Der Bruder des letzten deutschen Kaisers liebte Norddeutschland und Hamburg. Eine neue Studie zeigt: Der Technik-Fan kam sehr häufig an die Alster und pflegte hier viele Kontakte

Manche erkannten den hoch gewachsenen Mann gar nicht, wenn er im offenen Benz durch Hamburg fuhr. Andere winkten ehrfürchtig, und es kam nicht selten vor, dass ihr Gruß freundlich erwidert wurde. Prinz Heinrich von Preußen, jüngerer Bruder von Kaiser Wilhelm II., Admiral und Technik-Freak, galt als leutseliger Typ, der zwar durchaus „königlich“ auftrat, aber eigentlich die einfache Lebensweise bevorzugte.

Sein ganzes Leben lang stand der 1862 geborene Heinrich im Schatten des drei Jahre älteren Bruders, dem er sich aber immer bedingungslos loyal unterordnete.

Der Prinz stoppte bei jeder Reise nach Süden in Hamburg

Die Historikerin und Ausstellungskuratorin Christina Schmidt ist den Spuren des Blaubluts gefolgt. Als erste Wissenschaftlerin wertete die 36-Jährige die Tagebücher des Prinzen im Wissenschaftlichen Institut für Schifffahrts- und Marinegeschichte aus – und förderte dabei Erstaunliches zutage. Demnach reiste Heinrich, der von 1896 bis zu seinem Tod auf dem Gut Hemmelmark bei Eckernförde lebte, während und nach der Kaiserzeit laufend nach Hamburg – meist inkognito. Schmidt, die an einer Doktorarbeit zum Thema Prinz Heinrich als Förderer des Automobils arbeitet, hat festgestellt, dass der hohe Besucher auch deshalb unzählige Male an die Alster kam, weil er bei jeder Reise Richtung Süden hier einen Zwischenstopp einlegte. „Prinz Heinrich liebte Hamburg wegen seines maritimen Flairs und weil er in der Stadt viele interessante Gesprächspartner fand“, so Christina Schmidt.

Dabei bewegte er sich vor Ort völlig ungezwungen, ging zum Zahnarzt, besuchte Freunde oder aß im Hotel Vier Jahreszeiten. Freundschaftlich verbunden war er vor allem dem Unternehmer Richard Krogmann und dem Konstrukteur Max Oertz, mit denen er nächtelang diskutierte und Hunderte Briefe austauschte.

Im Oktober 1902 kauft Heinrich laut Tagebucheintrag für 7000 Mark sein erstes (mit Dampf betriebenes) Auto in Hamburg, auch seine Yachten, die immer den Namen „Tilly“ haben, werden hier gebaut. In einem „Reitinstitut“ in Rotherbaum testet er regelmäßig neue Pferde, an der Klopstockstraße (heute Warburgstraße) praktiziert sein Zahnarzt. Im Vier Jahreszeiten, im Tagebuch „4Jhrsztn“ abgekürzt, verbringt der Prinz viele Stunden, wird Stammgast und Förderer von Inhaber Friedrich ­Haerlin. Der schafft durch Heinrichs Fürsprache 1909 schließlich sogar den Sprung zum „Königlichen Hoflieferanten“.

Im heutigen Hotel Fairmont Vier Jahreszeiten hängt immer noch ein Ölporträt des blaublütigen Gönners, das „Prinz Heinrich Haus“ an der Straße Schopenstehl, eine weitere Reminiszenz, ist zwar noch erhalten, der Namenszug fehlt mittlerweile allerdings.

Aus den Tagebüchern und sonstigen Aufzeichnungen ergebe sich ein durchweg positives Bild des Prinzen, so Schmidt. Heinrich sei warmherzig und freundlich gewesen, hatte Sinn für schwarzen Humor und gute Whiskeys.

Besonders beeidruckend aber sind bis heute seine Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Technik.

„Er wollte neue Entwicklungen nicht nur aus der Ferne betrachten, sondern sie selbst testen, bis ins kleinste Detail erkunden und an ihnen teilhaben“, sagt Christiane Schmidt. So erklären sich auch die Freundschaften zu den Hamburgern Krogmann und Oertz, deren hohen Sachverstand in Sachfragen Heinrich schätzte und von denen er sich inspirieren ließ.

Heinrich lässt sich von Krogmann und Edmund Siemers über den Bau der ersten, 1912 fertiggestellten Zeppelinhalle in Fuhlsbüttel auf dem Laufenden halten – klar, dass ihn auch diese technische Entwicklung brennend interessiert. Als Ferdinand Graf Zeppelin 1912 in Hamburg landet, rast der Prinz von Hemmelmark per Auto nach Hamburg, verpasst aber knapp die Landung.

Der verwegene Autofahrer stiftete das Prinz-Heinrich-Rennen und machte im November 1910 als 38. Deutscher den Pilotenschein. Damit ist er damals der älteste Flugzeugführer der Welt und der erste deutsche Seeoffizier mit Fliegerpatent. Der „Erfinder“ des Autoscheibenwischers (wie oft kolportiert) war der Prinz aber nicht. Immerhin: Unzufrieden mit den vorhandenen Modellen, entwickelt er 1908 einen verbesserten, handbetriebenen Scheibenwischer, den er sich auch patentieren lässt. Das Modell wird unter dem Namen „Henrici“ im Handel vertrieben.

Der Technik-Freak geriet mehrmals in Lebensgefahr

Auch die populäre Prinz-Heinrich-Mütze ist keine Erfindung ihres Namensgebers. Heinrich trug in der Freizeit immer mal die Vereinsmütze des Kaiserlichen Yacht-Clubs in Kiel (heute Kieler Yacht-Club), die im Laufe der Zeit verändert wurde. Die heute unter seinem Namen verkaufte Kopfbedeckung hat bei genauer Betrachtung aber nur noch wenig mit dem Original gemein.

Heinrichs Eigenart, alle möglichen Maschinen völlig furchtlos auszuprobieren, bringt ihn mehrmals in Lebensgefahr. Als 1903 eines der ersten deutschen U-Boote in der Ostsee erprobt wird, macht der Prinz so lange Druck, bis er zum Entsetzen seiner Umgebung mit an Bord darf. Dass das Gefährt technisch noch völlig unzureichend ist, schreckt ihn überhaupt nicht.

Prinz Heinrich war ein ganz anderer Typ als sein knapp drei Jahre älterer Bruder. Er besaß nicht die schnelle Auffassungsgabe und das enorme Sendungsbewusstsein des Monarchen, dafür fehlten ihm das Kapriziöse und Aggressive des letzten deutschen Kaisers. Und wo Wilhelm von „Weltgeltung“ redete, war Heinrich wirklich weltgewandt. Unter anderem hatte er – anders als der Bruder – Ostasien und Amerika bereist, wo er begeistert empfangen worden war und sich als guter Repräsentant des Deutschen Reichs bewährte. Ob Deutschland unter einem Kaiser Heinrich in der Welt einen besseren Stand gehabt hätte und ob es überhaupt zum Ersten Weltkrieg gekommen wäre, ist schwer zu beurteilen. Ausgeschlossen ist es jedenfalls nicht.

Ortswechsel. Im schleswig-holsteinischen Landesarchiv lagern alle Akten aus der Vergangenheit des Gutes Hemmelmark, darunter Fotos, Briefe und Notizen. Der Bestand umfasst fast 30 Regalmeter, Hunderte dienstliche Schreiben des ehemaligen „Hofmarschallamts Prinz Heinrich von Preußen“ sind erhalten – Haushaltsbücher, Rechnungen, Anweisungen für Reparaturen, sogar Speisekarten.

Der Leiter des Archivs, Prof. Rainer Hering, bezeichnet Prinz Heinrich als „positive Integrationsfigur“. Die Akten belegen, dass der Prinz gerne Plattdeutsch sprach, beim Segeln einen lockeren Ton pflegte und seine Autos vorzugsweise selbst reparierte.

Im Norden ist der Prinz immer noch sehr populär

Erstaunlich lebendig sei die Erinnerung an Heinrich in Schleswig-Holstein auch heute noch, berichtet Hering, der vor knapp drei Jahren mit Christina Schmidt das Buch „Prinz Heinrich von Preußen. Großadmiral, Kaiserbruder, Technikpionier“ veröffentlichte (Wachholtz Verlag, 232 Seiten). Vorträge über Heinrich müssen wegen der starken Nachfrage wiederholt werden, und laufend gebe es Anfragen zu dem Preußenprinzen.

Schicksalsschläge ertrug der Prinz, der als Großadmiral während des Ersten Weltkriegs Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte war, mit stoischer Gelassenheit, Gefühle „rang er nieder“, wie es im Tagebuch heißt. Über seine Ehefrau, Irene von Hessen, war die gefürchtete Bluterkrankheit in die Familie gelangt, der sein jüngster Sohn Heinrich als Vierjähriger zum Opfer fiel. Auch sein ältester Sohn Waldemar war Bluter, und seine schwache Gesundheit belastete das ansonsten glückliche Familienleben über viele Jahre.

Nach dem Ende des Krieges und dem Untergang der Monarchie zog sich Prinz Heinrich als Privatier nach Hemmelmark zurück, Hamburg besuchte er weiterhin häufig.

In der Nähe des im Tudorstil erbauten Gutes Hemmelmark, das sich heute nicht mehr im Besitz der Heinrich-Nachfahren befindet, steht mitten auf einem Acker ein großes Mausoleum. Hier fand Prinz Heinrich, der genau wie sein Vater Friedrich III. ein starker Raucher war und genau wie dieser an Kehlkopfkrebs starb, im Jahr 1929 seine letzte Ruhe.

Es bleiben Erinnerungen an einen eher sympathischen Preußenprinzen, der vor allem in Norddeutschland nie ganz vergessen wurde.