50.000 Motorräder sind in Hamburg zugelassen. Welche Köpfe sich unterden Helmen verbergen, dürfte viele überraschen: Das Spektrum reicht vom Kunstliebhaber biszum Senator. Das Abendblatt ist mit zwei prominenten Bikern, die man eher im dunklen Anzug kennt, auf Tour gegangen

Es dauert keine 15 Minuten, nachdem ich die E-Mail an das Notariat Spitalerstraße und den Vorsitzenden der Freunde der Kunsthalle abgeschickt habe. Das Telefon klingelt, und Dr. Ekkehard Nümann meldet sich am anderen Ende der Leitung. Das sei eine tolle Idee, einmal zu zeigen, dass sich unter den Helmen und der schweren Motorradkleidung ganz normale Menschen befinden. Er ist dabei. Wann wollen wir uns treffen?

Wir treffen uns nur ein paar Tage später an der Kirche am Markt in Niendorf – neben dem Michel eine der bedeutendsten Hamburgs mit unseren Motorrädern – und fahren los. So vielseitig Nümanns Interessen und Aktivitäten sind – so unterschiedlich sind die Fahrstile des 72-Jährigen. Auf der Autobahn 23 in Richtung Heide dreht er ordentlich am Gas und prescht mit 160 km/h voran. Dann zieht es ihn gleich nach der Abfahrt Lägerdorf auf kleine Straßen, ja kleinste Wege. Gemütlich, entspannend – fährt er mit seiner grauen BMW R1200 RT vor mir her und zeigt immer wieder nach rechts oder links. Hier weist er auf einen wunderschönen alten Gutshof hin, da auf eine beeindruckend tiefe Kiesgrube.

„Ich liebe diese kleinen Wege“, sagt Nümann, als wir am Ende eines der schleswig-holstein-typischen Feldwege, die nur aus zwei schmalen Betonstreifen für die Räder bestehen, wenden müssen. An der Weiterfahrt in den Wald hindert uns ein quer über den Weg geketteter Baumstamm. „Der war beim letzten Mal noch nicht hier“, sagt Ekkehard Nümann, lacht – und wendet.

Unser Weg führt uns an diesem Vormittag von Lägerdorf auf kleinen Wegen durch den Naturpark Aukrug nach Neumünster. Unser Ziel ist die historische Villa Wachholtz. In der Jugendstilvilla und dem drei Hektar großen Park haben der ehemalige Bürgermeister Neumünsters, Herbert Gerisch, und seine Frau einen Skulpturenpark und ein Museum der zeitgenössischen Kunst aufgebaut. Es ist eine Oase!

Das Ziel ist kein Zufall: Ekkehard Nümanns Motorradtouren haben meist kulturelle Ziele. Nur zu fahren ist ihm nicht genug. Ein Parkplatz mit lauter anderen Motorrädern ist kein Ziel für ihn. Seit einigen Jahren ist Nümann Schatzmeister der Motorrad fahrenden Ärzte. Er hatte in einer Zeitschrift davon gelesen, einfach angerufen und gefragt, ob er mal mitfahren kann. Daraus sind regelmäßige Touren entstanden. Mittlerweile hat Nümann die ganze Truppe so weit, dass sie beim Fahren nicht nur Zigaretten- und Tankpausen macht, sondern die Touren Kulturtrips werden: „Ich sage immer: Es hat doch keinen Sinn nur hirnlos rumzusausen – schaut lieber mal rechts und links.“

Wir sitzen im Museumscafé, und Frau Gerisch bringt uns zum Aufwärmen Kaffee und selbst gekochte Kartoffelsuppe. Ekkehard Nümann ist ein wunderbarer Erzähler:

Nümann erklärt, wie er Notar wurde, obwohl er doch in der Finanzbehörde arbeitete und eigentlich bei der Stadt Karriere machen wollte. Er erzählt, wie er durch Zufall Barlach entdeckte und zum Vorsitzenden der Barlach-Gesellschaft wurde. Wie er 1989 zu den Freunden der Kunsthalle kam und die die Mitgliederzahl von 2800 auf mehr als 18.000 erhöhte. Wie er den Bundesverband der Förderer der Kunstmuseen gründete und sich obendrein seit 2015 als Präsident des Weltverbands der „Museumsfreunde“ engagiert und wie er ständig nach neuen Ideen sucht, um Jugendliche für die Kunst und die Museen zu begeistern. Außerdem ist der Notar a. D. Vorsitzender der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung und unterstützt im Kuratorium die Stiftung Kinderhospiz Sternenbrücke. Ganz schön umtriebig, der Mann.

„Den Motorradführerschein habe ich bei der Bundeswehr gemacht – auf einer Herkules. Danach hat mich der Bazillus nicht mehr losgelassen“, sagt Nümann. Ihm geht es dabei ums Fahren – nicht ums Schrauben, Umbauen oder Bestaunen. Er will fahren ...

Ekkehard Nümann ist Tourenfahrer. Urlaube machen er und seine Frau Ingrid Nümann-Seidewinkel gern auf zwei Rädern. Seine Frau, ehemalige Hamburger Finanzsenatorin und heutige Vorsitzende der Patriotischen Gesellschaft, fährt selbst eine Harley-Davidson. Für den Herbst plant das Paar gerade mit Freunden eine Tour durch den Westen der USA. Zwischen Norwegen und Griechenland hat es schon alle möglichen Länder auf zwei Rädern bereist.

Seine bislang schönste beeindruckendste Tour? Da muss Nümann nicht lange überlegen: „Ecuador“, sagt er ohne zögern. Das war eine Tour mit Freunden, von denen einer in Ecuador aufgewachsen ist. Da ging es mit Enduros hoch in die Berge – auf mehr als 4000 Metern Höhe. „Da hatte ich meine ex­tremste Nebelfahrt. Ich konnte das Rücklicht des Vordermannes kaum noch sehen und fürchtete, irgendwann vielleicht eine der engen Kurven zu übersehen. Doch dann ließen wir plötzlich die Wolken unter uns.“ Das war eine spannende Tour auf den Spuren der Inka, mit Tempelbesichtigungen und Museumsbesuchen, sagt er – und seine Augen strahlen immer noch begeistert.

„Wenn ich Motorrad fahre, fallen mir immer tolle Sachen ein. Da komme ich auf die besten Ideen“, sagt Nümann und erinnert sich: Eine der letzten Ideen, die er von einer Tour mitgebracht hat, ist der Rosa-Schapire-Kunstpreis. Die Besonderheit: Der Preis wird von keiner Jury vergeben. Der Direktor der Kunsthalle muss einen Experten bestimmen, der einen Preisträger ausrufen darf. Der Förderverein kauft dann ein Werk des Preisträgers für die Kunsthalle. Ekkehard Nümann könnte noch lange erzählen, doch es ist spät, und wir müssen aufbrechen. Wir meiden die Autobahn. Genießen stattdessen die Ideen gebende Landstraße.

Es dauert fast sieben Stunden, bis wir an diesem Tag nach 220 Kilometern und langen Gesprächen wieder an der Niendorfer Kirche ankommen. „Das war ein schöner Tag“, sagt Ekkehard Nümann, als wir von den Maschinen absteigen. Er zieht den rechten Lederhandschuh aus und lächelt: „Das sollten wir wiederholen!“

Sehr gern – aber vorher geht es mit einem anderen auf Tour:

„Wussten Sie, dass Fliegen nachts schlafen?“, fragt mich Ties Rabe. Nein, ich befinde mich nicht im Biologieunterricht bei Hamburgs Schulsenator. Ehrlich gesagt habe ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht – im Gegensatz zu meinem Gegenüber. Schulsenator Rabe ist leidenschaftlicher Frühaufsteher: Wenn er um
5 Uhr aufsteht und losfährt, lebt er, wann immer es passt, seine Leidenschaft aus und fährt für zwei Stunden Motorrad. „Da sind kaum Autos auf den Straßen – und auch keine Fliegen unterwegs“, sagt Rabe. Denn wenn er eines nicht mag, dann ist es ein mit toten Insekten verdrecktes Bike. Ties Rabe fährt Motorrad, wenn die Fliegen schlafen.

„Wenn ich nach 80 bis 100 Kilometern Frühtour dann um 8 Uhr wieder nach Hause komme, steht meine Frau auf“, sagt der 56 Jahre alte SPD-Politiker, der vor seiner Ernennung zum Senator 2011 Deutsch, Geschichte und Religion für das Lehramt studierte, als Redakteur und Redaktionsleiter beim „Elbe Wochenblatt“ sowie als Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg arbeitete.

Ganz so früh treffen wir uns an diesem sonnigen Sonntagmorgen zum Glück nicht. Treffpunkt ist das Zollenspieker Fährhaus. „Aber nicht im Motorradgedränge an der Fähre, sondern etwas elbaufwärts neben dem Fährhaus an dem kleinen Hafen“, hatte Ties Rabe vorgeschlagen. Unsere kleine Tour führt uns an der Elbe hinaus in Richtung Lauenburg. Das ist so eine der Hausstrecken Ties Rabes: „Ich bin eher der Typ für kurze Touren in meiner Region.“ Gern fährt er in Richtung Mölln oder Ratzeburg.

Ein Urlaub mit dem Motorrad, eine lange Reise – das ist nicht sein Ding. „Da lese ich mir nur die Berichte in Motorradzeitschriften durch“, sagt Rabe. Ein- bis zweimal im Jahr zieht es Ties Rabe mit seinem 98 PS starken Sporttourer frühmorgens auf die leere Autobahn. Dann schaut er, was in der Maschine steckt.

Wenn sich Ties Rabe aufs Motorrad setzt, hat er in der Regel nur ein Ziel: fahren! Er fährt nicht irgendwo hin, sondern macht einfach Rundtouren. Vielleicht es ein wenig wie eine Jogging-Runde für den Kopf. Damit er auch im Winter darauf nicht verzichten muss, hat Ties Rabe sein Motorrad das ganze Jahr über angemeldet: „Früher hatte ich einmal ein Saisonkennzeichen.“ Aber jetzt will er auch in den dunklen Monaten keine Chance mit gutem Wetter verstreichen lassen. „Ich bin dieses Jahr auch im Februar schon viel gefahren.“

„Ich liebe die tollen Gerüche beim Motorradfahren: dunkler, modriger Wald, frisch gemähte Wiesen, blühende Rapsfelder, stinkende Schweineställe – das erinnert mich alles an meine Kindheit“, sagt Rabe, der in der 4000-Einwohner-Gemeinde Börnsen im Kreis Herzogtum Lauenburg aufgewachsen ist. Auch die „herrlichen Blicke“ in die Natur genießt Rabe unter seinem Helm. Das sei ganz anders als etwa beim Autofahren.

Seine Motorradkarriere begann Rabe ganz klassisch mit 15 Jahren auf dem Mofa und Moped. „Den Motorradführerschein habe ich mit 18 dann gleich mitgemacht.“ Die Honda CBF 1000 ist bereits fünftes Motorrad – das erste war die Einsteiger Enduro Yamaha XT 250. Ein Schrauber, der es liebt, an seinem Motorrad zu reparieren oder umzubauen war Rabe nie. „Von der Technik verstehe ich nichts“, sagt Rabe. Aber: „Ich putze sie!“

Bereits zweimal – zuletzt in diesem Juni – ist Rabe mit seiner roten Honda CBF beim Hamburger Motorrad-Gottesdienst als prominenter Biker vorneweg gefahren. An der Spitze von mehr als 30.000 Motorradfahrern. Aber am liebsten fährt er ganz allein – im eigenen Rhythmus. „Beim Motorradfahren kann ich absolut abschalten.“ Und wenn er so richtig entspannt ist, fängt der Senator dann auch mal unter dem Helm an zu singen. Das ist kein Zufall, denn seine zweite Leidenschaft ist die Musik: „Ich habe lange in einer Band gespielt. Wir haben Tanzmusik bei Hochzeiten und Geburtstagen in den Dörfern gemacht. Da habe ich früher richtig Geld mit verdient.“

Bevor wir nach dem Kaffee wieder auf die Maschinen steigen, wechselt Ties Rabe das Thema wie bei einer Fahrt in einer Spitzkehre. Drei mittlerweile erwachsene Kinder habe er, aber von denen fahre keines Motorrad: „Leider!“ ... sagt der Senator und fährt davon.