Wann wird die Belastung zu hoch? Gehört der Airport ins Umland? Naturschützer, Politiker und Forscher diskutieren

Die einen freuen sich über den schnell erreichbaren Flughafen in der Stadt – die anderen klagen über die immer weiter zunehmende Lärmbelastung. Der Airport selbst will weiter wachsen. Aber ist das mitten in einer immer dichter besiedelten Metropole überhaupt möglich – und wenn ja: wie? Darüber haben wir mit SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, BUND-Chef Manfred Braasch und Prof. Jörg Knieling, Stadtentwicklungsforscher der HafenCity Universität, gesprochen.

Meine Herren, sagen Sie uns doch zu Beginn einmal, wie oft Sie den Hamburger Flughafen nutzen.

Manfred Braasch: Ich bin in den letzten 20 Jahren einmal geflogen, nach Australien. Sonst fahre ich Bahn, auch Urlaube in Europa machen wir mit der Bahn.

Andreas Dressel: Ich fliege so fünf- bis zehnmal im Jahr von Hamburg aus. Zuletzt vorletzte Woche mit dem Fraktionsvorstand nach Brüssel.

Jörg Knieling: Zwei- bis dreimal im Jahr. Wo immer es möglich ist, nehmen wir aber den Zug. Das ist auch die Ansage für alle wissenschaftlichen Mitarbeiter bei uns. Der Zug hat aus ökologischen Gründen Priorität.

Über Fluglärm wird in Hamburg immer heftiger gestritten. Ist die Lage so dramatisch, oder sind die Beschwerdeführer nur besonders laut?

Braasch: Nach den offiziellen Zahlen sind rund 53.000 Hamburger stark von Fluglärm betroffen. In Wahrheit sind es aber deutlich mehr. Denn für den Hamburger Flughafen gelten aus Gründen des Bestandsschutzes die modernen, strengeren Grenzwerte noch nicht. Fakt ist: Die Lärmbelastung nimmt zu. Nie war sie so hoch wie 2016. Das lässt sich mit der Berechnung des sogenannten „Lärmteppichs“ auch nachweisen.

Dressel: Das Bild ist gemischt. Es gab schon Jahre mit mehr Flügen und lauteren Flugzeugen, wenn man mal an die alten Aeroflot-Maschinen denkt. Es gibt eine Tendenz zu leiseren Flugzeugen. Nicht zufrieden können wir mit der Zahl der Verspätungen sein, die dazu führen, dass die strenge Nachtflugbeschränkung nach 23 Uhr verletzt wird.

Knieling: Technologisch wäre es möglich, mit leiseren Maschinen zu fliegen. Das hat aber bisher kaum positive Auswirkungen gehabt. Deswegen ist die Lärmentwicklung überraschend negativ. Vor allem Kinder leiden gesundheitlich stark unter dem Lärm. Lärm ist einer der größten Stressauslöser.

Braasch: Dass technisch wenig passiert, sieht man auch daran, dass die wirklich leisen modernen Maschinen gerade einmal ein Prozent der Flugzeuge ausmachen, die hier starten und landen.

Wer in die Einflugschneise zieht, dem sollte aber eigentlich vorher klar sein, dass es da nicht immer leise ist, oder?

Knieling: Bei der Lage auf dem Wohnungsmarkt ist es aber nicht für jeden möglich, sich das auszusuchen.

Dressel: Wer die Siedlungs- und Flughafenentwicklung in Hamburg betrachtet, sieht in jedem Fall, dass der Flughafen zuerst da war.

Der Flughafen will weiter wachsen. Trotz größerer Flugzeuge und besserer Auslastung wird das auch zu mehr Starts und Landungen führen. Nach der aktuellen Genehmigung darf die Zahl der jährlichen Flugbewegungen von jetzt rund 160.000 auf bis zu 192.000 ansteigen. Kann ein innerstädtischer Flughafen so stark wachsen?

Knieling: Aus stadtentwicklungspolitischer Sicht ist ein Flughafen eine völlig falsche Struktur im Stadtgebilde. Die aus betriebswirtschaftlicher Sicht angestrebte Expansion lässt sich in einer Stadt letztlich nicht umsetzen. Wenn man einen Stadtflughafen behalten will, müsste man ihn viel restriktiver handhaben, das würde ihn aber unwirtschaftlich machen. Zu Lärm und Luftbelastungen kommen Gefahren durch mögliche Flugunfälle. Es ist fahrlässig, einen so stark frequentierten Flughafen in so dicht besiedeltem Gebiet zu belassen.

Was wäre Ihre Lösung?

Knieling: Es muss darüber diskutiert werden, den Flughafen aus der Stadt heraus zu verlegen. Man sollte die Idee des Flughafens in Kaltenkirchen neu prüfen, auch Alternativen. Das würde zugleich große Flächen für den nötigen Wohnungsbau frei machen, ohne dass immer mehr Grün verschwindet. München-Riem, wo früher der Flughafen lag, hat sich sehr gut entwickelt, heute leben dort 70.000 Menschen. Dafür bräuchte die Politik allerdings stadtentwicklungspolitischen Mut – wie bei der Entscheidung für den Bau der HafenCity.

Dressel: In Zeiten des BER-Desasters in Berlin werden wir uns an so einem Projekt sicher nicht verheben.

Traut sich Politik nichts mehr zu?

Dressel: So ein Milliardenprojekt ohne saubere Planung und Finanzierung wäre kein gutes Regieren. Es ist außerdem illusorisch zu glauben, dass so ein Neubau im Umland mit weniger Konflikten einhergehen würde. Seit Anfang der 70er-Jahre, als die Planung für Kaltenkirchen lief, hat sich auch dort die Besiedlung stark verdichtet. Fragen Sie doch mal die Leute in Elmshorn, Barmstedt oder Kaltenkirchen, wie sie einen neuen Großflughafen finden würden. Wir haben 2012 mit den Nachbarländern ein norddeutsches Luftverkehrskonzept erarbeitet. Da wurde auch die Frage Kaltenkirchen noch einmal geprüft und verworfen. Mit den Flughäfen Hannover, Bremen und Hamburg und Regionalflughäfen können wir die Kapazitäten bis in die 30er-Jahre abdecken. Kaltenkirchen ist vom Tisch. Ich finde es, wie viele Hamburger übrigens auch, einen Vorteil, dass man nicht in die Pampa fahren muss, um ein Flugzeug zu besteigen. Es muss darum gehen, rund um Fuhlsbüttel einen vernünftigen Interessenausgleich zu finden.

Braasch: Ich bin gegen Denkverbote.

Dressel: Ach, plädiert der BUND jetzt für den Neubau eines Großflughafens? Das ist interessant.

Braasch: Der Flughafen investiert jetzt eine halbe Milliarde Euro. Er will bis zu 25 Millionen Passagiere im Jahr abfertigen. Die Flugbewegungen könnten laut Genehmigung von 1998 noch um rund 20 Prozent zunehmen. Da muss man schon fragen, ob dieses Wachstum mitten in einer Stadt vertretbar ist. Und ich komme da zu einem ähnlichen Schluss wie Prof. Knieling. Man muss Kaltenkirchen noch einmal prüfen. Wenn man zu dem Schluss kommt, dass das nicht geht, gut. Dann muss man endlich dafür sorgen, dass der Flughafen hier die Menschen nicht immer stärker belastet. Ein wichtiger Schritt wäre ein Vorziehen des Nachtflugverbots von 23 auf 22 Uhr – und harte Strafen für Verstöße.

Dressel: Die gibt es doch. Wir haben vor zwei Wochen eine neue Gebührenordnung erlassen mit deutlich höheren Gebühren bei Verspätungen nach 23 Uhr.

Braasch: Die Verspätungsgebühren sind viel zu niedrig. Da kommen Sie auf fünf bis sieben Euro pro Passagier oder 1000 Euro pro Flieger. Das hat keinen Effekt, das sieht man doch. Die Zahl der Verspätungen und Landungen nach 23 Uhr nimmt eher zu als ab – auf Kosten der Anwohner. Warum haben Sie die Entgeltordnung nicht genutzt, um eine wirksame Steuerung hinzubekommen.

Dressel: Die neuen Gebühren gelten seit zwei Wochen. Warten wir mal ab. Gebührenordnungen kann man nicht willkürlich gestalten. Sie wollen doch vor allem, dass Fliegen teurer wird.

Braasch: Erst mal geht es darum, dass die Regeln eingehalten werden. Aber aus ökologischer Sicht sind Billigflieger tatsächlich schlecht für den Klimaschutz. Wir plädieren dafür, innerdeutsche Flüge teurer zu machen, damit mehr Menschen Bahn fahren.

Dressel: Als Sozialdemokrat sage ich Ihnen: Ich will, dass sich auch eine durchschnittliche Familie mit Kindern einen Flug in den Pauschalurlaub leisten kann. Fliegen darf nicht wieder ein Luxusgut werden. Eines ist aber klar: Wir werden die Gebühren zur Not so lange erhöhen, bis sie wirken.

Sie verweisen häufig auf die Planentscheidung von 1998, Herr Dressel. Die erlaubt bis zu 192.000 Starts und Landungen im Jahr, viel mehr als heute. Stimmen Sie die Hamburger also auf eine deutliche Zunahme der Starts und Landungen ein?

Dressel: Es werden mehr Passagiere befördert, aber die Zahl der Flugbewegungen wird nur moderat wachsen. Da die Flugzeuge leiser werden, wird die Belastung kaum zunehmen. Ich wünsche mir auch, dass mehr auf die Bahn umsteigen; wann aber Flüge obsolet werden, kann man nicht staatlich verordnen.

Knieling: Wenn Sie die Zahl 192.000 als Entwicklungsrahmen sehen, würde das bei der Zunahme der Passagierzahl bedeuten, dass es pro Jahr 5000 bis 8000 mehr Starts und Landungen geben wird. Das erhöht natürlich die Lärmbelastung weiter. Man muss diesen Wert neu diskutieren. Er ist viel zu hoch.

Dressel: Das ist eine bestandskräftige Genehmigung. Übrigens gerichtlich überprüft und akzeptiert.

Anwohner haben kritisiert, dass die jetzigen Ausbauten des Flughafens mit neuen Gates und Terminals mehr oder weniger heimlich über den Bezirk Nord genehmigt worden seien – ohne Umweltverträglichkeitsprüfung. Transparent wirkte das nicht.

Dressel: Es geht ja nicht um mehr Flüge, sondern um neue Terminals und eine bessere Gepäckbeförderung, also: mehr Service für die Passagiere. Ich sehe da kein Transparenzdefizit.

Knieling: Ich denke, eine Art permanente Mediation könnte das Vertrauen erhöhen. Bisher entsteht der Eindruck, dass Politik und Flughafen Entscheidungen unter sich ausmachen, zumal die Akteure teilweise identisch sind.

Dressel: Genau so eine permanente Mediation haben wir mit der Allianz für Lärmschutz. Dort sind alle Beteiligten vertreten, und mit Ex-Senatorin Traute Müller haben wir eine Vorsitzende gefunden, die das Vertrauen aller genießt.

Die Anwohner fürchten, dass es irgendwann eine „Entkreuzung“ der beiden Start- und Landebahnen geben wird. Dann könnten beide Bahnen zeitgleich genutzt werden, und es würden deutlich mehr Starts und Landungen möglich. Ist das geplant?

Dressel: In dem bisherigen Rahmen ist das bis Anfang der 2030er-Jahre nicht erforderlich. Aber natürlich muss ein Flughafen sich Gedanken über Zukunftsszenarien machen.

Ein Nein ist das nicht.

Dressel: Ich bin kein Hellseher. Aber das als Ungeheuer an die Wand zu malen wäre auch Quatsch. Denn wenn es eine solche Entkreuzung geben sollte, müsste es ein völlig neues Planverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung, Öffentlichkeitsbeteiligung und Lärmschutzprogramm geben, der Bestandsschutz wäre weg und die strengeren Grenzwerte würden gelten.