Hamburg. Seit das Erzbistum bekannt gab, bis zu acht der 21 katholischen Einrichtungen zu schließen, formiert sich Protest. Erzbischof Stefan Heße und Generalvikar Ansgar Thim nehmen im Abendblatt ausführlich Stellung zur Finanzkrise

Es gab Wasser für alle, und auf dem Tisch brannte eine Kerze, als sich Erzbischof Stefan Heße und Generalvikar Ansgar Thim den Fragen der Abendblatt-Redakteure stellten. Es wurde ein sehr offenes Gespräch über die Schulschließungen, die Enttäuschung vieler Eltern und die eigenen Fehler.

Herr Erzbischof, hat Sie die Reaktion der Betroffenen und der Öffentlichkeit überrascht?

Erzbischof Stefan Heße: Nein, überrascht hat mich die nicht. Es geht um Schulen, um Kinder – und das sind immer sehr sensible Themen. Deswegen war damit zu rechnen, dass Eltern, Lehrer und Kinder davon sehr hart getroffen sind. Wir haben diese Maßnahme nicht leichtfertig getroffen, sondern gesagt, angesichts der Finanzlage unserer Diözese müssen wir dafür sorgen, dass wir Schule so gut sichern, wie es eben möglich ist. Wir werden nicht alle Schulen halten können. Dass wir aber Schulen halten, steht für uns außer Frage, aber das muss auf einem soliden finanziellen Fundament stehen. Für mich geht es um langfristige Sicherung von Schule.

Schmerzt es Sie denn, das Sie gerade die engagierten Katholiken vor den Kopf stoßen?

Heße: Das schmerzt mich. Das geht nicht an mir und auch nicht am Generalvikar spurlos vorüber, weil es um Menschen geht. Die Reaktionen zeigen mir, wie stark die Verbundenheit der Menschen mit den Schulen ist.

Warum diese Eile, schließlich lag das Gutachten von Ernst & Young seit Dezember vor, und die finanzielle Schieflage der katholischen Schulen war seit Jahren bekannt?

Heße: Das Gutachten hat uns gezeigt, dass die Situation des Erzbistums dunkler ist, als wir gemutmaßt haben. Wir haben uns natürlich Gedanken über die Konsequenzen gemacht. Und dann gibt es den Stichtag der Anmeldungen für die Schulen Ende Januar. Uns war klar, dass wir den nicht verstreichen lassen können und das Ganze nicht wieder ein Jahr verzögern, sondern wir müssen so ehrlich sein, den Zeitpunkt zu ergreifen. Wir wollten den Eltern nichts vormachen und 14 Tage nach der Anmeldung die negative Botschaft verkünden.

Die Anmelderunde ist doch in jedem Jahr um diese Zeit. Und im Ernst-&-Young-Gutachten ist schon die Rede von acht möglichen Schulschließungen. Es muss also etwas passiert sein, dass Sie davon abgebracht hat, Eltern und Lehrer der Schulen wie angekündigt bis Ende März zu beteiligen.

Generalvikar Ansgar Thim: Die Begründung ist die horrende Verschuldung, die wir im Vorfeld so nicht abschätzen konnten. Mit dieser dramatischen Negativentwicklung – von derzeit knapp 80 auf 350 Millionen Euro bis 2021 – haben wir nicht gerechnet. Angesichts dieser Zahlen mussten wir Sofortmaßnahmen ergreifen. Letztendlich sind es Notmaßnahmen. Wir fahren für die 21 Schulen im laufenden Betrieb mit einer Unterdeckung von rund zehn Millionen Euro pro Jahr. Der Plan, die Schulen zu beteiligen, konnte aufgrund der Dringlichkeit nicht eingehalten werden. Es wäre gut gewesen, die Eltern rechtzeitig zu informieren, aber nicht in einer so dramatischen Situation, wie es jetzt gewesen ist.

Beteiligung heißt doch auch Beteiligung an der Suche nach Lösungen zum Erhalt.

Thim: Es geht nicht nur ums Geld. Es geht auch um Entwicklungsperspektiven. Diese fünf Schulen, die wir schließen werden, sind nicht mehr entwickelbar, weil sie das sich weiterentwickelnde Schulsystem nicht mehr abbilden können. Wir wollen Schule auch baulich so gestalten, dass sie wenigstens einem mittleren Standard entspricht. Das ist an bestimmten Standorten nicht mehr möglich, weil zum Beispiel die Fläche begrenzt ist. Die fünf Schulen können wir nicht mehr unterhalten. Bei den drei Standorten in Harburg, Neugraben und der Sophienschule in Barmbek gibt es das einjährige Moratorium. Da hoffen wir auf Sponsoren, um sie langfristig weiterführen zu können.

Wenn Sie den Vertrauensschaden bei den Betroffenen vergleichen mit dem Nutzen – würden Sie es heute genauso machen?

Heße: Das Problem der Überschuldung war hinlänglich bekannt. Das Problem weiter in die Zukunft laufen zu lassen halte ich für unverantwortlich. Ich bin jetzt 51 Jahre alt, und wenn ich gesund bleibe, bin ich noch 24 Jahre lang Erzbischof von Hamburg. Ich kann also nicht sagen, das Unangenehme soll mein Nachfolger machen. In Kenntnis der Situation kann ich nicht sagen, ich verharre in Untätigkeit.

Das verstehen die meisten. Kaum jemand verschließt die Augen vor den finanziellen Nöten. Die Kritik richtet sich vor allem gegen das Verfahren. Also von oben nach unten dekretiert: Schluss und Ende.

Heße: Ich möchte betonen, dass es unser Ansinnen ist, jedenfalls diese drei Schulen in Harburg, Neugraben und Barmbek weiterzuentwickeln. Ich hoffe, dass wir das hinbekommen.

Noch einmal nachgefragt: Wie kann es angehen, dass gerade Christen diesen Vertrauensschaden in Kauf nehmen?

Thim: Vertrauen hat etwas mit Trauen zu tun. Wir besuchen jeden Abend die Elternversammlungen der betroffenen Schulen und stellen uns den Fragen. Zwar wird die bisherige Kommunikation als schwierig angesehen, aber viele Eltern bedanken sich dafür, dass wir uns ihren Fragen stellen. Das ist ein erster Schritt, wieder Vertrauen zu gewinnen. Häufig wird nicht gesehen, dass ich als Generalvikar die wirtschaftliche Gesamtlage im Blick haben muss.

Und die ist noch schlechter?

Thim: Für den Betrieb der 13 verbleibenden Schulen brauche ich 65 Millionen Euro an Investitionsmitteln. Die habe ich nicht. Ich muss das also woanders holen – in Schleswig-Holstein oder Mecklenburg? Die Wahrheit ist doch, dass auch die 13 Schulen in ihrem Bestand gefährdet wären, wenn wir jetzt nicht gehandelt hätten.

Heße: Das Wichtige ist, dass Vertrauen vom Miteinander lebt. Deswegen gebe ich das nicht hoffnungslos auf. Wir sind in der Pflicht, weiter am Vertrauen zu arbeiten. Ein wesentliches Element ist die persönliche Begegnung, das persönliche Gespräch. Vertrauen können wir auch dadurch entwickeln, dass wir nach vorne schauen. Das bedeutet, dass wir eine langfristige Perspektive für Schule entwickeln. Mir ist es ein Herzensanliegen, dass wir die 13 Schulen erhalten.

Hätten Sie nicht viel früher das Gespräch mit der Schulbehörde oder potenziellen Geldgebern suchen müssen?

Thim: Darüber ist ja genug geschrieben worden, glaube ich. Jetzt ist es wichtig, nach vorne zu sehen. Ich komme gerade vom Schulsenator. Das war ein sehr gutes Gespräch, und es gibt die Zusage der Schulbehörde, dass sie uns berät etwa bei der Frage, wie man mit Grundstücken umgeht. Wir haben auch vereinbart, dass wir die nächsten nötigen Schritte richtig miteinander verhandeln. Wir wollen für die drei Standorte gemeinsame Lösungen finden. Wir haben das dafür nötige Geld nicht.

Ein früherer Austausch hätte vielleicht die fünf anderen Schulen noch retten können.

Thim: Ich sage ganz offen: Auch die Zahl der Katholiken von jetzt zehn Prozent in Hamburg erlaubt es nicht, dass wir ein so umfangreiches System aufrechterhalten. Was wir verantworten können, ist der Fortbestand der 13 Schulen.

Die Schulen gelten als Leuchttürme des Katholizismus in Hamburg. Können Sie guten Gewissens acht, auf jeden Fall fünf dieser Leuchttürme einreißen?

Heße: Nun, es gibt ja verschiedene Leuchttürme. Das sind nicht nur die Schulen, sondern auch karitative Einrichtungen wie das Haus Bethlehem, bestimmte Kirchen oder die Akademie. Wir sind als Diaspora-Kirche nicht in der Lage, alles flächendeckend zu bedienen. Das kann man vielleicht in Bayern.

Warum helfen die anderen, vielfach reicheren Bistümer nicht?

Heße: Jedes Bistum ist eigenständig. Die katholische Kirche ist kein geschlossener Block. Das schlägt sich auch derart nieder, dass jede Diözese sich auch in finanzieller Hinsicht selbst tragen muss. Eine kleine Ausnahme ist die finanzielle Unterstützung der Bistümer im Osten, die aber demnächst ausläuft. Ich habe die Idee eines finanziellen Austauschs zwischen reichen und ärmeren Diözesen immer wieder benannt. Aber das muss man erst entwickeln. Ein solches Instrumentarium gibt es nicht.

Wie belastbar sind die Berechnungen von Ernst & Young, wenn nicht einmal der Immobilienbestand feststeht? Dieser belaufe sich auf eine Geschossfläche von 450.000 bis 525.000 Quadratmetern, heißt es vage.

Thim: Diese Hochrechnung bezieht sich auf alle fast 1000 Immobilien im Erzbistum. Leider wurden sie bislang nicht ausreichend erfasst. Erst jetzt bauen wir eine Datenbank auf. Deshalb musste Ernst & Young eine Schätzung abgeben. Für die Hamburger Schulen liegen allerdings sehr präzise Zahlen vor.

Und wenn das Kataster ergibt, dass die Zahlen besser sind als gedacht? Dann sind die Schulen schon zu.

Heße: Wir versuchen, die Wirtschaftlichkeit an unsere pastorale Arbeit zu binden. Deshalb haben wir vor eineinhalb Jahren einen pastoralen Prozess eingeleitet. Wir wollen Kirche sein und können Kirche sein. Aber wir machen Kirche nicht abhängig von der Höhe des Etats, sondern von der Verkündigung des Glaubens. Die ist unser Auftrag.

Sind die Schulen da nur zweite Priorität?

Heße: Nein, die Schulen gehören genauso wie die Gemeinden in dieses Netzwerk der pastoralen Räume: Schulen, Kitas, aber auch die Alimaus sind Orte kirchlichen Lebens. So läuft Kirche im Norden, in der Diaspora, in der Zukunft. Nur das flächendeckende Angebot werden wir nicht aufrechterhalten können.

An diesem Freitag lädt ein kleiner Kreis zu einer Pressekonferenz zum Fortbestand der katholischen Schulen ein. Viele Menschen bieten Hilfe an. Wie gehen Sie damit um?

Heße: Das gehört für mich zu den Fakten. Im nächsten Schritt wollen wir mit den Eltern und allen, die sich anbieten, Wege suchen. Da werden wir prüfen, was machbar und tragfähig ist.

Rettung ist also nicht ausgeschlossen?

Thim: Für die drei Schulen nicht. Die anderen fünf Schulen sind entschieden.

Weil Sie schließen wollen ...

Heße: Nein, weil wir die Fakten kennen. Wenn wir die drei Schulen retten – und da liegt mir viel dran –, haben wir viel erreicht. Darauf müssen wir unsere Kraft konzentrieren.

Spielte die Verwertbarkeit der Grundstücke eine Rolle bei den Entscheidungen?

Thim: Nein. Dieser Gedanke hat überhaupt keine Rolle gespielt. Entscheidend war der Investitionsbedarf für die Instandsetzung. Wir haben viel nachzuholen, etwa beim Brandschutz. Das kann ich nicht verantworten, jetzt wo wir für die Schulen zuständig sind.

Die Zahlen von Ernst & Young werden trotzdem angezweifelt ...

Thim: Mag sein. Aber wir haben im Kirchensteuerrat, in dem Experten wie Banker und Wirtschaftsprüfer sitzen, diese Zahlen genau angeschaut und sie als Basis akzeptiert. Ernst & Young hat uns weder schön- noch schlechtgerechnet. Wir wollten Tatsachen auf den Tisch legen und endlich eine mittelfristige Finanzplanung. Auch ein Controlling müssen wir erst einmal aufbauen. Das geht nicht von heute auf morgen.

Mit Verlaub: Die Schulen haben Sie von heute auf morgen geschlossen ...

Thim: Das stimmt ja nicht. Nur die Ansage kam sehr plötzlich.

Noch im September haben Sie, Herr Bischof, in einem Schreiben persönlich für die 21 katholischen Schulen geworben ...

Heße: Damals wussten wir nur, dass wir in Schieflage sind. Aber das Ausmaß kannten wir nicht. Die Analyse haben wir jetzt – und müssen sie ernst nehmen und Konsequenzen ziehen. Jeder Tag, an dem nicht gehandelt wird, verschlimmert das Problem nur.

Schulschließungen waren schon im letzten Sommer im Gespräch ...

Heße: Aber wir haben uns das in dieser Dimension noch nicht vorstellen können. Hinterher ist man immer klüger.

Thim: Wir ahnten, dass es zu Schulschließungen kommen wird, und hatten deshalb einen Kommunikationsplan erstellt. Aber wir sind nicht in einer Schieflage, das wäre verniedlichend, wir sind in einer finanziellen Krise! Verdrängen bringt nichts.

Muss man angesichts dieser Zahlen nicht über neue Strukturen oder neue Modelle der Trägerschaft nachdenken? Wenn dem Bistum das Geld fehlt ...

Thim: Wenn ein Träger kommen würde, der eine der fünf zu schließenden Schulen übernehmen würde, wäre das kein Problem. Ich zweifle nur daran, denn für den muss es sich ja auch rechnen. Bei den drei anderen Schulen wollen wir die katholische Trägerschaft fortführen. Allein diese drei Schulen brauchen noch einmal 48 Millionen Euro. Das zeigt die Dimension.

Wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen zwei Wochen – was ist schiefgelaufen?

Heße: Wir hätten im Bereich der Kommunikation noch mehr machen müssen.

Welche Lehre ziehen Sie daraus für die nächsten Sparmaßnahmen, die auf Sie zukommen werden?

Heße: Das sind andere Felder. Wir werden mit den Betroffenen einen Modus finden, wie wir ins Gespräch kommen und Entscheidungen miteinander treffen.