Pyeongchang. Heute beginnen die Winterspiele in Südkorea. Die Krise, in der das Internationale Olympische Komitee steckt, werden sie nicht lösen können

Es mag aus der Ferne betrachtet untergegangen sein, aber die Olympischen Winterspiele haben bereits begonnen, noch bevor sie am heutigen Freitag um 12 Uhr deutscher Zeit im fünfeckigen Olympiastadion von Pyeongchang eröffnet werden. Am Donnerstag trugen die Curler ihre ersten Partien aus, am Sonnabend starten auch für etliche andere der 2900 Athleten aus 92 Ländern die Wettkämpfe. „Lasst uns hoffen, dass die Sportler wieder die Hauptbühne übernehmen“, sagt Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Bisher sind es die politischen Spiele von Pyeongchang, sie sollen nun endlich zu Olympischen Spielen werden.

Redet man über Olympia, richten sich die ersten Gedanken längst nicht mehr an den sportlichen Wettbewerb und die vereinende Wirkung der fünf Ringe. Was jedem gleich in den Kopf schießt, sind Korruption, Doping, Profitsucht, Verschwendung von Steuergeldern. Die olympische Bewegung befindet sich in einer schweren Krise – und es ist naiv zu glauben, sie würde bei den ersten Winterspielen auf asia­tischem Festland gelöst. Dabei gibt es auf der koreanischen Halbinsel Anzeichen, dass der Sport seine integrative Kraft entfalten könnte: In Form der Völkerverständigung zwischen dem Süden und Norden, zwei verfeindeten Bruderstaaten, deren Sportler gemeinsam in Pyeongchang ins Olympiastadion einlaufen werden. „Das ist der emotionalste Moment der Spiele“, ist sich Bach bereits sicher. Er ist zu kitschig, um wahr zu sein. Obwohl in der olympischen Charta der Missbrauch des Sports durch Politik und Kommerz strengstens untersagt ist, lässt er sich diesmal veritabel benutzen.

Schließlich ist das IOC geübt darin, verklärende Bilder in die Welt zu senden. Und in Pjöngjang, der Hauptstadt Nord­koreas, rotiert die Propagandamaschine: Diktator Kim Jong-un lässt mit seiner jüngeren Schwester erstmals ein Mitglied der Herrscherfamilie in den Süden reisen. Das ist noch höher einzustufen als die Entsendung von 22 Sportlern, von denen einige eine gemeinsame Mannschaft mit den Eishockeyspielerinnen des Südens bilden, sowie einer 120-köpfigen Musikkapelle. Avancen, die dem für eine Wiedervereinigung aufgeschlossenen Präsidenten Südkoreas, Moon Jae-in, behagen. Gleichzeitig betont Kim, ein Frieden sei undenkbar, solange sich noch immer US-Soldaten in Korea befänden.

Bach vertritt bezüglich der Verknüpfung von Sport und Politik eine klare Meinung: nämlich keine. Jedem gegenüber neutral zu sein, das ist der oberste Grundsatz in seinem Verständnis als Sportfunktionär. Der 64 Jahre alte Fecht-Olympiasieger von Montreal 1976 war schon gegen den Olympiaboykott deutscher Sportler bei den Spielen 1980 in Moskau. Nach dieser Maxime richtet sich auch sein Verhalten in der quälend langen Diskussion um das in Russland betriebene Staatsdoping.

Das kriminelle Vergehen als solches zu bezeichnen und konsequente Schritte einzuleiten, haben Bach und das IOC versäumt. Sogenannte Rädelsführer wurden zwar sanktioniert, dafür aber dürfen nun 167 für sauber erklärte Russen – das sind mehr als die deutsche Delegation mit 154 Sportlern – als „Olympic Athletes from Russia“ ohne Fähnchen in der Hand antreten. Nur beim Gewinn einer Goldmedaille müssten sie auf die Hymne verzichten. Es können jedoch noch mehr Starter werden, weil der Internationale Sportgerichtshof CAS die vom IOC verhängten Sperren auf Lebensdauer und aberkannten Olympiasiege aus Mangel an Beweisen einkassiert hat. Erst kurz vor der Eröffnungsfeier wird klar sein, wie viele der Gesperrten, 45 Sportler und zwei Trainer, sich noch vor einer Ad-hoc-Kammer die Teilnahme erstreiten. „Wir haben gute Argumente“, sagt Bach und setzt darauf, den Ausschluss beibehalten zu können. „Aber das Timing ist nicht in unserer Hand.“ Dabei hätte das IOC viel früher für Klarheit sorgen können – zum Beispiel unmittelbar nach Bekanntwerden der russischen Dopingmachenschaften in Sotschi vor vier Jahren.

Immerhin ist die Debatte um den Gigantismus der Olympia-Gastgeber in Südkorea etwas abgeflaut. Pyeongchang, eine äußerst strukturschwache Region mit schroffen Hügeln und kahlen Bäumen, gegen die München und Garmisch-Partenkirchen mit ihrer Bewerbung vor sieben Jahren krachend gescheitert waren, soll mithilfe von Olympia zu einem Wintersportparadies aufgepeppt werden. Zehn statt der 50 Milliarden Euro in Sotschi sind dafür ausgegeben worden. In Europa schwindet die Bereitschaft, Olympia in die Alpen oder in die skandinavischen Berge zu holen – den asiatischen Markt für Schnee- und Eissportler will das IOC erst noch erschließen. Mit Pyeongchang 2018 und Peking 2022.

Doch die Südkoreaner sind keine begeisterten Wintersportler, abseits von Eiskunstlauf und Shorttrack können sie sich für das alpine Abfahren und Langlauf kaum begeistern. Trotz der vergleichsweise günstigen Investitionen ist der Gastgeber nicht an Vertreibungen von Einwohnern und Bausünden vorbeigekommen. Die Liste der Sportstätten ist lang, für deren Nutzung kein schlüssiges Konzept vorliegt, wenn das Ufo Olympia erst mal wieder abgehoben hat und verschwindet.

Das wird am 25. Februar der Fall sein, wenn nach 102 Entscheidungen die Olympische Flamme in Pyeongchang erlischt und Bach voraussichtlich von ausgezeichneten Spielen, gänzlich ausgebliebenen Klagen der Sportler und Treffen mit der Jugend beim Essen in der Mensa berichten wird. Dann geht das Gerede von Korruption und Doping von vorne los.