, nicht gehört.