Hamburg ist am Wochenende Gastgeber für zwei Veranstaltungen mit bis zu 800.000 Teilnehmern. Politik und Bürger sehen das kritisch

Sebastian Becht

Dem Kiez steht die nächste Großveranstaltung bevor. Der Schlagermove – erwartet werden bis zu einer halben Million Menschen – zieht am Sonnabend ab 15 Uhr durch St. Pauli. Wer sich auf dem Kiez umhört, hört recht unterschiedliche Meinungen: Jan Krone kommt gerade aus seiner Wohnung an der Reeperbahn. Beim Gedanken an den Schlagermove verdreht er die Augen. „Nachdem endlich Ruhe eingekehrt ist, kommt jetzt schon wieder der nächste Stress“, sagt der 29-Jährige. Der Angestellte kritisiert: „Auf die Anwohner nimmt hier keiner Rücksicht.“

Während die Gastronomen sich auf hohe Umsätze am Wochenende freuen, hält sich die Begeisterung bei vielen Anwohnern in Grenzen: „Das ist wie ein Schlag ins Gesicht“, sagt Max K., der in der Nähe der Reeperbahn wohnt. Der Kiezbewohner ist genervt und spielt auf den G20-Gipfel am vergangenen Wochenende an: „Nach den ganzen Krawallen, der Lautstärke und dem Stress könnten wir Anwohner etwas Ruhe gebrauchen.“

Die Gastronomen auf dem Kiez profitieren vom Schlagermove

Aber es gibt auch eine ganz andere Sichtweise: „Wer auf den Kiez zieht, soll sich nicht über Lärm beschweren“, entgegnet Sven Warncke, Geschäftsführer im Restaurant Kiezfutter in der Friedrichstraße. Der Gastronom meint: „Ob man Schlager mag oder nicht, in der Gastronomie leben wir von so etwas.“ Auch Günter Götz, Inhaber der ältesten Tattoostube Deutschlands am Hamburger Berg hat kein Problem: „Wir haben nie was gegen den Schlagermove gehabt, die sind immer friedlich.“ Nur, dass solche Großevents öfters gleichzeitig stattfinden, regt ihn auf. Gemeint ist der größte Triathlon der Welt, der am Sonnabend und Sonntag in der Hansestadt veranstaltet wird: „Das legt dann wieder die ganze Stadt lahm“, fürchtet der Tätowierer.

„Der Schlagermove gehört zu Hamburg. Wir hatten in letzter Zeit genug Stress, jetzt brauchen wir eine Party“, sagt Peter Arndt, Inhaber der Kultkneipe Nordlicht in der Balduinstraße. Während der Feier sei das Lokal brechend voll und die Schlagerfans seien lustige Gäste. Dirk R. ist kein Schlager-Fan. Der Barmann aus der Hans-Albers-Klause in der Friedrichstraße hätte sich früher beim Schlagermove ausquartiert, seit er aber in einer Kneipe arbeitet, gehe das nicht mehr. Aber er zeigt sich tolerant: „Jeder soll Spaß haben, wie er will.“ Entspannt sieht auch Christoph aus der Szenebar Hong-Kong Hotel am Hamburger Berg dem Großereignis entgegen: „Alle sollten sich über den Schlagermove freuen. Für die Gastronomen ist es besonders gut, und laut sei es sowieso jedes Wochenende.“

Die Botschaft der Schlagermove-Veranstalter ist klar: „Der Schlagermove steht seit 20 Jahren für Offenheit, Toleranz und Liebe. Wir freuen uns, wenn an diesem Wochenende wieder ein buntes, friedliches Bild aus Hamburg gesendet wird“, sagte Sprecher Axel Annink dem Abendblatt.

Der Kiez ist aber nicht nur Schauplatz für den Schlagermove, sondern auch für den Hamburg Wasser World Triathlon. Denn die Radstrecke führt am Hafen entlang. Das Sportereignis führt die Teilnehmer durch viele Hamburger Stadtteile. Der Start ist am Jungfernstieg und das Ziel am Rathausmarkt. Etwa 10.500 Teilnehmer und 300.000 Zuschauer werden an der Strecke erwartet.

Wegen des Schlagermoves und des Triathlons wird es vor allem auf St. Pauli und in der Innenstadt, aber auch in mehreren anderen Stadtteilen zu weiträumigen Straßensperrungen und Verkehrsbehinderungen kommen. Auf das eigene Auto sollte man daher besser verzichten und stattdessen Bus und Bahn nutzen.

Der Bezirk Mitte, zu dem unter anderen die Innenstadt und St. Pauli gehören, muss die meisten Großveranstaltungen schultern. Damit soll künftig Schluss sein.

„Dass Schlagermove und der Triathlon auf ein Wochenende fallen, ist eine Zumutung für die Bürger und eine große Belastung für die Innenstadt und St. Pauli. Vor allen Dingen, nachdem die Stadt durch den G20-Gipfel bereits am vergangenen Wochenende lahmgelegt war, zeugt dieser Veranstaltungswahnsinn von wenig Fingerspitzengefühl“, sagte Grünen-Fraktionschef Michael
Osterburg. Es müsse dringend darauf geachtet werden, dass die Veranstaltungen im Bezirk Mitte entzerrt werden. Auch Mittes Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) ist verärgert: „Wir haben im Bezirk Mitte zu viele Großveranstaltungen und es ist verständlich, dass die Bürger davon genervt sind. Das Pro­blem ist, dass der Bezirk das nicht verhindern kann, weil zig Behörden Teilgenehmigungen für die Events erteilen und das nicht in einer Hand liegt.“ Deshalb wiederholte Droßmann seine Forderung: „Wir brauchen ein konzertiertes Genehmigungsverfahren. Das heißt, eine Behörde beziehungsweise der Bezirk muss für die Genehmigung der gesamten Veranstaltung verantwortlich sein, nur so kann es eine Entzerrung geben.“

Großveranstaltungen auch in anderen Bezirken denkbar

Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Jens Wolf, der Sprecher für Bezirke ist, kritisiert: „Die Stadt muss endlich für eine bessere Koordination der Großveranstaltungen sorgen. Parallelveranstaltungen in der Innenstadt wie jetzt mit Schlagermove und Triathlon sind künftig zu vermeiden.“ Außerdem sollten Großveranstaltungen auch in anderen Bezirken stattfinden. Dies wäre eine Bereicherung des sportlichen und kulturellen Lebens außerhalb der City, so Wolf.

Dem Senat ist das Problem bekannt, vielleicht wird es bald eine Lösung geben: „Wir beschäftigen uns mit diesen Fragen, eine abschließende Entscheidung über die Einführung eines konzertierten Genehmigungsverfahrens ist noch nicht erfolgt“, sagte Sprecher Jörg Schmoll.