Hamburg ist nicht nur die einzige Großstadt in Deutschland mit einer Drei-Sterne-Küche – die Hansestadt trumpft auch jenseits seiner Sterne-Restaurants mit jungen, modernen und exotischen Speisekarten auf

Pannfisch, Rundstück warm und rote Grütze waren gestern. Heute geht es um Ceviche vom Kabeljau, Tatar vom Holsteiner Weiderind und Crème brûlée mit Tropfen von Valrhona-Schokolade. Die Hamburger Küche ist moderner, weltoffen, jünger geworden. Essen ist nicht mehr nur Nahrungsaufnahme, sondern ein sinnliches Event an einem schönen Abend mit Familie und Freunden. Am Gourmet-Himmel der Hansestadt strahlen 15 Michelin-Sterne über zehn Restaurants, die Lokale sind klein und gemütlich, gediegen und mit Weltstadt-Flair, innovativ und stylish. Es sind Dauerbrenner dabei wie das Haerlin oder das Landhaus Scherrer, aber auch neue Läden mit jungen ambitionierten Chefs. Und Hamburg ist die einzige deutsche Großstadt, in der ein Treffpunkt für Feinschmecker mit drei Sternen seine Heimat hat.

Das ist seit August 2015 The Table in der HafenCity. Inhaber und Küchenchef Kevin Fehling zelebriert hier mit Lust das „Hokuspokus der Sterneküche“. Das Motto des Mannes aus Delmenhorst: deutsche Perfektion, französische Tradition, spanische Avantgarde, italienische Leidenschaft, japanische Demut.

Herzstück des Lokals ist ein einziger schlangenförmiger, thekenartiger Tisch aus dunklem Kirschholz. Daran können 20 Gäste Platz nehmen. Durch die geschwungene Form sind variable Ein­teilungen in unterschiedlich große Sitzgruppen möglich. Vom Tisch aus können die Feinschmecker dem Geschehen in der Küche zusehen, der „Choreografie der Pinzetten“, wie der Chef das Anrichten der Speisen nennt.

Gesprochen wird dabei wenig, die Verständigung in der Crew läuft fast ausschließlich über Augenkontakt. Kronleuchter und Tischdecken gibt es nicht, der Luxus findet auf dem Teller statt. Etwa bei der Challans Entenbrust mit Reiscreme, Himbeere, Reisessig-Hollandaise und Shisojus. Die Aromen sind vielfältig und überraschend, der Teller ist ein Kunstwerk, das man eigentlich nicht zerstören möchte.

„Mein Ziel ist es, kopiert zu werden, nicht zu kopieren. Ich möchte mit meinem Konzept internationale Maßstäbe setzen“, sagt Fehling. Bei den Gästen hat sich das schon herumgesprochen, die kommen sogar aus New York und Dubai. Wer am langen Tisch einen genussvollen Abend verbringen möchte, muss allerdings Geduld haben: Die Plätze sind auf Wochen im voraus ausgebucht.

Neu unter den Gourmet-Läden sind das Trüffelschwein von Kiril Kinfelt und das Petit Amour von Boris Kasprik. Jeweils 30 Plätze, jeweils ein Michelin-Stern, hochwertige Zutaten, beste Handwerkskunst, leckeres Essen, gute Weine, legere Wohnzimmeratmosphäre. Beide Küchenchefs haben beste Referenzen im Lebenslauf und Spaß an der Selbstständigkeit. „Für mich muss alles perfekt sein“, sagt Boris Kasprik, der in Ottensen kocht. Kiril Kinfelt möchte in Winterhude seinen Gästen „Geschmacksüberraschungen bieten“.

Das hat er im Jacobs Restaurant von Thomas Martin gelernt. Der hat schon einige Jahre zwei Michelin-Sterne. Seine Küchenphilosophie: „Das Hauptprodukt steht im Mittelpunkt und wird von geschmacksintensiven Saucen getragen.“ Keine Überinszenierung oder Show rund um den Teller, sondern Einfachheit auf höchstem Niveau in Küche und Service. Dafür muss man nicht mehr ein mehrgängiges Menü durchstehen, sondern kann à la carte ein Hauptgericht plus Dessert oder Vorspeise bestellen. So wird ein Besuch im Jacob unverkrampfter und spontaner. „Lässig, aber nicht nachlässig“ hat sich das Team vorgenommen.

Casual Fine Dining heißt das auf Neudeutsch, also gut essen gehen, ohne sich in Schale werfen zu müssen. Das haben sich viele Lokale auf die Fahnen geschrieben: zum Beispiel das Philipps im Karoviertel, die Kleine Brunnenstraße 1 in Ottensen, das Trific in der Altstadt, das Stüffel in Bergstedt oder das Heimatjuwel in Eimsbüttel. Kleine Karte mit saisonalen Schwerpunkten, Zutaten von regionalen Händlern, entspannter Service, schlichte Einrichtung, um die 40 Plätze für Besser-Esser. Da gibt es geschmorte Ochsenbacke und Zanderfilet, Tatar mit Röstbrot und Kapern, Sauerampfersüppchen und Spargel, Thymian-Eis und Rhabarber. Einfach nur gut!

Vom anderen Ende des Globus ins Tor zur Welt kommt südamerikanische Küche mit asiatischen Einflüssen. Allerorten Ceviche: klein geschnittener roher Fisch, mariniert in Limettensaft, ergänzt durch Zwiebeln, Paprika, Koriander oder roten Pfeffer. Wunderbar serviert im lebhaften Leche de Tigre in Ottensen, im edlen Nikkei Nine im Hotel Vier Jahreszeiten an der Binnenalster oder im neuen trendigen Izakaya (das japanische Wort für Kneipe) im Sir Nikolai Hotel in der Altstadt.

Bis 2 Uhr früh Fisch, Fleisch und Süßes serviert

Apropos Schwimmer: Natürlich gibt es für Freunde der Spezialitäten aus Neptuns Reich traditionelle Lokale wie das Fischereihafen Restaurant, den Alt-Hamburger Aalspeicher, das Restaurant Fischmarkt, das Stock’s, das Restaurant Port oder die Fischbrötchen-Buden an den Landungsbrücken. Wer aber weder Scholle Finkenwerder Art noch Labskaus oder Sushi möchte, bekommt die Gesellen mit Flossen modern und exzellent serviert im Jellyfish in Eimsbüttel oder auch im Boathouse in Eppendorf.

Tatar vom Yellowfin-Thunfisch oder Lachs, Makrelenfilets oder Pulpo, Austern, Skrei zur Saison oder Jakobsmuscheln – Laurin Kux in dem einen und Thomas Macyszyn in dem anderen Restaurant verstehen ihr Handwerk, komponieren abwechslungsreiche Menüs, gestalten kreative Teller und verwenden hochwertige Zutaten. Hamburg und Fisch gehören eben zusammen.

Aber auch Fleischfreunde kommen auf ihre Kosten. Riesige Steaks mit und ohne Knochen, gegrillt bei 800 Grad, damit sich die Poren schließen, die karamellisierte Kruste und das richtige Röstaroma entstehen können – dafür muss man nicht mehr nach New York fliegen. Auf ins Mash am Hafen, ins Theo’s im Elysée-Hotel oder in die (m)eatery im Side Hotel, in den Meat Market an der Hoheluftchaussee, ins Rach & Ritchy in Bahrenfeld, ins East und Clouds auf St. Pauli. Gerne wird ein großes Stück Fleisch aus den USA, aus Südamerika, Japan oder Mecklenburg-Vorpommern bestellt, nach dem Zubereiten am Tisch tranchiert, mit ein paar Salzflocken schwungvoll dekoriert und zusammen mit Beilagen und Saucen von Familie und Freunden lustvoll verspeist. In manchen Lokalen kann man in der Kühlung oder Reifekammer einen Blick auf die Rohware werfen.

Natürlich haben auch Hamburgs TV-Köche sich etwas Neues einfallen lassen. Tim Mälzer hat die Gute Botschaft an der Außenalster eröffnet und serviert in Kantinenatmosphäre bodenständige Gerichte. Und Steffen Henssler hat die Hamburgensie Daniel Wischer an der Spitalerstraße mit seinem Lokal Ahoi verdrängt. Und wer schon immer mal Tomatensauce à la Til essen wollte, geht ins Barefood Deli an der Lilienstraße in der Altstadt. Hier hat Schauspieler und Regisseur Til Schweiger sein erstes Restaurant eröffnet, hier gibt es Bolognese nach einem Rezept seiner Tante aus dem italienischen Como.

Haben Sie über all die Dinge, die man in Hamburg erleben kann, das Essen vergessen? Jetzt knurrt um 23 Uhr der Magen, und es bleiben nur noch Chips von der Tanke oder aus der Minibar? Rettung naht – im Heldenplatz in der Altstadt wird bis 2 Uhr früh Fisch und Fleisch, Suppe und Süßes serviert. Die drei Inhaber haben sich früher immer geärgert, dass sie nach Feierabend nicht mehr gescheit speisen konnten. Deshalb kommt jetzt bis lange nach Mitternacht etwas auf den Teller. Und vielleicht treffen Sie auch Köche und Gastronomen, bei denen Sie schon zu normalen Zeiten zu Gast waren. Satt und glücklich in Hamburg.