Hamburg. An diesem Mittwoch feiert Konzertveranstalter Hans-Werner Funke seinen 80. Geburtstag. Nachfolger des Impresario ist sein Sohn Pascal Funke.Ein Doppel-Interview

Das mit dem Loslassen hat offenkundig funktioniert. Das Gespräch mit Vater und Sohn schnurrt, die beiden formulieren pointiert, aber sie fallen einander nie ins Wort. Was keine Selbstverständlichkeit ist bei einer Persönlichkeit vom Format Hans-Werner Funkes. „Jonny Controlletti“ hat ihn Udo Lindenberg mal genannt, Funkes explosives Temperament war stadtbekannt. An diesem Mittwoch wird der Mann, der das Hamburger Musikleben über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg geprägt hat, 80 Jahre alt. Längst führt sein Sohn Pascal (Jahrgang 1970) die Geschicke der Unternehmensgruppe, doch der Senior nimmt lebhaft Anteil am Geschehen. Die Reporterin spricht er, mit der ungebrochenen Präsenz des hanseatischen Kaufmanns, mit dem Hamburger „Sie“ an. An seinem Geburtstag bleibt er sich und seiner Vita treu und feiert ihn – im Konzert.

Herr Funke senior, Sie werden diesen Mittwoch 80 Jahre alt und sind immer noch bei jedem ProArte-Konzert dabei. Welcher ist Ihr Platz?

Hans-Werner Funke: In der Laeiszhalle habe ich meine Stammplätze in Reihe 7 und in der Elbphilharmonie in Block A, Reihe 4 rechts.

Obwohl Sie die Geschäftsführung ja schon vor zehn Jahren abgegeben haben.

Hans-Werner Funke: Ich bin neugierig. Schon immer gewesen. Ich gehe auch in Fremdveranstaltungen, weil mich das interessiert. Manchmal bleibe ich auch nur bis zur Pause, aber ich weiß dann, was läuft. Wie neue Solisten sind, ob die alten Solisten noch gut sind, ob die Orchester sich verändert haben und so weiter.

Das klingt sehr professionell. Was ist denn Ihre emotionale Beziehung zur Sache?

Hans-Werner Funke: Es gibt Abende, die mich berühren, das sind natürlich die schönsten. Aber es gibt auch viele, wo man nach Hause geht und nicht so berührt war.

Was berührt Sie denn?

Hans-Werner Funke: Wenn die Musik mich trifft. Wenn der Solist mich erreicht oder auch das Orchester. In der Unterhaltung ist das auch so. Das kann ich nicht in Worte fassen, das kann ich nur empfinden.

Sie haben Udo Jürgens im Bademantel auf die Bühne geschubst und damit Musik­geschichte geschrieben, Sie haben die Stones bei Laune gehalten und Louis Armstrong das Taschentuch gereicht.

Hans-Werner Funke: Man erlebt die Künstler aus der Nähe. Wenn Ina Müller von der Bühne kommt, bin ich der Erste, der sie in den Arm nehmen darf. Das gehört zu den schönen Aufgaben, die ich noch habe.

Herr Funke junior, wie kommt man aus dem Schatten eines solchen Übervaters heraus?

Pascal Funke: Indem man ihn gar nicht als Schatten empfindet. Ich hatte das Glück, mit diesem Hobby, wie mein Vater es beschrieben hat, groß zu werden, das war Teil unseres Familienlebens. Meine Mutter hat ja auch mitgemacht, wir Kinder waren von klein auf mittendrin. Der Erfolg meines Vaters war nie eine Bürde für mich.

Schauen wir zurück auf die Hamburger Nullerjahre, die Zeit der heißen Kämpfe um den örtlichen Klassikmarkt: Die Konzertdirektion Dr. Goette war über Jahrzehnte der prägende Konzertveranstalter in der Musikhalle, wie sie damals noch hieß. Neben Ihnen gab es eigentlich nur die Konzerte der hiesigen Orchester.

Hans-Werner Funke: Es gab schon immer andere Klassik-Anbieter. Aber die kamen gegen Goette nicht an. Das ging mir selber so, lange bevor ich Goette übernahm. Ich habe in den 60er-Jahren auch versucht, Konzertreihen mit Klassik zu machen. Aber bei Goette spielte immer die Erste Bundesliga und die Europaliga, und ich hatte eben die Zweite Bundesliga.

Wie war das für Sie, als Benedikt Stampa, der Geschäftsführer der Musikhalle, plötzlich mit den m-Konzerten am Start war?

Hans-Werner Funke: Das fand ich nicht gut. Was Privatunternehmer können, muss der Staat nicht mit Subventionen machen.

Aber die m-Konzerte hatten doch ein ganz anderes Profil. Sie boten ein avanciertes Programm, während Goette eher auf Gediegenes und Bewährtes setzte. Man hätte ja sagen können, die Privaten setzen auf das sichere Pferd, und die subventionierte Reihe experimentiert und bedient ein anderes Segment des Kulturauftrags?

Pascal Funke: Die grundsätzliche Frage ist doch eine andere. Ist es Aufgabe der öffentlichen Hand, eine Agenturtätigkeit zu übernehmen? Unsere Prämisse als privater Veranstalter kann nur sein: Sehen wir eine ausreichende Nachfrage? Die Stadt hätte uns doch auch beauftragen können: Macht uns m-Konzerte.

Man könnte ja auch sagen, Konkurrenz belebt das Geschäft.

Pascal Funke: Ja, aber sie muss auf Augenhöhe stattfinden.

Hans-Werner Funke: Es gab keinen Anlass für staatliche Konkurrenz.

Sie fanden damals, ein zweites Konzerthaus bräuchte es nicht – eher eine zweite große Arena. Wie bewerten Sie die Entwicklung in der Rückschau?

Hans-Werner Funke: Ich hatte damals das Gefühl, dass man an einem Abend nicht 4000 Besucher für Klassik aktivieren kann. Man kann sich täuschen. Heute zeigt sich: Die Laeiszhalle wird von der Elbphilharmonie mitgezogen.

Woher kam denn Ihrer heutigen Ansicht nach die unerwartete Dynamik?

Hans-Werner Funke: Viele wollen den Saal der Elbphilharmonie von innen sehen. Und von denen werden viele dadurch erst klassikaffin.

Pascal Funke: Wenn die Leute erst mal darin waren, wollen sie gleich wieder hinein. Das ist ein singuläres Phänomen. Die Strahlkraft der Elbphilharmonie war unvorhersehbar. Der Newsletter der Elbphilharmonie geht an unzählige Interessierte in der ganzen Welt. Solche Größenordnungen waren vorher für Klassik unvorstellbar.

Wie steht es heute um die Wettbewerbsverzerrung, die Sie damals beklagten?

Pascal Funke: Was uns die Verzögerungen an Gutem gebracht haben, das ist das respektvolle Umgehen miteinander. Die HamburgMusik ist gegründet worden, weil die Stadt Angst hatte, sie würde den zweiten Saal sonst nicht vollkriegen, das hat mir die damalige Kultursenatorin Karin von Welck gesagt. Im Nachhinein betrachtet war das ein Irrtum. Es herrschte einfach eine Grundskepsis. Heute haben wir uns im positiven Sinne gefunden. Wir machen alle Konzerte in Form einer Kooperation.

So eine Kooperation ist ja eine Blackbox. Was ist da eigentlich drin?

Pascal Funke: Es bedeutet inhaltliche Abstimmung. Die Elbphilharmonie will den Überblick über das Programm behalten. Wir stimmen uns auch im Marketing und im Vertrieb ab.

Heißt Kooperation nicht auch, dass jeder etwas Geldwertes beiträgt?

Hans-Werner Funke: Es fließt immer Geld! Und zwar von uns an die Elbphilharmonie. Nämlich Miete.

Pascal Funke: Es geht nicht immer um ökonomische Fragen, aber auch. Sind die Preisgefüge sinnvoll? Wenn wir etwa zeitversetzt denselben Künstler holen, wäre es nicht gut, stark abweichende Ticketpreise zu verlangen.

Herr Funke senior, Sie haben die Geschäftsführung für Dr. Goette 2008 abgegeben. Heute macht Burkhard Glashoff die Programmplanung. Wie läuft das? Greifen Sie ein?

Pascal Funke: Wir greifen überhaupt nicht ein. Sie werden uns auch nie bei den Saisonvorstellungen sehen.

Wer bestimmt über die langfristige programmatische Ausrichtung?

Pascal Funke: Burkhard Glashoff. Die Entscheidung trifft man, wenn man den Geschäftsführer einstellt. Wenn Sie jemanden wollen, dem Sie hineinreden können, dann bekommen Sie niemanden von dieser Qualifikation.

Hans-Werner Funke: Erste holen Erste. Zweite holen Dritte.

Was schätzen Sie, wie lange wird die Elbphilharmonie noch von selbst laufen?

Hans-Werner Funke: Drei bis vier Jahre ab Eröffnung.

Pascal Funke: Ich kann keine Prognose abgeben. Wir haben uns alle geirrt. Wir hatten die Erfahrung einfach noch nicht gemacht. Es kann auch noch Jahrzehnte so weitergehen.

Hans-Werner Funke: Es kann natürlich auch der Sydney-Effekt eintreten – dass die Leute nur wegen der Architektur kommen.

Musikalisch scheint das Sydney Opera House den spektakulären äußeren Eindruck ja nicht einzulösen.

Pascal Funke: Von innen ist es jedenfalls architektonisch überhaupt nicht spektakulär. Das ist in der Elbphilharmonie wirklich anders. Die Plaza, das Foyer und der Saal halten, was die Hülle verspricht.

Hans-Werner Funke: Ich gehe immer so rechtzeitig hin, dass ich eine Viertelstunde vor Beginn des Konzerts auf meinem Platz sitze. Einfach um den Leuten zuzugucken, wie sie auf den Saal reagieren.

Pascal Funke: Der Saal hat sich noch überhaupt nicht verbraucht. Wenn uns das schon so geht, die wir andauernd da sind, wie mag das dann erst anderen gehen?

Werden Sie der Klassik auch in schlechten Zeiten die Treue halten?

Pascal Funke: Die Klassik gehört zur DNA unseres Unternehmens!

Herr Funke senior, Sie haben oft betont, dass die Klassik ein schwieriges Geschäft sei. Warum sind Sie drangeblieben?

Hans-Werner Funke: Ich habe immer gerne Klassik gehört. Das ist eine Frage der Empathie. Und es war auch wichtig für die Firma, ein zweites Standbein zu haben.

Haben Sie einen kulturellen Auftrag gespürt?

Pascal Funke: Eine Klassik-Konzertdirektion hat einen Stamm an Abonnenten. Das ist ganz anders als bei der Popularmusik, wo Sie das Publikum für jedes Konzert neu motivieren müssen. Viele unserer Abonnenten sind seit Jahren bei uns. Wir hören immer wieder, gerade jetzt, dass die Leute sagen, sie werden ihr Abonnement vererben. Da muss ich Inhalt liefern, das ist mein Auftrag. Entweder indem ich ihre Erwartungen erfülle oder indem ich sie mit Neuem bekannt mache. Neues gehört dazu. Jede Künstlerkarriere ist endlich. Wir müssen den Anschluss behalten, um dem Anspruch des Publikums gerecht zu werden.

Herr Funke senior, Sie haben einmal gesagt, das cholerische Temperament sei Ihnen im Lauf Ihres Berufslebens zugewachsen. Wie hat es sich denn entwickelt, seit Sie in die Position des Elder Statesman gewechselt sind?

Hans-Werner Funke: Ich bin ruhiger geworden. Ich habe mir angewöhnt, Kritik herunterzuschlucken. Ich sage mir, die Fehler müssen die anderen selber machen.

Braucht man als Unternehmenschef eine cholerische Energie?

Pascal Funke: Nein. Das ist ein bisschen aus der Zeit gefallen.

Hans-Werner Funke: Für die Nachkriegsgeneration sah es so aus: Ärmel hochkrempeln und machen. Heute wird viel mehr im Team gearbeitet.

Pascal Funke: Wir sind sehr ähnlich im Temperament und streiten auch schon mal. Aber wir konnten die Sachebene und die persönliche Ebene immer trennen. Sonst würden wir heute nicht zusammen wohnen.

Wie muss ich mir das vorstellen, Sie wohnen im selben Haus?

Hans-Werner Funke: Pascal wohnt mit seiner Familie unten und ich oben. Und meine Schwiegertochter steht im Zen­trum des Orkans.

Sind Sie eine Kommune?

Pascal Funke: Es hat schon jeder seine eigene Küche und so. Wir Erwachsenen haben einen Kodex – dass wir anrufen oder anklopfen, bevor wir den anderen besuchen. Von dieser Kultur
befreit sind allerdings die Kinder.
Die gehen hoch, wann und wie sie wollen, in jedem Aggregatzustand, und kriegen auch definitiv alles bei Opa, was sie gerade bei uns verweigert bekommen. Die sitzen dann lollilutschend bei ihm vorm Fernseher auf der Couch und lassen sich von ihm bedienen. Aber das wollen wir auch so, denn wir wollen ja, dass sie ihren Großvater anders erleben, als wenn wir alle zwei Wochen für eine Stunde zum Kaffeetrinken hinführen.