Während eine Demo am Dienstagabend in einen Wasserwerfer-Einsatz mündete, blieb der Umzug „Lieber tanz ich als G20“ gestern zunächst friedlich. Doch für heute Abend wird Schlimmes befürchtet

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ausende Menschen haben gestern Abend unter dem Motto „Lieber tanz ich als G20“ in der Innenstadt gegen den bevorstehenden Gipfel demonstriert. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe um 23 Uhr auf 11.000, die Veranstalter sprachen von bis zu 20.000.

Der fröhliche Umzug führte von den Landungsbrücken über das Schanzenviertel ins Gängeviertel. Die Tänzer wurden von lauter Techno-Musik und bunten Schildern begleitet, auf denen Parolen wie „G20 in die Tonne kloppen“ zu lesen waren. In einem mitfahrenden Reisebus, in dem ebenfalls getanzt wurde, prangte eine übergroße Klobürste als Symbol für den Protest.

Auf dem Dach der Roten Flora ließ sich ein Vermummter mit einem brennenden Bengalo fotografieren. In einem Aufruf der Veranstalter hieß es, man wolle sich weder durch Sicherheitszonen noch durch die kapitalistische Verwertungsmaschinerie lahmlegen lassen. Kurz vor dem offiziellen Ende des Umzugs um 22.49 Uhr warf ein einzelner Demonstrant eine Flasche auf einen Polizeiwagen am Valentinskamp. Ansonsten blieb offenbar alles friedlich.

Während sich die Polizei bei dem Umzug im Hintergrund hielt, hatte mittags ein Großaufgebot die Zufahrt zu den Messehallen abgeriegelt. Innensenator Andy Grote (SPD) stand im Stau und kam einige Minuten verspätet dort an – ein Vorgeschmack auf das, was allen Autofahrern in den nächsten Tagen rund um die Messehallen droht. Für seine Presse-Briefings hat Grote gegenüber der Absperrung an der Karolinenstraße einen Posten an der Rentzelstraße bezogen. Bis zum Sonnabend will er hier jeden Mittag eine Stunde lang Fragen beantworten. Fragen zum G20-Gipfel. Was sonst?

Anmeldung bestätigt: Autonomen-Demo findet statt

Doch der Auftakt will nicht so recht gelingen: Dröhnend steht ein Polizeihubschrauber in der Luft, über die Schröderstiftstraße jagen Motorradstaffeln und Polizeikolonnen. Und dann schallt Grote auch noch von vorn lauter Protest entgegen. Ein Gipfelgegner hat die Fenster seiner Wohnung geöffnet und die Lautsprecherboxen auf Grote gerichtet, an der Fassade des Wohnhauses hängt ein „NoG20“-Transparent, zwischen den Buchstaben ein erhobener Mittelfinger. Dann spielt er mit kräftigem Schalldruck ein paar Songs ab und raunzt: „Grote, geh nach Hause, wir wollen dich hier nicht.“

Als Grote längst auf die andere Straßenseite gewechselt ist, klingeln bei dem Protestierenden die freundlichen Polizisten von nebenan – offenbar wegen Lärmbelästigung, es ist kurz nach 13 Uhr. Wie kein anderer Hamburger Politiker steht Grote zurzeit in der Kritik linker Gruppen. Weil die Polizei aus haltlosen Gründen Übernachtungscamps verboten habe, weil sie überzogen hart agiere, wie inzwischen auch Spitzenpolitiker der Grünen kritisieren. Und weil sie „absurde Gefahrenprognosen“ abgebe, wie Grotes politische Gegner vom linksautonomen Bündnis „Welcome to Hell“ kurz vor dem Presse-Briefing bei einer eigenen Pressekonferenz im Millerntor-Stadion betonen. Das Bündnis veranstaltet die gleichnamige, am Mittwoch von der Polizei genehmigte Autonomen-Demo am heutigen Donnerstag. Sie startet am Abend auf dem St. Pauli-Fischmarkt.

„Die Proteste in Hamburg werden stattfinden“, sagt ein Sprecher. Es seien schon „viele ausländische Aktivisten“ in der Stadt. Nach einem Konzert der Bands Goldene Zitronen und Neonschwarz wollen sich die Demonstranten gegen 18.30 Uhr aufstellen und losziehen. „Wir wollen den reibungslosen Ablauf des Gipfels stören und den Aufenthalt der Staatsgäste so unangenehm wie möglich gestalten“, sagt er. Nach allem, was die Sicherheitsbehörden über diese Demo und das Gewaltpotenzial ihrer Teilnehmer schon gesagt und geschrieben haben, klingt das fast wie eine Drohung. Am Donnerstag soll sich der „größte schwarze Block Europas“ auf dem Fischmarkt bilden, der Anmelder hat gerade erst die Zahl der Teilnehmer von 5000 auf 10.000 erhöht. Ein Sonderzug sollte gestern G20-Gegner aus der Schweiz über München, Köln und Dortmund nach Hamburg bringen – er wurde jedoch laut Augenzeugen bereits kurz vor der Abfahrt in Basel erstmals gestoppt. Ein Schweizer, der mit Haftbefehl gesucht worden war, wurde festgenommen.

Die Behörden gehen dennoch von weit mehr als 8000 gewaltbereiten Extremisten aus – davon sollen mindestens 1000 Extremisten aus dem Ausland kommen, vor allem aus der Schweiz, Italien und Skandinavien. Sie könnten ein Pro­blem werden: Die Polizei kennt zwar die lokale Szene, hat aber kaum Erfahrungen mit ausländischen Radikalen. Sicher ist nur: Am heutigen Donnerstag wird ein großer Teil des Aufgebots von 20.000 Polizisten bei dem „Welcome to Hell“-Aufzug im Einsatz sein. Der Anmelder des Aufzugs und der Organisator eines Protescamps seien identisch, es handele sich um Andreas Blechschmidt, Sprecher der Roten Flora und damit Vertreter eines linksextremistischen, gewaltorientierten Spektrums.

Sollte es bei der Demo zu Störungen kommen, so Grote, dann werde die Polizei „damit umgehen“. Auf die Frage, ob die Polizei einschreiten würde, wenn sich Demonstranten rechtswidrig vermummten, was bei der autonomen Szene als sicher vorausgesetzt werden darf, antwortet Grote ausweichend: Zu einsatztaktischen Fragen werde er sich nicht äußern.

Wasserwerfer-Einsatz auf St. Pauli empört auch Grüne

Ein rasches Einschreiten würde wohl zur „Hamburger Linie“ der Polizei passen; G20-Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde gilt als einer ihrer Architekten. Als einer, der jede Regelüberschreitung knallhart ahndet. Zu ersten, größeren Konfrontationen zwischen Polizisten und Gipfelgegnern kam es bereits am Dienstagabend in Altona und im Schanzenviertel – der Einsatz brachte auch die Strategie der Polizei insgesamt erneut sehr stark in die Kritik.

Am Neuen Pferdemarkt hatten sich zunächst mehrere Hundert Menschen zum „hedonistischen Cornern“ getroffen, tranken friedlich Bier bei Musik im Freien. Gegen 22 Uhr räumte die Polizei zum ersten Mal die Kreuzung mit einem größeren Aufgebot und ließ mehrere Wasserwerfer direkt vor Ort auffahren. Daraufhin füllte sich der Platz mit mehr als 1200 Menschen, darunter auch Schaulustige. Die Stimmung schaukelte sich hoch – und um 23.27 Uhr kam ein Wasserwerfer zum Einsatz, laut Polizei wurden Flaschen auf Beamten geworfen. Gegen 300 Demonstranten wurde in einem Park Pfefferspray eingesetzt und die Kreuzung abgeriegelt.

Bereits während des Einsatzes zeigten sich Internetnutzer empört über das Vorgehen der Polizei – sie habe die Lage durch ihre massive Präsenz erst eskaliert. „Cornern ist ziviler Ungehorsam, keine Straftat, wozu das mit Wawe (Wasserwerfer, die Red.) auflösen? Statt Verhältnismäßigkeit, volle Pulle drauf? Nicht hilfreich!!“, schrieb die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller, bei Twitter. Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anjes Tjarks, mahnte zu mehr Besonnenheit, „gerade im Umgang mit cornern“.

Vier Polizisten wurden verletzt, fünf Teilnehmer festgenommen

Die Polizei reagierte mit ihrem massiven Einsatz aber auch auf eine Gruppe von etwa 400 G20-Gegnern, die zuvor im Emil-Wendt-Park in Altona ein unerlaubtes Camp errichtet hatte und zum Neuen Pferdemarkt gegangen war.

Es habe Aggressionen einer Gruppe gegeben, sagte Innensenator Grote hinterher. Bei einer Versammlung unter dem Motto „TechNOG20“ flogen am Dienstagabend ebenfalls Flaschen. Eine Flasche traf eine unbeteiligte Passantin (50), sie erlitt eine Kopfplatzwunde. Zudem wurden bei beiden Einsätzen vier Polizisten leicht verletzt und fünf Demonstranten festgenommen.