Zur Halbzeit der Olympischen Spiele in Pyeongchang ist die sportliche Bilanz glänzend – doch zu Übermut besteht kein Anlass

Als Rosi Mittermaier 1976 in Innsbruck gefragt wurde, wie sie ihre drei olympischen Medaillen – Gold in der Abfahrt und im Slalom, Silber im Riesenslalom – sportlich einordne, antwortete sie, dass der Gesamtweltcupsieg ihr eigentlich mehr bedeute. Denn der spiegele wider, wer über eine lange Saison hinweg die beste Skifahrerin war. Natürlich hatte sie recht. Und natürlich hat das niemanden interessiert – sie ist ja nicht als „Weltcup-Rosi“ in die Sportgeschichte eingegangen, sondern als Gold-Rosi.

Medaillen sind die einzige olympische Währung, die in Sportnationen wie Deutschland zählt. Das „Dabeisein“ überlassen wir jamaikanischen Bobfahrern oder Ski-Langläufern aus Tonga. Und in den ersten sieben Tagen der Spiele in Pyeongchang gab es reichlich zu zählen. Deutschland führt zur Halbzeit den Medaillenspiegel mit neun Gold-, zwei Silber- und vier Bronzemedaillen an. Entsprechend enthusiastisch äußern sich die Funktionäre. „Die bisherigen Tage waren für Leistungssportbegeisterte schon ein Geschenk“, resümierte Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig. „Das ist ein überragendes Ergebnis, das ist sehr begeisternd.“ Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), stimmt mit ein: „Wir haben unmittelbar nach Sotschi unsere Hausaufgaben noch besser und professioneller gemacht. Und wenn dann auch noch das berühmte Quäntchen Glück dazukommt, und das hatten wir an der ein oder anderen Stelle, dann kommt eben ein solches Ergebnis zustande.“

Es stimmt schon, der Medaillenspiegel lügt nicht. Aber mit der ganzen Wahrheit rückt er eben auch nicht immer heraus. Er lässt keinen Raum für Zwischentöne. All die Zufälle, Glück und Pech spielen keine Rolle. Eine Windböe zur Unzeit, eine Unebenheit auf der Piste – und der Traum vom Olympiasieg, von Ruhm und auch von Geld, ist erledigt.

Aber genau das macht eben auch die Faszination aus: Dieser eine Moment, auf den es ankommt, in dem alles kulminiert, Jahre des Trainings und der Quälerei. Sinnbildlich dafür steht Aljona Savchenko. Die 34 Jahre alte Eiskunstläuferin ist seit zwölf Jahren in der Weltspitze, im Paarlauf hatte sie mit Partner Robin Szolkowy fünfmal die Weltmeister- und viermal die Europameisterschaft gewonnen. Und doch fühlte sie sich nicht als Gewinnerin. Trotz bis dahin zweier olympischer Medaillen sah sich die gebürtige Ukrainerin, die seit 2003 in Deutschland lebt, unvollendet. Denn sie waren aus Bronze. Und so erlebten die Zuschauer die wohl emotionalsten Minuten in dieser Woche, als sie sich mit ihrem Partner Bruno Massot nach hinreißender Kür die Medaille holte, für die sie seit Kindertagen gelebt hat: Gold.

Sie hat einen von neun deutschen Olympiasiegen geholt. Mit einigen hatte man fest gerechnet, etwa Natalie Geisenberger, Tobias Wendl und Tobias Arlt, die im Rodeln im Einer, Doppel und mit dem Team gewannen. Zumindest nicht überraschend waren die Siege von Eric Frenzel in der Nordischen Kombination und Andreas Wellinger beim Ski-Springen. Einer, mit dem keiner gerechnet hatte, war Arnd Peiffer, der im Biathlon-Sprint seine Karriere krönte. Und dann gibt es natürlich den deutschen Superstar, der keiner sein möchte: Laura Dahlmeier. Drei Medaillen bei drei Starts gewann sie, darunter zwei goldene. Für viele war das „erwartbar“. Und genau deswegen ist die Leistung der
24-Jährigen gar nicht hoch genug einzuschätzen – sie wäre wahrlich nicht die Erste gewesen, die dem Erwartungsdruck nicht standgehalten hätte.

Das Ergebnis in Sotschi wardas schlechteste seit 1964

Eine Enttäuschung kann Olympia für Laura Dahlmeier nicht mehr werden. Vielleicht die richtige Voraussetzung, um die verbleibenden drei Rennen mit einer gewissen Lockerheit anzugehen und noch dreimal Edelmetall zu holen. Dann wäre sie über Deutschland hinaus der Superstar der Spiele.

So viele Siege wie in Woche eins wird es bis zum Sonntag kommender Woche für das deutsche Team nicht mehr geben. Aber zehn bis zwölf weitere Medaillen sind keine allzu gewagte Prognose. Neben den Biathleten sind es vor allem die Bobfahrer, die Skispringer und die Nordischen Kombinierer, die bei den anstehenden Wettkämpfen in der Favoritenrolle sind. Es darf aber nicht übersehen werden, dass es auch echte Schwachpunkte gibt, vor allem bei den Freestylern und Snowboardern. Doch auch so wird die Mannschaft das – enttäuschende – Abschneiden von Sotschi toppen, als Deutschland mit 19 Medaillen auf Rang sechs landete.

Dabei sollte die Platzierung im Medaillenspiegel gar nicht so wichtig genommen werden. Da die Reihenfolge sich ausschließlich an der Zahl der Goldmedaillen orientiert, ist das Bild meistens schief. Seit der Wiedervereinigung hat die deutsche Mannschaft im Schnitt 27 Medaillen bei Winterspielen gewonnen. Die Zahl könnte auch 2018 noch erreicht werden – und wäre ein schöner Erfolg. Selbst wenn andere noch etwas besser sind.