Das Abendblatt hat dem Autor Ole Könnecke viele Monate bei der Arbeit über die Schulter geguckt.Jetzt ist „Sport ist herrlich“ erschienen

Das Schweinchen fährt Fahrrad. Ole Könnecke zeichnet es nebenher, im Gespräch, in wenigen Strichen. Eine kleine Vignette nur, eine Spielerei für sein neues Projekt.

Es ist Montag, der 14. Dezember 2015. In seinem Atelier in der Kantine eines ehemaligen Fabrikgeländes in Langenhorn beginnt Könnecke die Arbeit an seinem neuen Buch. Die große, helle Tischplatte unter dem Fenster ist fast leer bis auf Becher mit Stiften in allen Farben des Regenbogens, einen Tuschkasten, Pinsel, Schere, Radiergummis und einen Elvis-Schlüsselanhänger mit Glitzersteinchen drauf.

Dass es ein Montag ist, liegt an Könneckes Neigung zum Rituellen. „Irgendwann muss ich ja anfangen“, sagt der große, trotz grauer Haare irgendwie blond wirkende Mann mit der Nickelbrille. „Ich drücke mich gerne! Ich bin jedes Mal wieder Anfänger.“

„Sport“ soll das neue Bilderbuch heißen, das er für den Hanser Verlag zeichnet und schreibt, aber das ist Understatement. Der Kniff bei Könnecke: Es sind Tiere, die die Sportarten treiben, olympische und abgelegene, bekannte und unbekannte. Zum Auftakt hat er schon mal ein Skizzenheft auf die mit dem Verlag besprochene Größe zurechtgeschnitten – sie findet sich in keinem DIN-Format – und einige Einfälle skizziert, etwa die Skispringer: Die Schweine landen im Schnee, weil sie zu dick sind, der Storch schummelt, indem er fliegt, das Eichhörnchen macht seine Sache perfekt.

Könnecke denkt sich auch die Texte gern mal selbst aus

Könnecke ist ein Star der Kinderbuchszene. Dass er sich auch Texte häufig selbst ausdenkt, ist in der Branche durchaus üblich. So hat er als glühender Presley-Fan das Buch „Elvis und der Mann mit dem roten Mantel“ geschrieben und gezeichnet, er illustriert aber auch Bücher anderer Autoren, von James Krüss etwa und Rafik Schami. Regelmäßig werden seine Arbeiten ausgezeichnet, 2005 erhielt das Buch „Die Kurzhosengang“ mit seinen Illustrationen den Deutschen Jugendliteraturpreis. Doch trotz aller Ehren gehören für ihn Skrupel dazu. Kunst kommt von Zweifeln, könnte man sagen. Dabei macht Könnecke beileibe keinen vergrübelten Eindruck. Mit seinem hellblauen Hemd und dem freundlichen, offenen Gesicht wirkt er, als käme er gerade von einem Segelausflug mit seinen Söhnen.

Das Abendblatt darf die Entstehung des Bilderbuchs begleiten. Einem Künstler im Schaffensprozess über die Schulter sehen zu dürfen, ist ungewöhnlich, denn wer lässt sich schon gern beim Ausprobieren oder Scheitern beobachten? Warum sich Könnecke darauf eingelassen hat, kann er selbst nicht genau sagen, er schweigt eine Weile und murmelt dann: „Vielleicht habe ich gedacht, das würde mich disziplinieren?“

Die Anfänge des Projekts reichen natürlich lange vor den ersten Buntstiftstrich zurück. Wenn Könnecke eine Buchidee hat, überlegen sich die Leute vom Verlag einen Zeitplan, um das Buch zum richtigen Zeitpunkt nicht nur auf den deutschen Markt zu bringen, sondern auch in anderen Ländern. „Sport“ soll im Frühjahr 2017 erscheinen, aber Fixpunkt für die Fachwelt ist die Kinderbuchmesse, die jedes Frühjahr in Bologna stattfindet – also muss das Buch schon im April 2016 durchskizziert sein. Noch knapp vier Monate. „Wir machen nur einen Dummy von ein paar Seiten“, sagt Ole Könnecke, „es muss nicht alles fertig angemalt sein.“

Beim nächsten Besuch Ende Februar 2016 erzählt er, welche Sportarten in seinem Buch vorkommen sollen, Fußball und Tennis sowieso, aber auch Motocrossfahren oder Stabhochsprung. Für die Auswahl der Sportarten hat Könnecke auch bei den ausländischen Lizenznehmern nachgefragt. Für die USA bietet sich etwa Basketball an und für Frankreich Rugby. Von jeder einzelnen Sportart wird es heißen, sie sei „ein herrlicher Sport“ – bis auf den Zwergenweitwurf. Der sei abscheulich.

In diesen Tagen ist Könnecke überwiegend mit dem beschäftigt, was er „Schreiben“ nennt. Dabei geht es allerdings am wenigsten darum, Text auszuformulieren, der bekommt erst mal nur Platzhalter. Könnecke „schreibt“ in Gedanken die Geschichte, die er mit seinem Blick in die Welt eines bestimmten Sports erzählen will, er baut diese Welt auf einem leeren Blatt. „Ich muss ein Gefühl für die Seite bekommen“, sagt er und schlägt die Eishockey-Doppelseite in seinem Skizzenheft auf; die ist übrigens bunt – zwischendurch zeichnet er, was ihm einfällt, und manche seiner Skizzen malt er mit Aquarellfarben an. „Man braucht eine Balance zwischen Vignetten einerseits und Vollbildern andererseits, auf denen man auch Hintergrund hat und sieht, an welchem Ort sich die Sache zuträgt. Und den Text muss man auch platzieren.“ Oben links zieht sich ein Wolf Schienbeinschoner an, rechts schwingt ein Elch drohend den Schläger. Fast die ganze untere Hälfte der Doppelseite nimmt eine dramatische Szene auf der Eisfläche ein: Die Wölfe schießen gerade ein Tor, die Elche kommen zu spät. „Spielen kleiner?“, hat Könnecke neben die Szene geschrieben, ein Merkposten für die Gewichtung der Doppelseite.

Noch sechs Wochen bis Bologna. Anfang April erwischt die Reporterin Könnecke am Telefon, um zu hören, wie es um Bologna steht. „Ich gebe der Lizenzverkäuferin zwei Doppelseiten mit, die reichen völlig“, sagt er. „Das macht nichts, wenn das Buch nicht fertig skizziert ist. Es geht nur darum, dass die Lizenznehmer einen Eindruck bekommen. Wir kennen uns ja alle.“

Die Zeitplanung hat trotzdem Schlagseite, scheint es. Beim nächsten Atelierbesuch an einem Freitag Mitte Juni erzählt Könnecke: „Ich habe immer wieder um meinen Zeichenstil gerungen. Ich wollte nicht einfach so weitermachen wie in den letzten Jahren. Manchmal habe ich das Gefühl, ich muss alles von vorne lernen.“ Er sagt es heiter, aber hinter seinen Sätzen ist die Furcht zu ahnen, der Inspirationsquell könnte versiegen, der schöpferische Akt könnte nicht mehr gelingen. Niemand weiß, wie viele Skizzen Könnecke macht und wieder verwirft, bis er mit Gesichtsausdruck oder Bewegung eines Tiers zufrieden ist.

Im Sprechen wirft er aus dem Handgelenk zarte hellblaue Striche aufs Papier. „Blau wirkt nicht so verbindlich“, sagt er. „Um die Zeichnung zu verfeinern, nehme ich Rot. Das ist dunkler als Blau. Es ist schon konkreter als die Vorskizze. So taste ich mich an die Linie heran.“ Unter seinen Fingern entsteht derweil ein Rennpferd, das sich sehr erstaunt zu seinem übergewichtigen Jockey umdreht. Der ist nämlich ein Nilpferd.

Manchmal muss der Autor lachen bei seiner Arbeit

Muss Könnecke nicht oft lachen bei der Arbeit? „Wenn ich eine Idee habe. Ich habe vielleicht so vier bis fünf Ideen am Tag“, erwidert er mit der Ernsthaftigkeit des Kinderbuchautors. „Also lache ich vier- bis fünfmal pro Tag.“ Das mit den Ideen ist die Krux jedes schöpferisch arbeitenden Menschen. Könnecke zitiert den großen französischen Zeichner Sempé: „Eine Idee für eine Zeichnung zu finden, ist ganz einfach. Man setzt sich an den Tisch und macht so“ – Könnecke stützt das Kinn in die Hände – „und so bleibt man. Wenn nichts kommt, macht man das am nächsten Tag wieder. Irgendwann ist die Idee da.“ Wenn man Glück hat.

Mittlerweile nimmt die Sache Fahrt auf, das Skizzenbuch füllt sich weiter. „Ich beginne die Richtung zu ahnen. Ich müsste jetzt viele Sport-DVDs gucken“, sagt er. „Es gibt ja viele Sportarten, von denen ich nichts weiß. Ich versuche herauszufinden, was die Psychologie dahinter ist. Auch wenn ich nicht jedes
Detail zeichne, muss ich verstehen, was ich weglasse.“

Vier Monate später, Mitte Oktober, steht Könnecke an seinem Leuchttisch, vor sich ein Skizzenblatt. Mehrere Vignetten bevölkern das Papier. In einem angedeuteten Viereck stehen sich zwei Kühe gegenüber – ja, Kühe, keine Stiere. Sie tragen Boxhandschuhe, trotzdem schauen sie ähnlich friedfertig drein wie der sanfte Held aus Munro Leafs unsterblichem Kinderbuch „Ferdinand der Stier“ über einen Kampfstier, der die Blumen liebt. Schiedsrichter und Publikum sind Mäuse. Könnecke legt einen Bogen Aquarellpapier über das Blatt und greift zum Füller mit seiner schwarzen japanischen Zaubertusche, wie er sie nennt, um die Bildchen ins Reine zu zeichnen. „Man muss aufpassen, dass man nicht durchpaust, sondern dass es lebendig bleibt“, erklärt er. In der Tuschzeichnung treten die beiden boxenden Kühe viel deutlicher hervor. Aus dem blassblauen Viereck wird ein Boxring mit Seilen und einem kleinen Treppchen.

Der Verlag habe den Erscheinungstermin verschoben, berichtet Könnecke. Herbst 2017 soll es jetzt werden. Immerhin, den Buchmessen-Durchhänger – er kommt gerade aus Frankfurt zurück – hat er überwunden. „Den habe ich jedes Jahr. Man ist da eine Woche lang umgeben von einer Million Büchern. Dann kommt man nach Hause und ist geplättet. Und erkältet. Um mir zu sagen, mein Buch ist das wichtigste von dieser Million, muss ich erst mal einen Hebel umlegen“, sagt er. „Man sollte eigentlich nicht auf Buchmessen fahren.“ Aber hin und wieder muss auch Könnecke seine Nase mal zeigen in der Branche.

Januar 2017. Der Künstler legt einen Schwung schwarz-weißer Zeichnungen auf den Tisch: Entwürfe der Doppelseiten mit Radrennen, Golf, Wildwasser-Rafting. Die hat er sich vom Verlag absegnen lassen. Jetzt geht es ans Anmalen. „Wenn die Entwurfsphase vorbei ist, habe ich normalerweise das Schlimmste geschafft“, sagt Könnecke. Doch nachdem er jahrelang seine Bücher am Computer koloriert hat, will er dieses Mal wieder mit Tusche und Farbe arbeiten. „Das muss ich mir ganz neu beibringen. Ich habe Sorge, die schöne Zeichnung zu versauen, wenn ich da mit Tusche rangehe. Wenn ich weiß, es kommt drauf an, dann zittert die Hand“, gesteht er. Ursprünglich habe er mit Scans arbeiten wollen. Aber dann habe der Drucker um die Ecke seinen Laden dichtgemacht – eine original Könnecke-Volte. Dann wird er wieder ernst: „Außerdem habe ich mir gesagt, wenn ich schon vom Computer weggehe, ist es Quatsch, mir eine Sicherheitszone zu gönnen. Wenn unplugged, dann richtig.“

Der Autor erfindet noch kurz mal eine Sportart

Im Lauf des Frühjahrs muss er doch noch mal an die Seitenplanung ran: „Es kam noch der Wunsch, mehr Mädchenseiten reinzunehmen, Ballett und so. Ich habe eine Doppelseite rhythmische Sportgymnastik dazugenommen. Dafür musste ich wieder Videos anschauen. Ich kam mir vor wie ein Voyeur. Diese Videos haben wahnsinnig viele Klicks. Und diese Kommentare!“ Könnecke hat seinen Widerwillen gegen die Fantasien der Nutzer abgeschüttelt. Er lässt Flamingos tanzen – wobei er sich da streng zoologisch nicht festlegt. Langbeinige Vögel eben. Deren Bewegungen haben nichts Erotisches, sie strahlen schiere Leichtigkeit aus.

Und dann, als Gegengewicht zu all dem Hochleistungs- und Wettkampfsport, erfindet er noch eine Sportart. Oder besser, er findet sie, denn es ist vielleicht die älteste der Welt. „Ball-hin-und-her-Werfen“, nennt er sie, vorzugsweise auszuüben von Großvätern und Enkeln.

Irgendwann im Juni ist Ole Könnecke fertig geworden. Hat sich sein Original geschnappt und ist nach München gefahren, um es zu übergeben: „Ich trau der Post nicht so richtig. Außerdem wollte ich die bewundernden Gesichter sehen.“ Der Verlag hat noch den Titel geändert: „Sport ist herrlich“ heißt das Buch jetzt. Könnecke schickte zwei kleine Zeichnungen für die Umschlag-Innenseiten – und das war’s. „Das merkt man nie so ganz. Es endet nicht mit einem Trompetenstoß, sondern mit einem kleinen Pling. Es gibt einfach keine weiteren Änderungen.“

Jetzt könnte er mal sein Atelier aufräumen und Sachen aussortieren, erzählt er Anfang August am Telefon. „Das nehme ich mir nach jedem Projekt vor, aber es geschieht nie. Vielleicht blockiert mich da etwas. Jedenfalls macht es mich traurig, alte Werke von mir zu sehen. Liegt es daran, dass die Zeit vergeht, oder an einem Unbehagen, weil ich es heute besser machen würde?“

Dann lacht er. „Ich rede zu viel!“