Wie fremdenfeindliche Hetzer einen in Hamburg lebenden Syrer benutzen, um Hass auf Neuankömmlinge zu schüren

Ein 27-jähriger Syrer kommt 2015 nach Deutschland. Dem Krieg in seiner Heimat entronnen, will er nur eines: leben. In Frieden. Mit Job. Schnell lernt er die deutsche Sprache. Muss so sein. Der junge Mann ist schließlich Journalist. Heute, zwei Jahre später, steht er öffentlich am Pranger, wird beschimpft, verhöhnt, bedroht. Für etwas, das er nicht getan hat. Dies ist die Geschichte von Hussam Z. Die Geschichte eines Menschen, dessen Gesicht von fremdenfeindlichen Hetzern benutzt wird, um Hass zu schüren. Sie spielt in Hamburg. Und irgendwo fernab Europas, von wo gegen Bezahlung anonyme Internetseiten in die ganze Welt geschickt werden können.

Ortstermin auf St. Pauli. Hier an der Bernstorffstraße ist das „Flüchtling-Magazin“ zu Hause. Hussam hat es initiiert. Nach einem Kurs für Existenzgründer beim Verein leetHub, in dessen Räumen die Redaktion nun beheimatet ist. Ein erster Schritt in das Leben eines Journalisten in Deutschland. Hussam steht an der Tür. Er lächelt nicht. Den Besucher, den Kollegen, trifft ein Blick, der eher Misstrauen vermuten lässt. Zumindest Vorsicht. Wenig später ist klar: Es ist eine Vorsicht, die gute Gründe hat. Hussam will von diesen Gründen erzählen. Er tut es mit gefasster Stimme in erstaunlich sicherem Deutsch. Zuweilen ist Nachfrage nötig. Aber nur, weil Hussam leise spricht. Dann antwortet der junge Mann geduldig. Und ein wenig lauter.

Am vergangenen Sonntag sei es gewesen. Da habe ein Freund seines Bruders sich gemeldet. Und ihm im Internet das Foto gezeigt. Ein Bild, auf dem Hussam zu sehen ist. Freundlich in die Kamera schauend. Neben einem Pony. „Syrer vergewaltigt Pony im Kinderzoo. Besucher mussten alles mit ansehen“, steht über dem Foto, das Experten schnell als billige Collage entlarven. „Ich habe erst mal nur gelacht“, erinnert sich der 29-Jährige an seine spontane Reaktion. Da ahnte er noch nicht, wie schnell Hetze im Internet Fahrt aufnimmt.

Aus wenigen Hundert Menschen, die den Bericht weiterverbreiten, werden schnell Tausende. Der Text mit dem Foto Hussams erscheint auf anderen fremdenfeindlichen Portalen. Am Montagabend sogar mit einem ins Arabische übersetzten Text. „Da wusste ich, dass Freunde und Familie es würden lesen können.“ Der 29-Jährige begreift allmählich, was da gerade mit seinem Bild, mit seinem Lächeln, ja, was mit ihm geschieht.

Am Montag geht er zur Polizei. Die Beamten auf der Wache an der Lerchenstraße hätten freundlich und verständnisvoll reagiert. „Sie sagten, was mir passiert sei, tue ihnen leid“, sagt Hussam. Viel Hoffnung auf Ermittlungsergebnisse hätten sie ihm allerdings nicht machen können. Schließlich seien derartige Internetauftritte zumeist aus dem Ausland ins Netz lanciert. „Aber ich soll in zwei Wochen noch mal in der Wache nachfragen.“

Die ursprüngliche Herkunft des Fotos konterkariert den Missbrauch des Bildes. Denn es soll eigentlich einen Menschen zeigen, der für seinen Willen zur Integration gefeiert wird. Angefertigt hat das Bild der Hamburger Fotograf Philipp Jung. Im Auftrag des Stadtmagazins „Szene Hamburg“ lichtete Jung den aus Damaskus geflüchteten Hussam als Hamburger des Monats Oktober ab. In den Straßen von St. Pauli. Um ihn herum Autos. Bäume. Weit und breit kein Pony. Natürlich nicht.

Auf dem Foto, das im Spätsommer entstand, lächelt Hussam. Wie jemand, der angekommen ist. Nach einer aufreibenden Flucht über die Türkei, nach anschließender Unterbringung in der Erstaufnahme an der Schnackenburgallee. Nach vielen Monaten, in denen die deutschen Wörter laufen lernten, Menschen sich kümmerten und Türen aufgingen. Etwa die der renommierten Hamburg Media School, wo Hussam, der in Damaskus nicht nur den Bachelor in Politikwissenschaften erworben hat, sondern auch diplomierter Bauingenieur ist, ein Stipendium erhielt.

Fotograf Philipp Jung fällt es hörbar schwer, Worte für das zu finden, was fremdenfeindliche Hetzer mit seinem Bild anstellen. Anfang der Woche sei er von der Redaktion der „Szene Hamburg“ darauf hingewiesen worden. Da er beruflich auch als Programmierer unterwegs sei und sich im IT-Bereich somit auskenne, habe er sofort alles an Internet-Suchmaschinen angeworfen. In der Hoffnung, dass sich die Fake News nicht so rasch verbreiten wie befürchtet, womöglich gar versanden, was auch vorkomme. „Aber es wurde schnell klar, dass da ein Stein ins Rollen gebracht wurde.“ In diesem Ausmaß sei es ihm noch nicht passiert, dass eines seiner Fotos missbraucht worden sei. „Schrecklich und ekelhaft ist das“, sagt Jung.

Dass ausgerechnet rechte Hetzer, die kritischen Medien so gern das Verbreiten von Fake News vorwerfen, sich eben dieser bedienen, um dem Hass auf Flüchtlinge Nahrung zu geben, ist nicht neu. Manch einem wird der Fall Anas Modamani noch präsent sein. Der junge Flüchtling aus Syrien wurde als Terrorist diffamiert, sein Foto, das als Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel entstanden war, für Lügenpropaganda missbraucht. Modamani hatte im Frühjahr 2017 sogar das soziale Netzwerk Facebook verklagt, war aber vor Gericht gescheitert.

Nun also ein ähnlicher Fall, der in Hamburg spielt. Wer sich die Kommentare unter den mit Hussams Gesicht bebilderten „Berichten“ im Netz anschaut, muss hart gesotten sein. Als „Kanakendrecksau“, der „das Gemächt mit einer rostigen Machete entfernt gehört“, muss sich der 29-Jährige beschimpfen lassen. Von dringend nötiger Schächtung ist die Rede. „Ich bin nur ein Beispiel, dergleichen passiert vielen“, ist Hussam überzeugt. Darum willigt er auch ein, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nur seinen vollen Namen möchte Hussam nicht in der Zeitung lesen. Bislang sei nur sein Foto mit der abscheulichen Geschichte aus Berlin in Verbindung gebracht worden. Dabei solle es auch bleiben.

Ilona Lütje leitet die Redaktion der „Szene Hamburg“. Sie ist fassungslos angesichts der Chuzpe, mit der das im Magazin veröffentlichte Foto missbraucht wird. Und auch sie hat bei der Hamburger Polizei eine Strafanzeige auf den Weg gebracht. Gegen den Betreiber der Webseite anonymousnews, auf der die Lüge als Erstes aufgetischt wurde. Wie alle im Umfeld Hussams hat auch sie lange überlegt, ob es Sinn macht, den Vorgang öffentlich zu machen. Schließlich beschere das dem Missbrauchten womöglich weitere Hasskommentare im Internet. Bedenken, die auch Julia von Weymarn vom Verein leetHub mächtig beschäftigen. „Wir haben lange nachgedacht, wollten sogar noch einen Rückzieher machen.“ Aus Sorge um Hussam. Aus Furcht, dass noch mehr auf den jungen Mann einprasseln könne.

Die Internetseite anonymousnews ist den Behörden seit Langem bekannt. Einst hetzten die Betreiber unter dem Namen anonymous.kollektiv im sozialen Netzwerk Facebook, im Sommer 2016 verschwand der dortige Auftritt. Kurze Zeit später tauchte unter dem neuen Namen eine Internetseite auf, hinter der dieselben Köpfe stecken dürften. Erst mit deutscher Domain, kurz darauf mit russischer. Womöglich stehen in Russland gemietete Server, von denen Hassbotschaften in die Welt verbreitet werden, was einen Zugriff der deutschen Behörden nahezu unmöglich macht.

Für den auf Medienrecht spezialisierten Berliner Anwalt Malte Nieschalk ist die Sache eindeutig: „Hier liegt eine klare Urheberverletzung vor“, sagt er. Sowohl zivil- als auch strafrechtliche Schritte seien angemessen. Die Frage sei allerdings, gegen wen. Die Webseite weise kein Impressum auf, bei der Recherche komme auch er nicht weiter. „Da uns die erforderlichen technischen Möglichkeiten zum Auslesen der IP-Adressen, von denen aus die Seite erstellt wurde, nicht zur Verfügung stehen, bliebe auch uns lediglich die Möglichkeit, den Täter per Strafanzeige durch die Staatsanwaltschaft ermitteln zu lassen.“ Die habe Hussam Z. ja bereits gestellt. „Weitere Möglichkeiten sehen wir nicht“, so Nieschalk.

Dass die auf der Internetseite ausgespielten Inhalte ihren Ursprung in Deutschland haben, daran kann kaum Zweifel bestehen. Bezüge sind klar nachvollziehbar, so werden etwa tatsächliche Pressemeldungen der Polizei zur Grundlage für Schauergeschichten. In Düsseldorf habe ein Schäferhund Asylbewerber nach einem massivem sexuellen Übergriff auf Frauen gestellt, steht dort etwa zu lesen. Davon, dass ein Gesetzentwurf es erlaube, Privathäuser für Flüchtlinge zu beschlagnahmen, ist die Rede. Und eben von dem Syrer, der ein Berlin ein Pony vergewaltigt haben soll.

Die „Berichte“ wurden allesamt garniert mit augenscheinlich aus dem Internet zusammengeklaubten Fotoschnipseln. Dunkelhäutige Männer sind zu sehen. Bilder werden wieder und wieder verwendet. Und auch Hussam ist zu sehen. Immer noch. Tausendfach geklickt, kommentiert und geteilt.

„Ich hatte zuvor nur tolle Erfahrungen mit den Menschen hier“, sagt Hussam. Jetzt lächelt er. Kurz, aber einnehmend. Wie der Hamburger des Monats auf dem echten Foto in den Straßen von St. Pauli.