Seit zwölf Jahren engagiert sich „Viva con Agua“ für sauberes Trinkwasser. Nun ist Gründer und Ex-Fußballprofi Benjamin Adrion wochenlang für das Projekt von Ruanda nach Uganda gelaufen

Kann Fußball die Welt verbessern? In Zeiten von „Football Leaks“, Fifa-Skandalen und der Weltmeisterschaft 2022 im Sklavenstaat Katar mehren sich die Zweifel. Und doch bewegt der Sport die Menschen, jeden Tag, überall auf der Welt. Benjamin Adrion hat es gerade auf seinem Marsch von Kigali nach Kampala wieder erlebt. „Man muss sich nicht kennen, nicht einmal eine gemeinsame Sprache sprechen – ein Ball genügt, um in Kontakt zu kommen.“ Mit 35 internationalen Läufern aus Afrika, der Schweiz und Deutschland hat er aus Anlass der Gründung von „Viva con Agua Uganda“ 533 Kilometer zwischen der Hauptstadt Ruandas und Ugandas zurückgelegt: Der „Waterwalk“, ein Marsch für Klimaschutz und eine bessere Versorgung.

Auch die gemeinnützige Wasserinitiative „Viva con Agua“ und Benjamin Adrion beweisen, wie der Fußball die Welt verändern und verbessern kann. Denn die Hilfsorganisation, die inzwischen über 10.000 Ehrenamtler in ganz Deutschland zählt und jährlich mehr als drei Millionen Euro Spenden sammelt, geht auf ein einfaches Trainingslager des FC St. Pauli zurück. Anfang 2005 reiste der damalige Drittligist nach Kuba; Benjamin Adrion war als Mittelfeldspieler dabei.

In Kuba sahen die Kicker die schwierigen Verhältnisse vor Ort. Damals kam ihm die „spontane Schnapsidee“, die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Im Laufe des folgenden Jahres erblickte Viva con Agua das Licht der Welt auf St. Pauli, getragen von Adrion, unterstützt von Mitspielern wie zum Beispiel Marcel Eger, Florian Lechner oder Felix Luz.

Aus dem Verein heraus wuchs das Projekt, erst in den Stadtteil hinein, dann ins Land und über viele Grenzen hinweg. Die Wasserversorgung ist ein globales Problem: 582 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu einer sicheren Trinkwasserversorgung; rund zwei Milliarden Menschen müssen zumindest zeitweilig verschmutztes Wasser trinken. Gerade zu Beginn waren es St.-Pauli-Fans, die ihre Idee von besseren Verhältnissen in die Welt trugen. „Anderswo wäre das nicht denkbar gewesen“, sagt Adrion. „Ohne den FC St. Pauli hätte es Viva con Agua nicht gegeben.“

Adrions „Schnapsidee“ wurde bald zu seinem Lebensinhalt. „Als das Projekt ins Rollen kam, hat es mich mehr begeistert als der Fußball.“ Sein Engagement mag dazu beigetragen haben, dass seine Fußballerkarriere bald endete, aber eine neue Karriere begann. Hauke Brückner, damals sein Teamkollege, erinnert sich an ein Trainingslager in Ostfriesland: „Während wir uns zwischen den intensiven Trainingseinheiten aufs Ohr gehauen haben, saß Benny am Schreibtisch und hat alles dafür getan, Viva con Agua mit Leben zu füllen.“

Eigentlich wollte der gebürtige Stuttgarter nach seiner Fußballerzeit auf Reisen gehen, „die Weltkarte hatte ich schon gekauft“. Er musste sie bald anderweitig nutzen. Im September 2006 wurde die Trinkwasserinitiative „Viva con Agua de Sankt Pauli e.V.“ offiziell gegründet. Die ersten 50.000 Euro für 50 Kindergärten auf Kuba waren schnell zusammen.

Inzwischen hat Viva con Agua über acht Millionen Euro eingesammelt und damit über zwei Millionen Menschen weltweit unterstützt. Neben dem Verein, der Spenden sammelt, ist die Mineralwassermarke Viva con Agua in Szenekneipen wie Supermärkten, beim Ärzte-Konzert wie im Hamburger Rathaus angekommen – und schüttet jährlich Gewinne für die Wasserprojekte aus. Auch die Sanitärinitiative Goldeimer ist Teil von Viva con Agua geworden. Sie hat sich das Ziel gesetzt, die sanitäre Versorgung der Menschen zu verbessern – rund 2,4 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu hygienischen Toiletten; mehr Menschen auf der Welt haben ein Mobiltelefon als ein Klo.

Nun wächst das Netzwerk von Viva con Agua in Afrika. „Das ist vielleicht die verrückteste Idee, auf die sich Viva con Agua jemals eingelassen hat“, sagt Adrion. Mit dem Spendenmarsch Waterwalk wollten die Partner nicht nur etwas bewegen – sondern auch sich selbst.

„Wir waren ein bisschen wie ein kleiner Wanderzirkus“, sagt Adrion. Schon die Zusammensetzung war bunt: Aktivisten und Ehrenamtler, darunter zwei Lehrerinnen aus Rellingen, zwei Journalistinnen, Fotografen, Künstler fanden zusammen, finanzierten ihre Reise selbst und warben ihrerseits Spenden ein. Wenn die Gruppe an einem Ort ankam, die Seifenblasen und den Fußball herausholte, bildeten sich manchmal Menschentrauben von 300, 400 Leuten um die Wanderer. „Überall erlebten wir eine unglaubliche Gastfreundschaft.“ Nirgendwo habe man Geld bezahlen müssen. Während die Wanderer sich zu Fuß von Etappenziel zu Etappenziel durchschlugen, brachte ein Laster mit der Hamburger KPT Crew rund um die Künstler Rebelzer und Los Piratoz die Zelte und Ausrüstungsgegenstände zum nächsten Ort. Dort bauten die Helfer die Küchenzelte auf, den Rest mussten die Wanderer erledigen.

„Der Waterwalk war ein Vorurteilskiller für alle Seiten“, sagt Adrion. „Warum sind Menschen, denen es materiell schlechter geht, so viel gastfreundlicher und lebensfroher als wir?“ Die positive Energie der Menschen in Ruanda und Uganda sei kein Klischee. Und er fügt selbstironisch hinzu „Wir haben alles – außer gute Laune.“

Abenteuer, Herausforderung und Grenzerfahrung zugleich

Am Ziel in Kampala flossen Tränen des Glücks und der Erleichterung. 533 Kilometer Horizonterweiterung: Morgens um 6 Uhr aufstehen, bis zu 40 Kilometer lange Etappen im tropisch-schwülen Klima unweit des Äquators laufen, abends gegen 21 Uhr in den Schlafsack kriechen und in einem Meer afrikanischer Geräusche einschlafen. Abenteuer, Herausforderung und Grenzerfahrung zugleich. „Wir hatten insgesamt 137 Blasen“, erzählt der 36-jährige Adrion. „Ich habe fünf beigesteuert.“ Google Maps – der Handyempfang war teilweise besser als hierzulande – lieferte die Route meist weitab der Straßen, mitunter begleiteten spontan Dorfbewohner die Wandergruppe ein Stück des Weges. „Wir sind durch Felder, über Berge, an Wasserfällen vorbeigelaufen.“ Und noch eines spürten die Aktivisten während der vier Wochen hautnah: „Auf so einer Wanderung merkt man, welche Lebensader Wasser ist.“ Dreckiges Wasser, mangelnde Sanitäranlagen – auch damit wurden die Wanderer direkt konfrontiert: Geduscht werden konnte trotz der Hitze nur alle drei Tage.

Der faszinierende Waterwalk durch Ostafrika war eine Weiterentwicklung des Wassermarschs. 2008 wanderten Viva-con-Agua-Aktivisten aus Anlass der Fußball-Europameisterschaft von Hamburg in die Schweiz. „Damals wollten wir das Projekt aus Hamburg hinausschieben, danach kam die Gründung in der Schweiz“, erinnert sich Adrion.

Seit der Gründung ist Viva con Agua kontinuierlich gewachsen und ist doch der ursprünglichen Idee eines entwicklungspolitischen Netzwerkes treu geblieben. Die Engagierten teilten nicht nur die Idee, dass die Welt sich ändern lässt, sondern auch ihre Freude am Machen. Die eigene Rolle wird kritisch reflektiert: „Wir wissen nicht alles besser, wir sind nicht die weißen Retter, sagt Adrion. „Wir lernen von der anderen Seite, haben aber auch keine Angst, unsere Expertise weiterzugeben.“

Viva con Agua ist jung, sehr viele Engagierte sind unter 30. „Wir wachsen seit Beginn, aber nicht wie ein IT-Start-up, sondern über Menschen und Kontakte“, sagt Adrion. Diese Kontakte gehen vom entwicklungspolitischen Ansatz des „Wassers für alle“ über viele Kulturveranstaltungen bis zum Fußball. Zum Netzwerk gehören Musiker wie Bela B, Mark Tavassol von Gloria, Fettes Brot oder Bosse, Sportler wie Kevin Kurányi, Arne Friedrich, Nico Rosberg oder Timo Hildebrand. Ein regelmäßiger Höhepunkt ist die im Juli stattfindende Millerntor Gallery, die das Stadion des FC St. Pauli in eine internationale Kunstgalerie verwandelt. Nach dem Waterwalk geht auch Benjamin Adrion den nächsten Entwicklungsschritt. Der Gründer und Geschäftsführer zieht sich nach zwölf Jahren aus dem Verein zurück und wechselt in die Stiftung. Viva con Agua ist längst aus dem Stadtteil in die Welt hinausgezogen und von einer kleinen Initiative zu einer professionellen, schlagkräftigen Nicht-Regierungs-Organisation geworden.