Udo Lindenberg eröffnete die multimediale Schau Panik City im Klubhaus St. Pauli. Ein Gang durch die „Wundermaschine“

Ledersessel, Aschenbecher, mondänes Ambiente. Wahrscheinlich würde sich Udo Lindenberg, sich in seiner Raucherlounge im Hotel
Atlantic wähnend, sofort eine Zigarre anstecken. Aber hier in der Panik City herrscht ja Rauchverbot, das Stück Hotel Atlantic ist nur ein Nachbau. Aber der steht immerhin im Klubhaus St. Pauli am Spielbudenplatz, mitten auf dem Kiez unweit des im Pflaster eingelassenen Sterns, der Udo Lindenbergs Namen trägt. Auf der „Reeperbahn“, die er in zwei Songs besingt. Beste Lage also für die multimediale Erlebniswelt, die Lindenberg, die Investoren Corny Littmann und Axel Strehlitz und zahlreiche Prominente aus Politik, Musik und Showgeschäft am Montag eröffneten. Auf über 700 Quadratmetern wurden zwei Millionen Euro verbaut, um Udo Lindenberg, sein Wirken, seine Kunst, seine Erfolge und seine Reinfälle zu würdigen. Lindenberg selber hat zwar nichts investiert, aber bis zuletzt mit Hand angelegt und alles selber ausprobiert. „Irgendjemand muss den Job ja machen“, heißt es in einem seiner populärsten neuen Songs, die die Besucher ständig begleiten.

90 Minuten dauert eine geführte Gruppenreise durch die „Udo Lindenberg Experience“, die eingebettet ist zwischen die Musikclubs Kukuun, Häkken, Gaga und Bahnhof Pauli, die Kleinkunstbühne Schmidtchen und die Bar Alte Liebe.

Mit dem Glasfahrstuhl geht es in den vierten Stock und von dort ... in die eingangs erwähnte Raucherlounge im Hotel Atlantic. Es fehlt nur der kalte Hauch Zigarrenduft, der ihn umgibt, aber in der Panik City wird ja nicht gepafft. Der vielleicht einzige unauthentische Moment, der weggeblasen wird von seinen Songs und einer kurzen, detailvollen Vorstellung des Lindenwerks auf einer sehr breiten Multimediawand. Der jetzt 71 Jahre junge Pop-Astronaut lebte bekanntlich ein Leben auf der Überholspur, drückte immer gleichzeitig auf Gaspedal und Vorspultaste, geriet mehrfach ins Schleudern und flog direkt aus der Kurve. Es ist immer noch einmalig, wie er 1992 den Echo für sein Lebenswerk bekam, weil man nicht mehr viel erwartete. Tatsächlich brauchte er danach 16 Jahre, um aus der halben oder kompletten Versenkung wie „Phoenix aus der Flasche“ wieder mit dem Album „Stark wie Zwei“ (2008) aufzutauchen. Sein erstes Nummer-eins-Album nach 33 Versuchen, seine Eintrittskarte in die Stadien der Republik. Und dass diese Geschichte sich wiederholen lässt, zeigte er vor zwei Jahren mit dem Nachfolger „Stärker als die Zeit“. Sich immer neu erfinden und ganz der Alte bleiben, der ewige Newcomer, immer noch so unterschätzt wie im Übermaß medial ausgeleuchtet.

Im zweiten von sechs Themenräumen geht es zurück zu den Ursprüngen nach Gronau. Zu Mutter Hermine und Vater Gustav, die als Bilder grüßen, und zu Schwester Inge, mit der Udo im Dialog über seine ersten Gehversuche als Musiker, als Trommler erzählt. Überhaupt hat man immer das Gefühl, dass Lindenberg einen in Person anspricht und durch die Räume begleitet, besonders im – subjektiven – Herzstück der Panik City, einem Nachbau der Boogie Park Studios in Altona. Angeleitet von Udo können sich die Besucher hier Kopfhörer und Mikro schnappen und in zwei Takes (der erste Take geht für jeden daneben, egal, was die anderen sagen) „Ich mach mein Ding“ einsingen – und sich den Mitschnitt anschließend schicken lassen. Ein schöner Spaß, eine kurze Karaoke-Party mit echtem Studio-Feeling zwischen Schlagzeug, Boxen und Gitarren.

Nicht unbedingt schön, aber historisch relevant wird es im vierten Themenbereich, dem wilden, blendend klinisch weißen Osten. Ein Stasi-Offizier empfiehlt, sich ein „Tablett“, also ein Tablet-PC zu greifen und damit mehrere Objekte zu scannen. Dann erfährt man mehr über Udogensien wie dem Trabant aus der letzten Produktionsreihe, den Lindenberg 1996 kurz vor seinem 50. Geburtstag geschenkt bekommen hat. Der Trabi in der Panik City ist zwar ein Nachbau (das Original steht gut versteckt irgendwo in Hamburg), aber eine schöne Überraschung hier oben in der vierten Etage. Im Prinzip wurde der Raum um das Auto herumgebaut, nachdem es mit einem Kran durch eine Lücke in der Fassade des Klubhauses gehoben wurde. Neben dem Trabi hängt eine Ibanez-Gitarre mit „Gitarren statt Knarren“-Schriftzug. Es ist tatsächlich das Original der Stromklampfe, die Lindenberg am 9. September 1987 vor dem Friedrich-Engels-Haus in Wuppertal an SED-Chef Erich Honecker überreichte. Vorher hatten der Panik-Präsident und der Generalsekretär um des lieben Friedens willen bereits Briefe, Lederjacke und Schalmei ausgetauscht, dennoch war „Hony“ perplex: „Danke recht herzlich“. Jeder Schritt Udos, das zeigen Auszüge aus Lindenbergs Stasi-Akte, wurde überwacht, aber damit hatte niemand, weder der „Oberindianer“ noch die „Rudi-Ratlos-Gangs“ von den Sicherheitsbehörden der DDR gerechnet. Die brauchten wahrscheinlich erst mal einen Schnaps.

Den gibt es einen Raum weiter, auch wenn die 1000 ausgestellten Flaschen bereits leer sind. An mehreren Multimedia-Tischen können die Besucher ihre eigenen „Likörelle“ malen und sich anschließend mailen lassen. Virtueller Blue Curaçao für Blau, Grenadine für Rot, Eierlikör für Gelb, Pfefferminz für Grün, Udo macht es auf der Leinwand vor. Ein wenig Mut anmalen für das Finale vor dem Ausgang auf die geile Meile, die alte Gangsterbraut, die Reeperbahn: Durch einen authentischen Backstage-Flur inklusive Leergut und Kippenstummeln geht es in den Virtual-Reality-Raum und via VR-Brille direkt hinein ins Udo-Lindenberg-Konzert.

Mehr sei hier mal nicht verraten und das sind auch nur kurze Ausschnitte aus einem Rundgang durch die Panik City. Aber: Das Konzept ist so modern und innovativ wie leicht nachzuvollziehen. Eine begehbare Infotainment-Show ohne Blendeffekte, aber voller verblüffender und liebevoll gestalteter Details. Auch ausgewiesene Lindianer und Udo-Alleswisser kriegen hier ihren Mehrwert geboten, während der interessierte Tourist nicht von Spezialwissen erschlagen oder überfordert wird. Diesen Balanceakt durchzuhalten, und modernste Technik im Bild und Ton nicht um der Technik willen zu präsentieren, ist schon beeindruckend.

Alles hat seine Zeit, und auch wenn Udo „Stärker als die Zeit“ singt, muss sich selbst seine erfolgreiche Marke wieder einmal neu beweisen. Sein Musical „Hinterm Horizont“ hatte in Berlin und in Hamburg natürlich seine Besucher, lief aber in der Hansestadt auch nur ein Jahr. Und dass ein bekannter Name aus der Musikwelt kombiniert mit einer liebevoll gestalteten Erlebniswelt noch kein Garant für Erfolg ist, zeigte die 2009 eröffnete „Beatlemania“-Ausstellung über die Beatles, die 2012 leider den Betrieb aufgeben musste. Die Besucherzahlen waren nicht aus­reichend, um die Schau über die berühmteste Band der Welt noch länger zu erhalten.

Die Reeperbahn ist jetzt jedenfalls mit der Panik City um eine so in dieser Form noch nicht dagewesene Attraktion reicher. Eine, die sowohl zum „alten“ Rock-’n’-Roll-Kiez aus Udos jungen Jahren passt als auch zum „neuen“ Amüsier- und Kulturquartier mit Musicals, Theatern und Gastronomie. Davor kann man nur den Hut ziehen. Schönes Ding, das die da machen.