Letzte Instanz gibt denG20-Gegnern recht, die auf Entenwerder ein Lager errichten wollten. Auch im Altonaer Volkspark erlaubt die Polizei das Aufstellen von 300 Schlafzelten

Nun also doch: Nach einem wochenlangen erbitterten Streit und juristischem Tauziehen um die G20-Protestcamps hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) am Mittwoch den Aufbau von „300 Schlafzelten sowie Waschgelegenheiten“ auf dem Gelände des Elbparks Entenwerder erlaubt. Die Entscheidung ist rechtskräftig und hebt das gegenläufige Urteil der Vorinstanz auf. Auch im Altonaer Volkspark wurden am Abend 300 Schlafzelte genehmigt.

Es ist ein später Sieg der G20-Gegner, wenngleich für Entenwerder ursprünglich 1500 Schlafzelte geplant waren. „Das Oberverwaltungsgericht hat unsere Rechtsansicht klipp und klar bestätigt“, sagte Rechtsanwalt Martin Klingner, der die Organisatoren des Protestcamps als Anwalt vertritt. Genutzt wird die Genehmigung aber wohl dennoch nicht. Erst am Dienstag hatten die G20-Gegner vor Ort aufgegeben und die bestehenden Zelte abgebaut. Am Mittwochnachmittag wurde zunächst darüber beraten, ob das Camp nun neu errichtet werden soll. Abends waren auf dem Gelände keinerlei Aktivitäten zu beobachten.

Die Polizei habe die G20-Gegner in Entenwerder in den vergangenen Tagen „sehr streng kontrolliert, durchsucht und blockiert“, sagte Klingner. „Die Befürchtung ist, dass sich dies trotz des neuen Urteils wiederholen könnte.“ Unter diesen Umständen ergebe es keinen Sinn, ein Protestcamp zu betreiben. „Viele haben keine Lust mehr auf die Bullen-Schikane, möglicherweise wird es daher überhaupt kein Camp mehr dort geben“, sagte ein Sprecher des Camps.

Polizei hält die neue Lage für beherrschbar

„Für die Polizei Hamburg hätte der ursprünglich vom Anmelder vorgesehene Aufbau und die Nutzung von 3000 Schlafzelten für bis zu 10.000 Personen im Stadtpark ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dargestellt“, sagte Polizeisprecher Timo Zill. „Mit der jetzigen Entscheidung, lediglich 300 Schlafzelte zuzulassen, wurde aus Sicht der Polizei eine gefahrenminimierende und beherrschbare Situation geschaffen.“ Kooperationsgespräche zur Ausgestaltung des Sicherheitskonzepts will die Polizei rasch aufnehmen.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wird den politischen Streit über das Vorgehen der Polizei gegenüber den Campern erneut anheizen. Bis weit ins bürgerliche Lager hinein war darüber diskutiert worden, warum angeblich friedliche G20-Gegner nicht auf öffentlichen Plätzen übernachten sollten. Und nicht nur der grüne SPD-Regierungspartner war und ist der Ansicht, die Stadt müsse Flächen dafür bereitstellen. Das ist nun, wenngleich in beschränktem Rahmen, auf Entenwerder möglich.

Warum fährt die Polizei diese harte Linie beim Thema Campieren? Zwei taktische Überlegungen der Beamten sind dabei ausschlaggebend. Zum einen wollte die Polizei von Anfang an eine große und dauerhafte Zusammenballung von G20-Gegnern an einem Ort vermeiden. Die Sorge: Große Camps könnten gerade auch den gewaltbereiten Störern des Gipfels als Rückzugsraum dienen. Und zweitens ist es praktisch kaum möglich, beim Bezug eines Camps zwischen friedlichen und gewaltbereiten Demonstranten zu unterscheiden.

Die zweite Überlegung hat das Oberverwaltungsgericht nun gewissermaßen weggewischt, indem es die Beweislast umkehrt. Die Richter halten der Polizei vor, keine „Gefahrenprognose, die gestützt auf tatsächliche Anhaltspunkte ist“, vorgelegt zu haben. Mit anderen Worten: Die Annahme, es würden auch in großer Zahl gewaltbereite Demonstranten nach Hamburg kommen, reiche nicht aus. Zudem, so die Richter, liege Entenwerder außerhalb der von der Polizei im Rahmen der Allgemeinverfügung mit einem Demonstrationsverbot versehenen blauen Zone. Die Taktik der Polizei lief also auf eine Zersplitterung der Campszene hinaus – und es könnte nun tatsächlich so sein, dass die Ordnungskräfte damit trotz ihrer Niederlage vor Gericht Erfolg haben. Die Campszene ist längst zersplittert und hat sich über die Stadt verteilt – auch die Gipfel-Gegner, die nach Entenwerder wollten.

Ein größeres Camp mit mittlerweile gut 60 Zelten ist beispielsweise an der Max-Brauer-Allee auf dem Gelände der St.-Johannis-Kulturkirche entstanden. „Wir gehen nicht wieder zurück“, sagt dort etwa Alma Wunder. Altona sei einfach viel zentraler und näher am Geschehen. Die junge Frau aus dem Wendland gehört zu einer Gruppe, die als Erstes von Entenwerder nach Altona gekommen ist. Andere fanden Quartier bei der St.-Pauli-Kirche. Dort stehen aber nur sechs Zelte, mehr Platz gibt es nicht.

Viele bieten private Übernachtungsmöglichkeiten

Ein Camp, so heißt es in der Szene, gibt es aber auch in Moorfleet in einer Kleingartenanlage. Am Volkspark in Lurup haben Gipfel-Gegner ebenfalls ein Camp aufgebaut. Dort galt zunächst noch ein Schlafverbot. Nur zehn „symbolische“ Schlafzelte ließen die Behörden zu. Kooperationsgespräche zwischen Polizei und Demonstranten führten zu dem Ergebnis, dort 300 Schlafzelte zuzulassen.

Daneben dürfte es jetzt eine Vielzahl von kleinen Anti-G20-Camps geben. Über soziale Medien wurde dazu aufgerufen, Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten. An einer Stellwand an der St.-Johannis-Kirche bieten Anwohner auch Gärten und Hinterhöfe an.

Die Szene quartiert sich offenbar auch auf Bauwagenplätzen ein. Anwohner haben in den vergangenen Tagen festgestellt, dass sich dort deutlich mehr Personen aufhalten als sonst. „Die Zahl der Menschen hat sich locker verdreifacht“, sagt ein Anlieger. Die Polizei hat die Bauwagenplätze abgefahren. „Wir haben bislang keine Zelte dort festgestellt, die als zusätzliche Übernachtungsmöglichkeit dienen“, sagt ein Polizeisprecher.

Einfach aufgebaute Zelte könnten ein Problem für die Bewohner werden. Die Bauwagenplätze sind legalisiert worden. Zuständig sind in allen Fällen die Bezirksämter, die Verträge mit den Nutzern geschlossen haben. Der Aufbau von Zelten wäre ein Verstoß. Gegen Personen, die zusätzlich in den Bauwagen einquartiert werden, kann die Behörde nichts machen. Auch im Gängeviertel und in der Roten Flora wurden viele Besucher festgestellt.

Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist bis zum späten Mittwochnachmittag keine weitere Beschwerde aus Hamburg eingegangen. Das teilte ein Sprecher des Gerichts mit. Beobachter hatten erwartet, dass Gipfelgegner die Rechtmäßigkeit des von der Polizei für Freitag und Sonnabend festgelegten Demonstrationsverbots (Allgemeinverfügung) in weiten Teilen der Innenstadt überprüfen lassen würden.

Das OVG hatte am Dienstag mit Verweis auf die Allgemeinverfügung entschieden, dass es rechtens sei, eine Dauerkundgebung am 7. und 8. Juli im Gängeviertel zu untersagen. Die Anmelder könnten jetzt nach Karlsruhe gehen und einen Verstoß gegen die Grundrechte geltend machen.