Im Bundestag und in der Bürgerschaft liegt das Durchschnittsalter bei knapp unter 50 Jahren. Die meisten Abgeordneten sind Männer. Doch gibt es auch junge Frauen, die es in die Politik zieht. Das Abendblatt hat vier Politikerinnen unter 30 getroffen – drei von ihnen kandidieren für den Bundestag

Politiker sind alt, männlich und führen staubige Debatten – so ein gängiges Vorurteil. Und tatsächlich ist der Deutsche Bundestag eher ein Parlament der grauhaarigen Herren. 49,7 Jahre waren die Abgeordneten im Durchschnitt zu Beginn der nun endenden Legislaturperiode alt – und damit so alt wie seit 15 Jahren nicht mehr. Nur eine einzige Abgeordnete ist noch jünger als 30. Dabei geht es vor allem in den Reihen der beiden großen Fraktionen CDU/CSU und SPD überwiegend männlich zu. In der Hamburgischen Bürgerschaft sieht es zwar etwas jünger aus, hier sind noch fünf Abgeordnete unter 30. Aber auch hier beträgt das Durchschnittsalter 48,0 Jahre. Die junge Generation ist in der Minderheit. Und dennoch gibt es den Nachwuchs, den es in die Politik zieht. Allen Vorurteilen zum Trotz. Das Abendblatt hat vier Frauen unter 30 getroffen, die in Hamburg in ihren Parteien aufstreben. Mögen ihre politischen Ansichten zwar verschieden sein – was sie alle eint: Sie wollen junge Menschen für Politik begeistern.

Eine von wenigen jungen Frauen bei der Hamburger CDU ist Antonia Niecke (26), seit April Landesvorsitzende der Jungen Union (JU). Den neuen Chefposten und gerade den Studienabschluss für Molekularbiologie und Biochemie in der Tasche, hat die gelernte Arzthelferin nun bereits das nächste Ziel vor Augen. Sie will in den Bundestag. Auf der Landesliste der Ham-burger CDU steht sie auf Platz sieben – eine nicht sehr aussichtsreiche Position. Das weiß auch Antonia Niecke, und so versteht sie ihre Kandidatur vor allem als Dienst an der Partei. Ein Polit-Neuling ist Niecke trotz ihrer 26 Jahre nicht. Im Alter von 17 Jahren kam sie in die Bezirksversammlung Altona. Mit 20 wurde sie Bezirksvorsitzende der JU Altona. Niecke weiß, welche Argumente ihre junge Truppe hat. „Die Junge Union ist der Wahlkampfmotor der Partei. Uns nicht ernst zu nehmen, wäre keine schlaue Idee“, sagt sie. Das Gefühl, wegen ihres Alters oder ihres Geschlechts unterschätzt zu werden, hat Niecke nicht. „Meine Generation ist in einer gleichberechtigten Gesellschaft aufgewachsen.“ An Benachteiligungen glaubt sie nicht. Im Gegenteil, so könne es sogar von Vorteil sein, als junge Frau Politik zu machen, meint sie. „Es gibt nur wenige von uns. Das macht uns in allem, was wir tun, auffälliger.“

Politisch wolle sie vor allem erreichen, dass möglichst viele junge Leute eine gute Ausbildung erhalten und dass sich Beruf und Familie vereinbaren lassen. Dabei ist die JU-Landeschefin nicht mit allen Ideen der Mutterpartei einverstanden. Von einer Frauenquote, wie von einigen Mitgliedern in der Union gefordert, hält sie nichts, die Pläne der CDU zum Ausbau der Digitalisierung findet sie „ein bisschen schleppend“ und die Rentenpolitik ist ihr „noch nicht deutlich genug“. Niecke hat keine Scheu, ihre Sicht zu verdeutlichen. „Ich lasse mir nicht den Mund verbieten.“ Die 26-Jährige will auch anecken dürfen. Und das tut sie bisweilen.

JU-Antrag nach G20 wird als rechtspopulistisch kritisiert

Umstritten ist etwa ein Antrag, mit dem sich die JU Hamburg nach dem G20-Gipfel in die Diskussion gebracht hat. Die Jugendorganisation zählt in der Hansestadt eher zum konservativen Flügel. „G20 Bürgerkrieg“ lautet der Titel des Elf-Punkte-Plans, mit dem der Verband mehr Sicherheit erreichen will. Einer der Vorschläge sieht den Einsatz der Bundeswehr im Inneren vor – ein Punkt, der in den sozialen Netzwerken für Empörung sorgt. Auch die Bezeichnung „Bürgerkrieg“ wird von vielen als rechtspopulistisch wahrgenommen. Antonia Niecke sieht das anders. Sie sei ein liberal denkender Mensch und durch und durch Demokrat. Mit dieser Einstellung will sie es auch politisch weit schaffen. Zwar habe sie kein bestimmtes Karriereziel vor Augen. Aber träumt sie davon, irgendwann auch in der CDU auf Landesebene Politik zu machen. „Es würde mich freuen, wenn es das nächste Mal mit der Bürgerschaft klappt.“ Ihr Posten als JU-Vorsitzende kann dabei helfen. Ihr Vorgänger Carsten Ovens sitzt heute in der Bürgerschaft.

Den Traum, Politik über die Bezirks-ebene hinaus zu machen, hat auch Ronja Schmager (28). Die Harburger Fraktionsabgeordnete der SPD ist ebenfalls Bundestagskandidatin. Auf der Landesliste der Hamburger Sozialdemokraten steht sie auf Platz fünf, als dritte Frau hinter Spitzenkandidatin Aydan Özoğuz und der Bürgerschaftsabgeordneten Dorothee Martin. Doch ist ihr eigentliches Ziel nicht Berlin, sondern Brüssel: Ronja Schmager träumt vom EU-Parlament. In der Gesundheitspolitik, dem Fachgebiet der Studentin für Gesundheitswissenschaften und gelernten Krankenschwes-ter, lasse sich auf europäischer Ebene mehr bewegen, sagt Schmager. Doch weiß auch sie: „Politik lässt sich nicht planen.“ Der SPD sei sie beigetreten, um sich für Menschen einzusetzen „und nicht, um etwas zu werden“. In Harburg aufgewachsen, wo die sozialen Unterschiede groß seien, habe sie schon früh den Drang verspürt, für Gerechtigkeit zu kämpfen. „Nicht alle Jugendlichen haben die gleichen Chancen.“

Mit 16 kam Schmager zur SPD-Jugendorganisation Jusos, sechseinhalb Jahre lang war sie Juso-Kreisvorsitzende. Für ihr Studium an der Berliner Charité pendelt sie zwischen Spree und Elbe. Nach Unischluss fährt sie für Gremiensitzungen zurück in die Hansestadt. Hier spielt für sie politisch die Musik – zumindest noch. Neben ihrer Arbeit als Bezirksabgeordnete unterstützt sie den Europapolitiker Sören Schumacher in der SPD-Bürgerschaftsfraktion bei Veranstaltungen. In einem Beitrag für das Buch „Europa, aber anders“ des Hamburger EU-Abgeordneten Knut Fleckenstein (SPD) wünscht sich Schmager ein europäisches Gemeinschaftsgefühl. „Es ist wichtig, Europa zusammenzuhalten und zu stärken“, sagt die 28-Jährige.

Als junge Frau in der Politik stören sie „Ältere-Herren-Runden“, in denen „durchaus auch chauvinistisch geredet“ werde. „Da muss man stark bleiben und gegenhalten“, sagt Schmager. Und so wählt sie in Konfliktsituationen offene Worte. So auch vor wenigen Jahren, als ihr und einigen weiblichen Fraktionsmitgliedern das Verhalten eines umstrittenen Genossen nicht passte. Ein Parteiordnungsverfahren war die Folge. „Konflikte müssen angesprochen werden, um sie zu lösen“, sagt Schmager.

Jungen Menschen will sie ein Vorbild sein und sie motivieren, sich poli-tisch zu engagieren. „Wenn wir Politik für die Zukunft machen wollen, brauchen wir mehr junge Leute.“ Ein Hindernis seien mitunter langatmige politische Debatten. „Man sollte Sitzungen verkürzen, um Politik attraktiver zu machen.“

Sorge, die Nähe zu den Menschen zu verlieren, sollte sie tatsächlich eines Tages im EU-Parlament sitzen, hat sie nicht. „Ich bin zu verwurzelt mit meinem Harburg und würde wahrschein-lich auch dann immer noch um den Au-ßenmühlenteich laufen.“

Eine der jüngsten Politikerinnen im Hamburger Rathaus ist Mareike Engels (29) von den Grünen. Die Soziologie-Studentin ist eine von nur fünf Abge-ordneten unter 30 in der Bürgerschaft. 2015 rückte sie für ihren Parteikollegen Till Steffen in die Bürgerschaft nach, als dieser erneut zum Justizsenator gewählt wurde. Für die damals 26-jährige Engels ein Karrieresprung. Ein Neuling in der Politik war sie da allerdings schon nicht mehr. Seit mehr als acht Jahren engagiert sich die gebürtige Niedersächsin bereits bei den Grünen, gehörte die ersten vier Jahre dem Hamburger Landesvorstand der Jugendorganisation „Grüne Jugend“ an. Doch musste sie sich insbesondere zu Beginn ihrer Amtszeit in der Bürgerschaft erst einen Namen machen. Als junge Abgeordnete sei sie zunächst manchmal für die Praktikantin der Abgeordneten gehalten worden. „Als junge Frau in der Politik wird man häufig unterschätzt“, sagt die jetzige Sprecherin für Soziales, Frauen und Gleichstellung. „Viele Kollegen gingen erst einmal davon aus, dass sie mir die Welt erklären müssten. Sei es historisches Wissen oder die Gesetzesgrundlagen.“ Doch habe sie ihre Gesprächspartner schnell vom Gegenteil überzeugen können. Eine gute Vorbereitung, zu wissen, wovon man rede, sei die beste Strategie. „Zahlreiche Studien zeigen, dass Frauen im Beruf dreimal so viel leisten müssen, um als genauso durchsetzungsstark wahrgenommen zu werden wie Männer“, sagt Engels, die sich selbst als Feministin bezeichnet („immer und überall und aus vollem Herzen“). „Es wäre schön, wenn in unserer Gesellschaft allen das Gleiche zugetraut würde und sich Frauen nicht erst dreimal so stark beweisen müssten.“ Chancengleichheit, Selbstbestimmung und Armutsbekämpfung sind die Themen, die Engels auf ihre Agenda gesetzt hat. „Da haben wir ein Problem in unserer Gesellschaft und auch hier in Hamburg.“

Getrieben wird Engels von Idealismus. Sie wolle zur Weiterentwicklung der Gesellschaft beitragen. Auf einen Posten hinzuarbeiten widerspreche dabei ihrem politischen Selbstverständnis. „Ich bin nicht in die Politik gegangen, um irgendeinen Posten, sondern inhaltliche Ziele zu erreichen“, sagt Engels.

Einen rasanten Aufstieg in ihrer Partei hat die 25-jährige Ria Schröder hinter sich. Seit erst drei Jahren ist die Jurastudentin bei der FDP – aber bereits Mitglied im Landesvorstand und stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen. Nun tritt auch sie bei der Bundestagswahl an, als Direktkandidatin für Eimsbüttel. „Im Bundestag wird eine ganze Generation nicht repräsentiert“, sagt Schröder. Themen wie etwa die Digitalisierung, die ihre Generation inter­essierten, würden nicht schnell genug vorangetrieben, die Meinungen junger Menschen nicht wahrgenommen, kritisiert sie. „Es muss ein Dialog zwischen Jung und Alt stattfinden, damit sich die besten Ergebnisse erzielen lassen.“

Dass sie so schnell eine politische Karriere hinlegen konnte, habe ausge-rechnet mit dem Fall der FDP nach der Bundestagswahl 2013 zu tun, sagt Schröder. Damals rutschten die Liberalen in eine Krise, die Parteiführung beschloss eine Neuausrichtung. „Es herrschte eine große Offenheit. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, hier kann ich mich als junge Frau einbringen, hier kann ich Schwerpunkte setzen und etwas bewegen.“ Diese Offenheit vermisste die gebürtige Rheinländerin bei anderen Parteien. Die CDU fand sie zu konservativ, bei der SPD gefiel ihr das „Klassendenken“ nicht, und die Grünen wollten ihrer Ansicht nach zu viele Verbote. Also trat Schröder, die die Liberalen vorher zwar „schon ganz in Ordnung, aber wenig attraktiv“ fand, der FDP bei.

Karriereziel liegt nicht unbedingt in der Politik

Schröders politische Ziele sind nicht alle ganz unumstritten. So etwa die Forderung nach Legalisierung von Cannabis, die selbst bei einigen Parteimitgliedern nicht geteilt wird. Aber das stört Schröder nicht. Ihr gehe es um mehr Selbstbestimmung, um weniger Restriktionen durch den Staat. „Menschen sollten tun und lassen können, was sie wollen, solange sie niemandem damit schaden“, sagt Schröder. Auch sie spricht davon, für die Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern zu kämpfen. „Gutväterliche Sprüche“ und das „Machogehabe“ einiger älterer Politiker ärgern sie. „Ich habe politische Themen, über die ich rede. Ich will etwas verändern in Deutschland. Dafür mache ich Politik und nicht, um mein Gesicht auf Wahlplakaten zu sehen.“

Obwohl Ria Schröder bereits in vielen Gremien sitzt und eine politische Karriere möglich scheint, würde die 25-Jährige gerne als Juristin arbeiten. Gerade hat sie sich um ein Referendariat beworben, das erste Staatsexamen hat sie bereits in der Tasche. Neben dem Wahlkampf arbeitet sie in Teilzeit in einer Kanzlei. Aber so ganz festlegen möchte sie sich noch nicht. „Ich arbeite gleichzeitig an unterschiedlichen Baustellen.“ Auch ein Zweitstudium für Kunstgeschichte und Italienisch hat sie begonnen. Fest steht für sie: „Ich möchte niemand sein, der sein 20. Jahr im Bundestag verbringt.“ Ihre Bundestagskandidatur versteht auch sie als Dienst an der Demokratie, um jungen Menschen zu zeigen, „dass sie sich politisch engagieren können.“ Über mehr junge Frauen würde sie sich besonders freuen.

Antonia Niecke, Ronja Schmager, Mareike Engels und Ria Schröder haben sich zwar für unterschiedliche Parteien entschieden. Doch verbindet sie mehr als nur Alter und Geschlecht. Alle vier bringen Studium, Nebenjob und Politik unter einen Hut. Mit Einsatz und Ehrgeiz verfolgen sie ihre politischen Inter­essen. Denn der Drang, für Gerechtigkeit zu kämpfen, ist für sie der Grund, sich politisch zu engagieren. Politik kann auch jung und weiblich sein. Und ist nicht nur ein Job für grauhaarige Herren.