Hamburg. Kent Nagano dirigiert in der Elbphilharmonie Beethovens Neunte – ein in vielerlei Hinsicht denkwürdiger Abend

Die Macht von Musik ist bestenfalls grenzenlos, aber womöglich auch sehr begrenzt – zumal, wenn sie sich in einem Raum mit Dutzenden sehr realen Machtpolitikern befindet. Nur einer dieser vielen sich widersprechenden Gedanken, bevor Generalmusikdirektor Kent Nagano am Freitag den ersten Einsatz zu Beethovens Neunter gibt.

Nagano und die Hamburger Philharmoniker sollen im Regierungs-Auftrag in der Elbphilharmonie ein höchst offizielles Konzert geben, und insgeheim gewiss auch Moral-Nachhilfe nach Noten. Eine Lektion in Aufrichtigkeit für 20 der einflussreichsten Menschen auf diesem Planeten, die Beethovens fast 200 Jahre alter Vision widerspruchslos zuhören müssen – und unter ihnen Trump und Putin. Erdogan ist nicht erschienen.

Die Anspannung auf der Bühne im Großen Saal ist fast mit Händen greifbar. Entspannt oder vorfreudig wirkt da nichts. Als die Musik beginnt, setzt eine andere Art der Spannung ein. Denn Nagano möchte hörbar machen, dass dieser Beethoven hier und jetzt jeden angeht. Und von Anfang an wird klar, dass Nagano in diesem Konzert, mit dieser Ansage und dieser Deutung keine Zeit verlieren will.

Und aus dem richtigen Blickwinkel lassen sich in diesem Ereignis auch noch zwei konträre Körpersprachen studieren: Naganos, der nach einem eher vagen Einstieg in den Kopfsatz eilt und so aus einem noch unberechenbaren Schöpfungsmoment eine erste, gut durchleuchtete Durchgangsstation macht. Und auf der anderen Seite des Konzertraums: die der Herrschenden, sehr unterschiedlich. Die Trudeaus halten sich an den Händen, die Trumps scheinen abzuwarten, was da noch kommt. Macron, direkt neben Trump platziert, wirkt hellwach und brennend an jedem Detail interessiert.

Auf der Bühne ist Nagano unterdessen darum bemüht, seine dienstliche Pflichterfüllung nicht genau danach klingen zu lassen. Sehr große, übergroße Gesten. Die Philharmoniker müssen sich ebenfalls erst noch frei spielen. Große Freiheit Opus 125 klingt anders.

Der zweite Satz beginnt, wie der erste wirkte: Hastig, vor allem stürmend, nicht von innen heraus drängend. Das Überflotte in Naganos Dirigat lässt Beethovens Musik genügend Luft zum Atmen, aber nicht immer genügend Freiraum zum Blühen. Erst im Adagio finden Musik und Interpreten erkennbarer zueinander. Man bekommt eine Ahnung davon, was Beethovens Musik sein kann und soll: ein Bekenntnis zu Haltung.

Beim Finale – dem Teil mit der Europa-Hymnenmelodie – sitzt Macron auf der Stuhlkante, Trump lehnt sich in die entgegengesetzte Richtung zurück. Ein vielsagendes Bild. Aus dem Solistenquartett ragen der Sopran von Christiane Karg und der Tenor von Klaus Florian Vogt heraus. Als Celli und Bässe das „Freude“-Motiv anstimmen, geht ein Ruck durchs Tutti. Ab hier gilt es jetzt wirklich. Ein weiteres, ein letztes Mal zieht Nagano die Tempi an. Keine Zeit verlieren, die Botschaft der Musik soll ihre Wirkung auf der Zielgeraden nicht verfehlen.

Beethoven wirkt, auch hier. Selbst hier, sogar unter den dramatischen Umständen, die diesen Abend tief in die Geschichte der Stadt einbrennen.