Bei einem Treffen in der Abendblatt-Redaktion diskutieren führende Politiker der Bürgerschaftsfraktionen über den G20-Gipfel

Mit seiner stärksten Forderung hielt sich CDU-Fraktionschef André Trepoll eine halbe Stunde zurück. Bis dahin war die Diskussion über die Auswirkungen des G20-Gipfels und vor allem die verheerende Randale im Schanzenviertel überwiegend ruhig verlaufen – personelle Konsequenzen waren kein Thema.
Doch dann verschärfte der Oppositionsführer den Ton. „Ich habe mir die Pressekonferenz von Herrn Scholz angeschaut – sehr genau. Und ich habe von einem Hamburger Bürgermeister auch ein Wort des emotionalen Bedauerns zu seiner Verantwortung erwartet, dass er auch mal zugibt, Fehler gemacht zu haben“, rief Trepoll. All das sei nicht passiert. „Deshalb erwarte ich, dass Herr Scholz von seinem Amt zurücktritt. Seine Taktik, dieses Abwiegeln, Herunterspielen, dieses Kleinreden, das wird dieses Mal nicht funktionieren.“

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel wies die Forderung zurück. „Natürlich muss der Bürgermeister nicht zurücktreten.“ Vielmehr müsse es nun darum gehen, dass Parlament und Senat gemeinsam die Ereignisse aufarbeiteten. Dann sprach Dressel von einem „parteipolitisch motivierten Angriff der CDU gegen den Ersten Bürgermeister“ und ging seinerseits zum Angriff über: „Dass Leute sauer sind und betroffen und Angst haben, ist total nachvollziehbar. Aber wir sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass es diesen Gipfel hier gab“, sagte Dressel und wurde lauter. „Es ist der Gipfel der Bundeskanzlerin und CDU-Bundesvorsitzenden gewesen, das Sicherheitskonzept ist mit dem CDU-Bundesinnenminister abgestimmt gewesen.“

Merkel habe am Sonnabend noch betont, die Polizei habe einen exzellenten Job gemacht. „Sich in dieser Weise politisch vom Acker zu machen, nicht auch zur Gesamtverantwortung zu stehen, dass das hier stattfindet und Einschränkungen für die Bürger mit sich gebracht hat, das ist unverfroren und verantwortungslos“, sagte Dressel.

Europaweit bekannte Randalierer hätten sich angekündigt; mit schweren Ausschreitungen sei zu rechnen gewesen, sagte die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion in der Bürgerschaft, Anna von Treuenfels-Frowein. „Der Bürgermeister kann sagen, er sei ein bisschen betroffen, das glaube ich ihm auch. Aber ich erwarte da einfach mehr“, sagte Treuenfels-Frowein. „Er hat hier einen Garantieschein ausgestellt. Den konnte er nicht einlösen“, sagte sie in Anspielung auf Scholz’ Ankündigung Anfang Juni, er könne „die Sicherheit garantieren“ und man werde „Gewalttaten und unfriedliche Kundgebungsverläufe unterbinden“.

Niemand bezweifle, dass die Polizei „heldenhaft und gut gehandelt“ habe. „Die haben getan, was sie konnten“, so Treuenfels-Frowein. Trotzdem hätten sich viele Bürger in Altona und in der Sternschanze nicht geschützt gefühlt.

Wie sehen die Hamburger Grünen das? „Was da passiert ist, war nicht vorherzusehen“, sagte deren Fraktionsvorsitzender Anjes Tjarks. „Wir haben versucht, es mit einem Sicherheitskonzept zu unterbinden. Wir haben Mitgefühl mit denen, die zu Schaden gekommen sind.“ Dies gelte es, „mit aller Demut zu sagen“.

Die Grünen hätten den Gipfelort zwar für „etwas problematisch“ gehalten, aber das Treffen dann mitgetragen. „Insofern stehen wir auch in der Gesamtverantwortung“, sagte Tjarks. Grundsätzlich gelte es allerdings, bestimmte Prinzipien abzuwägen gegen mögliche Belastungen. „Wir können uns nicht von einem Mob diktieren lassen, wo eine demokratisch gewählte Bundesregierung eine Veranstaltung macht“, sagte Tjarks. „Das wäre das Ende der Demokratie.“ Und: „20.000 Polizisten – das ist der größte Einsatz, den Hamburg jemals gesehen hat.“ Trotzdem müsse man sich fragen, was für eine Stadt auch zumutbar sei. „Kann man ein solchen Gipfel künftig vielleicht nur noch dort austragen, wo es ein Messegelände gibt, das nicht mitten in der Stadt liegt?“

Es gebe nicht ein Bild vom G20-Gipfel, sondern viele Eindrücke, sagte SPD-Fraktionschef Dressel. Bei dem Treffen selbst hätte zwar mehr erreicht werden können, gleichwohl habe es Ergebnisse und Fortschritte gegeben. „Und dann waren da natürlich die Bilder des zivilen und friedlichen Protests, etwa vom Fischmarkt, wo Tausende Menschen begeistert dem New Yorker Bürgermeister zugehört und auch ein ganz großes Si­gnal ausgesandt haben, das positiv ist.“ Andererseits habe es die „widerlichen Bilder aus dem Schanzenviertel und auch aus anderen Bereichen der Stadt“ gegeben, so Dressel.

Ähnlich sah das Cansu Özdemir, Vorsitzende der Linken-Fraktion in der Bürgerschaft. Auch sie verurteilte das Vorgehen der Randalierer, die in Kauf genommen hätten, dass Menschen schwer verletzt werden. Özdemir verwies aber ebenfalls auf die friedlichen Proteste, etwa die Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“, zu der auch die Linken-Fraktion aufgerufen hatte. Wegen der Gewaltexzesse seien die Bilder der friedlichen Kundgebungen allerdings untergegangen.

Von teilweise „bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Stadt“ sprach Anna von Treuenfels-Frowein von der FDP. Bei ihr seien vor allem „diese schrecklichen Bilder im Kopf geblieben“. Sicherheit und Ordnung seien „außer Kraft gesetzt worden“.

Bernd Baumann, stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion in der Bürgerschaft, sagte, während des G20-Gipfels sei „vor aller Welt“ sichtbar geworden, „welche Mobilisierungs- und Organisationskraft der Linksextremismus in dieser Stadt hat“. Er sprach von „Abertausenden Gewalttätern, die die ganze Stadt terrorisieren“.

Tatsächlich gab es gewaltsame Auseinandersetzungen vor allem im Schanzenviertel und in Altona. An der Randale in der Schanze mit Plünderungen von Geschäften und brennenden Barrikaden in der Nacht zum Sonnabend waren nach Schätzungen der Polizei etwa 1500 militante Linksextremisten beteiligt.

Baumann sagte, das Phänomen des Linksextremismus sei über Jahrzehnte verharmlost worden. „Man hat Strategien der Beschwichtigung gewählt, was nun vor aller Augen so aufgebrochen ist, dass jetzt nicht mehr so verharmlost werden darf.“ Wenn hier ein Umdenken stattfinde, habe der G20-Gipfel „im Nachgang etwas Positives“.

Die Linke steht in der Kritik, dass sie mit dafür verantwortlich sei, dass gewaltbereite Linksextremisten in die Stadt kamen. „Das finden wir absurd“, sagte Cansu Özdemir und setzte an: „Es gab friedliche Proteste, zivilen Ungehorsam, der auch friedlich verlaufen ist, es gab Menschen, die sich friedlich in Camps versammelt haben ...“

SPD-Fraktionschef Dressel unterbrach sie: „Und warum durfte der Schwarze Block bei ihnen mitlaufen?“, fragte er in Anspielung auf die Demons­tration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ am Sonnabend, an der in kleiner Zahl auch Gewaltbereite des Schwarzen Blocks teilgenommen hatten, und darauf, dass sich der Anmelder der Kundgebung, der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, nach Ansicht von Kritikern nicht deutlich von den Gewaltexzessen im Schanzenviertel distanziert hatte.

„Wissen Sie, was mich sehr irritiert?“, entgegnete Özdemir. „Wir haben als Fraktion immer wieder die Debatte zum G20-Gipfel angemeldet. Und alle Fraktionen – außer die Linke – haben das Sicherheitskonzept, das der Innensenator vorgelegt hat, mitgetragen. Jetzt stellen sie sich hier hin und kritisieren das.“

Von Anfang an habe man eine „massive Eskalationsstrategie des Senats“ erlebt, sagte Özdemir. „Und deshalb haben wir in Debatten dazu aufgerufen, dass wir eine Deeskalation brauchen.“

„Durch den Schwarzen Block?“, warf Dressel ein.

Özdemir sagte: Die Eskalation habe sich schon dadurch gezeigt, dass die Allgemeinverfügung verhängt worden sei, mit der die Polizei ein 38 Quadratkilometer großes Areal zwischen Flughafen und Innenstadt zur Demonstrationsverbotszone erklärte.

„Sie haben den Schwarzen Block mitlaufen lassen“, insistierte Bernd Baumann von der AfD.

„Sie konzentrieren sich auf den Schwarzen Block, das ist vielleicht für sie der Kern des Problems“, sagte Özdemir. „Aber sie waren doch dagegen, dass es überhaupt Proteste gibt.“

Anjes Tjarks von den Grünen sagte, in Bezug auf die Gewaltfrage müsse man eine „große eigene Klarheit“ haben. „Die beginnt da, dass man sagt, ich gehe nicht in Bündnisse, in denen sich Menschen nicht von Gewalt distanzieren können. Und das insbesondere nach dem Vorabend, den wir im Schanzenviertel erlebt haben, wo mit roher Gewalt und ohne Sinn und Verstand der Mob durchgegangen ist und einige Randalierer dann am nächsten Tag bei der Demo mitmarschiert sind.“ Er wünsche sich, dass da eine klare Linie gezogen werde – das sei bei Linken nicht der Fall.

Hat Hamburg sich mit dem G20-Gipfel übernommen, sollten grundsätzlich keine Großveranstaltungen mehr in der Stadt stattfinden? „Wir werden uns nicht geschlagen geben“, sagte Anna von Treuenfels-Frowein von der FDP. „Wir müssen daraus lernen und Dinge besser machen.“ Die Stadt Hamburg sei gerade bekannt dafür, dass sie Großveranstaltungen ausrichten könne. Ähnlich sah das Bernd Baumann von der AfD.

Cansu Özdemir von den Linken bekräftigte, Hamburg sei für eine solche politische Großveranstaltung der falsche Ort. Großveranstaltungen ja, „aber einen G20-Gipfel brauche ich so schnell nicht wieder“, sagte auch der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anjes Tjarks.