Bürgermeister Olaf Scholz spricht nach den Krawallen von einer großen Herausforderung für sich und die Stadt und kündigt Konsequenzenfür die Rote Flora an

Peter Ulrich Meyer

Nach dem G20-Gipfel absolvierte Olaf Scholz am Sonntag einen Medienmarathon: Pressekonferenzen, Interviews, TV-Auftritte. Um das Treffen der Staatschefs ging es dabei nur am Rande, im Mittelpunkt standen die schweren Ausschreitungen. Das Abendblatt traf den Bürgermeister am Nachmittag im Polizeipräsidium.

Mit einem Satz: Wie konnte das passieren?

Olaf Scholz: Die Frage treibt mich natürlich sehr um. Wir haben gewusst, dass der G20-Gipfel eine große Herausforderung wird, insbesondere mit Blick auf die Sicherheit. Deshalb haben wir den größten Polizeieinsatz in der Nachkriegsgeschichte Hamburgs vorbereitet. Es waren Kräfte aus ganz Deutschland, des Bundes und sogar aus dem benachbarten Ausland vor Ort. Angesichts von 20.000 Einsatzkräften sind wir fest davon ausgegangen, dass wir die Sicherheit gewährleisten können. Trotzdem ist das nicht gelungen, das ist sehr bedrückend.

Es hat ja stundenlang rechtsfreie Räume gegeben. Das hat Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden in der Stadt.

Die Stadt muss sicher sein, und die Bürgerinnen und Bürger müssen sich auch sicher fühlen, das ist von allergrößter Bedeutung. Ich bin während des Gipfels mehrfach ins Polizeipräsidium gefahren, auch in der angesprochenen Nacht, und habe mitbekommen, was los war. Einige Polizisten waren auch verzweifelt, weil sie den Menschen gern mitgeteilt hätten, warum sie nicht vorrücken konnten. Aber nun wissen wir es ja: Da wollten Schwerkriminelle von den Dächern und Gerüsten aus mit Gegenständen und Waffen auf die Polizisten losgehen, das war eine lebensgefährliche Falle. Daher hat es so lange gedauert, bis Sondereinsatzkräfte diese gefährliche Lage bereinigt haben. Ich verstehe aber sehr gut, dass das viele Anwohner schwer erschüttert hat.

Es hat aber auch sehr lange, bis Sonntagvormittag, gedauert, bis Sie mit den Anwohnern gesprochen haben. Viele Leute fragen, warum der Bürgermeister in der Elbphilharmonie sitzt, während das Schanzenviertel brennt, und warum er am Morgen darauf nicht da ist. Was sagen Sie denen?

Glauben Sie mir, ich wäre auch lieber woanders gewesen. Ich habe die ganze Zeit mit der Polizei über die Lage gesprochen und habe mich immer wieder ins Präsidium begeben. Aber bei diesem Gipfel hatte ich als Bürgermeister auch Verantwortung gegenüber den Gästen. Dazu gehört auch, dass ich in der Elbphilharmonie dabei bin. Es wäre ein ganz bedrohliches Signal gewesen, auch für die Gipfelteilnehmer, wenn das nicht der Fall gewesen wäre. Im Übrigen können Sie sicher sein, dass ich von dem Konzert nicht viel mitbekommen habe, sondern mehr auf das Handy geschaut habe. Wenn ich in dieser Situation auch noch in die Schanze gefahren wäre, hätte das zahllose Polizisten zusätzlich gebunden.

Sie haben vor dem Gipfel eine Sicherheitsgarantie gegeben, die Sie nicht einhalten konnten. Welche Konsequenz ziehen Sie daraus?

Eine Konsequenz muss sein, dass wir diejenigen, die wir schon überführt haben, den Strafrichtern vorführen und dass sie hoffentlich zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Stadtgesellschaft das Sicherheitsgefühl bekommt, das sie zu Recht erwartet. Wir müssen die Erkenntnisse vom G20-Gipfel nutzen, um künftig besser reagieren zu können. Denn die Bewohner und Geschäftsleute in der Schanze oder in der Bergstraße, mit denen ich gesprochen habe, sind nicht einverstanden mit der Gewalt. Auch für die, die diese gewalttätig ausgearteten Demonstrationen angemeldet haben, muss das Konsequenzen haben.

Müssen Sie nicht eingestehen, dass die Sicherheitsbehörden das Gewaltpotenzial der G20-Gegner unterschätzt haben?

Die Polizei hat heldenhafte Arbeit geleistet. Die Polizisten und Polizistinnen haben für uns den Kopf hingehalten. Es berührt mich zu sehen, dass Menschen den verletzten Beamten Blumen ins Krankenhaus bringen.

Das stellt niemand infrage. Aber es ging um die Einschätzung im Vorfeld. War die falsch?

Alle Sicherheitsbehörden sagen, dass sie mit diesem Typus marodierender Straftäter nicht gerechnet haben. Sie haben mit Straftaten gegen den Gipfel und gegen die Gipfelteilnehmer gerechnet, aber nicht damit, dass irgendwo im Stadtgebiet Angriffe auf das Eigentum völlig Unbeteiligter geschehen. Angesichts dieser wahllosen Brutalität und dieser hemmungslosen Zerstörungswut kommen alle Sicherheitskonzepte, die man mit rechtsstaatlichen Methoden aufstellen kann, an ihre Grenzen.

Bereuen Sie den Vergleich des Gipfels mit dem Hafengeburtstag?

Ja. Ich habe flapsig über Verkehrspro­bleme diskutiert und musste dann erleben, dass mir unterstellt worden ist, ich hätte die ganze Veranstaltung damit gemeint. Das kann schon deswegen nicht stimmen, weil ich dann nicht dafür gesorgt hätte, dass 20.000 Polizisten in der Stadt sind. Aber ich bin auch verantwortlich, wenn mir Leute meine Worte im Munde herumdrehen.

Sie haben aber auch gesagt, dass es Leute geben wird, die am 9. Juli überrascht sein werden, dass der Gipfel schon vorbei ist. Diese Vorhersage ist auch nicht eingetreten.

Es war meine aufrichtige Überzeugung, aber sie ist ganz offensichtlich nicht eingetreten.

Welche Fehler haben Sie gemacht?

Diese Frage beschäftigt mich natürlich nicht erst heute. Das müssen wir auch parlamentarisch aufarbeiten. Ich werde am Mittwoch eine Regierungserklärung dazu abgeben. Wir werden auch eine genaue Lageanalyse vornehmen, ob wir etwas anders hätten machen können, um die Gewaltexzesse zu verhindern. Daraus werden wir auch Erkenntnisse gewinnen, die wir jetzt noch nicht haben.

Wir meinten die Frage durchaus persönlich.

Das habe ich schon verstanden. Um es konkret zu machen: Nein, es war kein Fehler, dem Wunsch der Kanzlerin zuzustimmen, diesen Gipfel in Hamburg durchzuführen. Das habe ich richtig gefunden. Ich finde nicht, dass eine brutale Gruppe von Gewalttätern, die aus verschiedenen Ländern einreist und noch nicht einmal sehr groß ist, bestimmen kann, was in demokratischen Staaten und in einer weltoffenen Stadt wie Hamburg oder Berlin oder Barcelona stattfinden kann.

Die Grünen sind da anderer Ansicht und äußern das auch deutlich: Gibt es jetzt auch noch eine Senatskrise?

Nein.

Es bleibt bei der unterschiedlichen Einschätzung und Sie akzeptieren die Meinung der Grünen?

Ja.

Die Straftäter der schweren Ausschreitungen in Altona sollen aus dem Protestcamp im Volkspark gekommen sein. Die Grünen haben sich immer für solche Camps eingesetzt. Wie gehen Sie damit um?

Ich war mit der Polizei der Ansicht, dass solche Camps Ausgangspunkt von Gewalt sein können und war deswegen dagegen. Leider sind die Gerichte dem nicht bis zuletzt gefolgt. Im Nachhinein hatten wir leider recht. Ich frage mich aber, wo all diejenigen sind, die im Vorfeld Kritik daran geübt haben, dass Polizei, Innensenator und Bürgermeister nicht einfach solche Camps zulassen.

Sie meinen damit auch die Grünen – Ihren Koalitionspartner. Uns fehlt die Fantasie, wie man normal weiterregieren kann, ohne dass es zu schweren Verwerfungen führt.

Mir nicht. In dieser Frage waren wir unterschiedlicher Meinung, aber es ist akzeptiert worden, dass die Verantwortung beim Bürgermeister und beim Innensenator liegt.

Die Polizei hat mehr Zelte im Volkspark zugelassen als das Gericht gefordert hatte – statt 300 fast 1000.

Die Polizei muss immer die Lage beurteilen und ihre Taktik davon abhängig machen. Wir müssen den Einsatzführern den Rücken stärken, die vor Ort die Entscheidungen treffen. Das sind Profis – es sollten jetzt nicht hinterher Laien wohlfeile Ratschläge geben.

Ein Problem für die Sicherheit ist ja auch die Rote Flora. Deren Sympathisanten haben viele Militante aus dem Ausland geradezu eingeladen. Kann die Stadt diese Brutstätte der Gewalt, die ihr ja auch noch gehört, noch länger dulden?

Auch das muss diskutiert werden. Wir werden genau sehen müssen, wer für was Verantwortung hat. Ich finde auch, dass man keine Sympathien für die Anmelder der Demonstration am Donnerstag – Herrn Blechschmidt und Herrn Beuth – hegen darf. Die haben zu verantworten, was da passiert ist. Es ist billig, wenn die jetzt sagen, dass die ausländischen Militanten auf sie nicht hören. Das wird Konsequenzen für die Zukunft haben. Ich hoffe, dass denen keiner mehr ein Stück Brot abkauft.

Den Gipfel nach Hamburg zu holen, war eine ziemlich einsame Entscheidung von Ihnen. Was sagen Sie den vielen Hamburgern, die jetzt einfach wütend sind?

Diese Wut verspüre ich auch in mir, und ich werde sie auch nicht so schnell loswerden. Aber ich wiederhole: Wir brauchen solche Gesprächsformate. Und dieser Gipfel hat sogar mehr Ergebnisse erzielt als wir vorher hoffen durften.

Was sagen Sie zu den an Sie gerichteten Rücktrittsforderungen etwa der CDU?

Dieses Geschäft der Linksextremisten mag betreiben, wer will. Ich nicht.

Sie haben den Hamburgern viel zugemutet und etliche sind geschädigt worden. War es das alles wert?

Die Schäden kann man nicht einfach hinnehmen. Deswegen habe ich sofort mit der Kanzlerin darüber gesprochen, dass wir eine gemeinsame Entschädigung hinbekommen müssen. Den Schrecken können wir nicht entschädigen. Wir können nur mit guter Polizeiarbeit versuchen, das Vertrauen zurückzugewinnen. Ich bin für eine möglichst einfache und pragmatische Handhabung.

Was bleibt vom Gipfel? Sind es weltweit die Bilder von brennenden Barrikaden und marodierenden Gruppen oder sind es die schönen Bilder von der Elbphilharmonie?

Das weiß ich noch nicht. Sicher werden die Gewalttaten und brennenden Autos in der internationalen Berichterstattung eine Rolle spielen. Ich hoffe aber, dass auch die Ergebnisse dieses Gipfels und die Bilder der schönen Seiten unserer Stadt vorkommen. Diesen Triumph sollten wir den ruchlosen Gewalttätern bieten.

Wie geht es Ihnen persönlich heute?

Na, was glauben Sie? Das sind schwere Stunden für die Stadt – natürlich geht es mir da nicht gut. Es ist eine große Herausforderung, die Situation so zu bewältigen, dass sich die Stadt weiter gut entwickeln und optimistisch in die Zukunft blicken kann.

Ist das Ihre schwerste Stunde als Bürgermeister?

Das ist die schwerste Stunde, ganz sicher.